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Auch Start-ups liefern dringend benötigtes Desinfektionsmittel.
© dpa

Desinfektionsmittel, Schüler-App, Bidet: Wie die Krise manchem Start-up zum Durchbruch verhelfen könnte

Das Coronavirus schafft Probleme, Jungunternehmen bieten Lösungen an. Mit diesen Ideen wollen Gründer jetzt durchstarten.

Von Laurin Meyer

Dass sich fast das ganze Land um das Produkt eines Start-ups im beschaulichen Landesbergen reißt, hätte Dennis Heineking nicht gedacht. „Die Anfragen kamen plötzlich von allen Seiten“, sagt der 30-Jährige. Bei ihm rufen Privatleute an, Feuerwehren, Apotheken, aber auch renommierte deutsche Konzerne. Kein Wunder, denn sein Jungunternehmen stellt her, was momentan alle begehren: Desinfektionsmittel.

Heineking ist Co-Geschäftsführer von Treox, einem Start-up, gelegen in einem Dorf zwischen Hannover und Bremen. In der Halle des Familienbetriebs am Ortsrand steht die Produktionsanlage. Begonnen haben sie hier zu viert: Heineking, dessen Bruder, ein Freund sowie der Gründer der ersten Stunde, der Heineking vor zwei Jahren ins Boot holte.

[Die neuesten Entwicklungen und Hintergründe zum Coronavirus können Sie hier in unserem Newsblog mitverfolgen.]

Jetzt beschäftigen sie 25 Mitarbeiter. Seit der Corona-Krise produzieren sie rund um die Uhr, haben Familie und Freunde eingespannt, um Kunden zu beliefern. „Die Nachfrage ist explodiert“, sagt Heineking. „Das hat uns einen großen Schub verliehen." Wie viel das Start-up produziert, will Heineking nicht verraten. Nur so viel: Es reiche aus, um an einem Tag eine Großstadt wie Hannover zu desinfizieren. Eine LKW-Lieferung verschickten die Jungunternehmer sogar ins chinesische Wuhan.

Schüler startet mit Hausaufgaben-App durch

Das alles kam plötzlich. Erst im Februar hat Treox die Zulassung der Europäischen Chemikalien-Agentur bekommen – nach acht langen Jahren Entwicklungszeit. Denn das Herstellungsverfahren ist speziell. Das Mittel aus dem Dorf in Niedersachsen kommt ohne Petrochemie aus. „Das ist die eigentliche Innovation“, sagt Heineking.

Vielen Käufern ist das in der gegenwärtigen Situation egal. Sie beschaffen, was sie auf dem Markt bekommen können. Um Innovationen voranzutreiben, hilft der Ausnahmezustand manchen Start-ups dennoch. Das merkt auch ein 18-jähriger Düsseldorfer. Nils Reichardt, selbst noch Schüler, hat vor zwei Jahren gemeinsam mit Freunden die App „Sharezone“ entwickelt.

Programmieren nicht in der Schule gelernt

Mit dem Programm können Schüler unter anderem ihre Hausaufgaben digital organisieren. Und jetzt, wo die Schulen bundesweit geschlossen sind, greifen darauf offenbar immer mehr zurück. Rund 1500 neue Nutzer generierte Sharezone zuletzt am Tag – fast fünfmal so viel wie zu normalen Zeiten, verrät Reichardt.

Die Entwickler um Nils Reichardt (links) von Sharezone.
Die Entwickler um Nils Reichardt (links) von Sharezone.
© Promo

Finanziert haben sich die Schüler über Preis- und Fördergelder, bezahlten davon etwa einen Datenschutzbeauftragten. Das Programmieren haben sie sich selbst beigebracht, mit Anleitungen auf YouTube. „In der Schule haben wir das nicht gelernt“, sagt Reichardt. Um die App krisenfest zu machen, haben der Schüler und seine Kollegen manche Entwicklungsschritte nun schon vorgezogen – etwa eine Kommentarfunktion, damit sich Schüler und Lehrer austauschen können.

Happypo profitiert von der Hysterie ums Toilettenpapier

Ginge es nach seinem Vater, soll Reichardt nach seinem Abitur im Sommer studieren. Der 18-Jährige möchte die Gelegenheit aber lieber nutzen, um mit der App auch langfristig durchzustarten. „Durch die Krise sind die Leute auf digitale Alternativen aufmerksam geworden“, sagt Reichardt. Nun sollen ihm die hinzugewonnenen Nutzer helfen. Mit denen will Reichardt das Programm nämlich so gestalten, dass sie es auch nach Wiedereröffnung der Schulen nutzen. Und auch, wie sich damit Geld verdienen lässt, will der Schüler testen. Noch ist die App kostenlos und werbefrei.

Das Start-up Happypo profitiert hingegen von einer regelrechten Hysterie: nämlich der ums Toilettenpapier. Denn wo Regale leergefegt sind, bietet das Start-up eine Lösung an. Happypo verkauft mobile Bidets, quasi kleine Po-Duschen. Was amüsant klingt, meint das Jungunternehmen ernst: Es richtet sich an all diejenigen, die keine Zeit haben, sich in den Supermärkten um das verbleibende Toilettenpapier zu bemühen.

Experten sehen Chance für Start-ups

Offenbar mit Erfolg: „Wir haben festgestellt, dass vermehrt Menschen auf unser Bidet zurückgreifen“, sagt Mitgründer Oliver Elsoud. Die täglichen Verkäufe hätten sich über die vergangenen Tage fast versiebenfacht. Das Potenzial wollen Investoren schon früher erkannt haben. So stieg Unternehmerin Dagmar Wöhrl ein, nachdem die Gründer die Po-Dusche in der Vox-Sendung „Die Höhle der Löwen“ vorgestellt hatten.

Die Gründer von Happypo.
Die Gründer von Happypo.
© Promo

Laut Experten kann die Krise für manche Start-ups zu einer großen Chance werden. „Die extrem hohe Aufmerksamkeit kann einem jungen Unternehmen innerhalb von wenigen Tagen einen Bekanntheitsgrad verschaffen, der sonst nur mit dem Marketingbudget von Großkonzernen zu erreichen wäre“, sagt etwa Lars Groeger, Leiter des Lehrstuhls für Innovationsmanagement und Entrepreneurship an der Universität Potsdam. Das könnte zum Durchbruch verhelfen. Denn in normalen Zeiten würden jungen Unternehmen häufig die finanziellen und personellen Ressourcen fehlen, um schnell viele neue Kunden zu gewinnen.

Produkte müssten Corona-Krise überdauern

Ein Selbstläufer sei das aber nicht. „Die momentane Situation zwingt viele Verbraucher förmlich dazu, gewisse Produkte zu nutzen“, sagt der Hochschulprofessor. „Sobald der externe Druck jedoch wieder abschwächt, besteht die Gefahr, dass die Menschen wieder zu ihren alten Routinen zurückkehren, da das Produkt eben doch nicht überzeugt hat.“ Eine entscheidende Frage sei also: Integrieren die Kunden das Produkt so fest in ihren Alltag, dass es auch nach der Corona-Krise einfach dazu gehört?

Auch Heineking weiß: „Irgendwann fragen sich die Leute, ob die Produkte auch halten, was sie versprechen.“ Daran will sich der Treox-Geschäftsführer messen lassen. Heineking ist aber optimistisch, dass sich sein Desinfektionsmittel nach der Corona-Krise verkauft: „Ich glaube, dass die Menschen nach so einer Erfahrung sensibel bleiben.“ Den Kontakt zu den Kunden hat er ja schon gelegt.

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