Fair Trade: Wie ein Berliner Start-up afrikanische Handwerkskunst nach Europa bringt
Zwischen Werkstatt und Kunden liegen 6000 Kilometer. Doch das "Urban Change Lab" vermittelt fair produzierte Kunst an europäische Kunden.
Entwicklungshilfe verbindet man nicht unbedingt mit Manschettenknöpfen oder Schubladeneinsätzen für Besteck. Doch solche handgefertigten Produkte aus afrikanischen Werkstätten bietet ein Social Start-up aus Berlin an. Jedenfalls mittelbar. Das „Urban Change Lab“ von Jochen Baumeister bringt europäische Kunden mit Handwerkern und Künstlern in Afrika zusammen. Die Digitalisierung macht dieses „Fair Trade 2.0“ möglich und schlägt eine kreative Brücke zwischen Afrika und Europa.
Und das funktioniert so: Kunden beschreiben ihre Idee online. „Ich möchte eine Handtasche aus Leder und Stoff, mit grünen Applikationen.“ Oder: „Ich möchte eine schöne Obstschale aus Holz, ungefähr 30 cm Durchmesser.“ Möglich ist alles aus den Bereichen Kunst, Mode und Interior, und was aus Holz, Stein, Metall oder Stoff hergestellt werden kann. Außerdem muss es exportfähig sein. Das Urban Change Lab prüft dann, ob es entsprechend der Vorstellungen der europäischen Kunden einen Handwerker in Ghana, Kenia oder Nigeria gibt. Der Handwerker oder Künstler gibt dann ein Angebot ab. „Unsere Ziele sind eine faire Bezahlung der Handwerker bei gleichzeitiger Beachtung der marktüblichen Preisen vor Ort. Der zuverlässigste Partner mit der höchsten Qualität erhält den Auftrag, nicht der billigste.“
Das Start-up stellt den Kontakt zwischen Auftraggeber und -nehmer her, die sich dann über Einzelheiten, wie Farbe oder Oberflächenbehandlung, abstimmen. Dank Smartphones, die auch in afrikanischen Werkstätten verbreitet sind, stellen 6000 Kilometer Entfernung kein Hindernis dar. Die Kunden können den Entstehungsprozess - von der Materialauswahl bis zum letzten Schliff - durch Nachrichten, Fotos oder Videos mitverfolgen. Ist der Auftraggeber letztlich zufrieden, findet eine letzte Qualitätskontrolle durch lokale Vertreter des Urban Change Labs vor Ort statt. Baumeister, der selbst regelmäßig in Kenia ist, kümmert sich dann um Versand, Zoll und Zahlungsabwicklung.
Ganz spezielle Manschettenknöpfe, Schubladeneinsätze für Besteck, Geldbörsen mit afrikanischen Mustern und Tischbeine mit geschnitzten Totenköpfen sind so schon entstanden. Auf der Website des Start-ups, dass sich hauptsächlich durch Unternehmensberatung im Digital-Bereich finanziert, findet man alle bisherigen Projekte. Kommunikationsverläufe zwischen Kunde und Handwerker sowie die Preise der einzelnen Produkte werden auch veröffentlicht. Wie viel Geld der Handwerker bekommt und wie hoch die Anteile für Transport, Steuer und Vermittlungsprovision sind, ist ebenfalls aufgeschlüsselt.
Ein Vorhang mit afrikanischem Muster kostete beispielsweise knapp 150 Euro. Jochen aus Berlin hatte sich dafür mit Bella aus Kenia in Verbindung gesetzt, die für ihre Arbeit knapp 90 Euro bekam. Marion aus Kenia designte ein facettiertes Holzarmband für Nils aus Köln, wofür er knapp 20 Euro bezahlte. „Die ersten Durchläufe haben gezeigt, dass letztlich alle Beteiligten Spaß an der Zusammenarbeit haben und diese als fair und wertvoll empfinden“, sagt Baumeister. Bisher konnten rund 100 Projekte abgeschlossen werden. Seine Kunden seien zumeist akademisch ausgebildet und älter als 40 Jahre, weltoffen und wohlhabend. „Entschleunigung bekommt bei Urban Change Lab eine ganz neue Bedeutung. Wer den schnellen Shopping-Kick braucht, ist bei uns sicherlich falsch.“ Das Unternehmen will Gutes tun und dabei fair und transparent Geld verdienen. Und am Ende sind im Idealfall alle Beteiligten zufrieden.
„Mit der richtigen Idee kann man auch von Deutschland aus Trendsetter in Afrika werden“, erzählt Baumeister. John aus Starnberg wünschte sich einen weiblichen, afrikanischen Buddha. Naftal aus Kenia schnitzte die 90 cm große Holzfigur für ihn. Der ungewöhnliche Buddha begeisterte, sodass der Handwerker im Anschluss noch weitere Aufträge bekam.
Der Diplom-Ingenieur Baumeister stammt aus Berlin und ist mit einer kenianischen Ärztin verheiratet. Während der Hochzeitsreise in der Heimat seiner Ehefrau begegnete er zahlreichen Handwerkern, die für eine begrenzte lokale Nachfrage arbeiteten. Inzwischen trägt die fair bezahlte Herstellung vor Ort durchaus zum Lebensunterhalt der Auftragnehmer bei. Und Baumeister könnte mit seiner Idee, die er bereits im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vorstellen durfte, ein wenig zur nachhaltigen Entwicklung beitragen.
Als Entwicklungshilfe im klassischen Sinn sieht Baumeister das Urban Change Lab aber nicht. Die Handwerker in seinem Netzwerk brauchen keine dringende Hilfe, sie sind alle Experten in ihrem Bereich und haben ihr eigenes Business. Kunden sollen nicht bestellen, weil sie helfen möchten, sondern weil sie ein individuelles, maßgefertigtes Produkt haben wollen, das in einem fairen Austausch entsteht. „Der persönliche Wert eines Produkts steigt, wenn man es mitgestalten kann. Wir empfinden das als den größten Luxus überhaupt“, sagt Baumeister auch im Namen seiner Kundschaft.
Sarah Birkhäuser