Kommt jetzt die Fleischsteuer?: Wie der Staat mehr Tierwohl bezahlen will
Der Umbau der Ställe kostet Milliarden im Jahr. Eine höhere Mehrwertsteuer oder eine Abgabe auf Fleisch würde das Geld auftreiben.
Um mehr Tierwohl in den Ställen zu finanzieren, kann der Staat die Steuerzahler zur Kasse bitten. Rechtlich zulässig wären eine Erhöhung der Mehrwertsteuer oder die Einführung eines Tierwohl-Solis, sagen Berater von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Mit dieser Lösung würden künftig alle Steuerzahler für eine bessere Haltung von Schweinen, Rindern oder Geflügel in Deutschland zahlen.
Grundsätzlich möglich wäre aber auch eine Tierwohlabgabe auf Fleisch, Wurst, Eier oder Milchprodukte. Diese würden nur Verbraucherinnen und Verbraucher treffen, die tierische Produkte kaufen. Das ergibt sich aus einer Machbarkeitsstudie, die Klöckner am Dienstag in Berlin vorstellte. In der Studie wird ein Preisaufschlag von 47 Cent pro Kilogramm Fleisch und zwei Cent pro Liter Milch als Tierwohlabgabe unterstellt.
Klöckner hatte die Machbarkeitsstudie bei der Bonner Rechtsanwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs in Auftrag gegeben, die ihrerseits ehemalige hochrangige Mitarbeiter der EU-Kommission hinzugezogen hatte. Die Experten sollten untersuchen, mit welchen Instrumenten die Milliarden, die für den Umbau und den Unterhalt moderner Ställe nötig sind, aufgebracht werden können.
Seit einem Jahr gibt es Vorschläge von Experten
Grundlage der Studie ist eine Empfehlung, die ein Expertengremium unter Leitung des früheren Agrarministers Jochen Borchert (CDU) im Februar vergangenen Jahres vorgelegt hatte. Die Borchert-Kommission hatte nachdrücklich mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung angemahnt und dafür verschiedene Finanzierungsvorschläge gemacht. Neben der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte hatten die Experten eine mengenbezogene Verbrauchssteuer von 40 Cent pro Kilo Fleisch und Wurst, zwei Cent pro Kilo Milch und Eier sowie 15 Cent pro Kilo Butter oder Käse ins Spiel gebracht. Der Bundestag hatte Klöckner im Juli aufgefordert, Vorschläge für die Umsetzung dieser Ideen zu machen. Die Ministerin hatte daraufhin die Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben.
Klöckner sucht "breiten Konsens"
Klöckner ließ am Dienstag offen, welche Lösung sie bevorzugt. Sie suche einen „breiten Konsens“ in der Politik und werde jetzt Gespräche führen, sagte sie auf Nachfrage. Schnellschüsse lehnt die Ministerin ab. Die Landwirte bräuchten Planungssicherheit über die Legislaturperioden hinweg. Dass bis zur Bundestagswahl Konkretes verabschiedet wird, ist daher eher unwahrscheinlich. Klöckner findet das nicht schlimm. „Keine Partei kommt in ihrem Wahlprogramm am Tierwohl vorbei“, meint sie.
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Drei Viertel der Tiere haben nur den Mindeststandard
Die Borchert-Kommission setzt sich dafür ein, dass alle Nutztiere bis zum Jahr 2040 in ihren Ställen separate Bereiche zum Schlafen, Fressen und Spielen und sogenannte Klimazonen möglichst mit Kontakt zur Außenwelt haben sollen. Die Realität sieht anders aus: Heute werden hierzulande drei Viertel der Tiere lediglich entsprechend dem gesetzlichen Mindeststandard gehalten. Um die Tierhaltung komplett umzubauen, kalkulieren die Experten der Nutztier-Kommission mit zusätzlichen Kosten von drei bis fünf Milliarden Euro im Jahr.
Ohne staatliche Hilfe geht das nicht, ist Klöckner überzeugt. Denn obwohl Verbraucher in Umfragen regelmäßig beteuern, dass ihnen das Tierwohl am Herzen liegt, greifen die meisten im Supermarkt nach wie vor zu Billigfleisch. Rund 88 Prozent des Frischfleischs der Supermarkt-Eigenmarken stammt aus Haltungsstufen mit den geringsten Tierwohlanforderungen, hat eine Marktstudie von Greenpeace ergeben. „Die Landwirte, die in Tierwohl investieren, können nicht darauf hoffen, dass ihnen die Kosten an der Ladentheke ersetzt werden“, betont auch Klöckner.
Verbraucher kaufen Billigfleisch
Das haben auch Lidl und Kaufland erfahren müssen. Die Lebensmittelhändler hatten, um den von der Schweinepest und von Corona gebeutelten Schweinebauern zu helfen, vor einigen Wochen Preisaufschläge auf einige ihrer Schweinefleischprodukte eingeführt. Jetzt haben sie die Preise wieder gesenkt. Der Markt sei dem Preissignal nicht gefolgt, betont eine Sprecherin, „dadurch ist uns ein erheblicher Wettbewerbsnachteil entstanden“. Das heißt: Die Kunden haben woanders, billiger gekauft.
Was die höhere Mehrwertsteuer bringen würde
Woher sollen die Milliarden für mehr Tierwohl stattdessen kommen? Sowohl Steuererhöhungen als auch die Einführung einer Tierwohlabgabe würden das nötige Geld aufbringen, heißt es in der Machbarkeitsstudie. Bei Einführung eines Solis könnte der Staat den nötigen Steuersatz frei wählen.
Auch bei Mehrwertsteuer gibt es verschiedene Möglichkeiten, haben die Berater ausgerechnet. Derzeit fallen auf Fleisch, Milch oder Eier nämlich nur sieben Prozent statt der normalen 19 Prozent an. Würde man das Steuerprivileg für tierische Produkte streichen, brächte das dem Staat jährlich 5,5 bis 6,3 Milliarden Euro.
Möglich wäre aber auch eine allgemeine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, schlagen die Gutachter vor. Wohlfahrtsverbände sehen solche Überlegungen jedoch kritisch. „Eine Mehrwertsteuererhöhung auf Lebensmittel würde arme Menschen besonders belasten“, sagte der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Werner Hesse, dem Tagesspiegel. „Eine Preiserhöhung müsste daher in jedem Fall zu einer Anhebung der Regelsätze in der Existenzsicherung führen.“ Darüber hinaus hat Hesse Zweifel, dass eine Preiserhöhung in welcher Form auch immer, die Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft positiv verändert.
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Höhere Steuern auf Fleisch, niedrigere auf pflanzliche Kost?
Die Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ und die Umweltschützer von Greenpeace fordern parallel zur Anhebung der Mehrwertsteuer für tierische Produkte eine Reduzierung des Steuersatzes für pflanzliche Lebensmittel. Derzeit werden etwa auf Hafermilch 19 Prozent Steuer erhoben. „Um Verbraucher:innen zu entlasten, sollte der Mehrwertsteuersatz für frisches Obst, Gemüse und Bioprodukte sinken“, sagte Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter. Die beste Lösung, meint Greenpeace, sei jedoch eine Tierwohlabgabe, die mit einer Zweckbindung bei den Landwirten ankomme. Eine solche Abgabe könnte im Jahr 4,2 Milliarden Euro bringen, heißt es in der Studie.
Probleme mit EU-Recht
Doch gegen eine Zweckbindung bestehen erhebliche rechtliche Bedenken, meint Ulrich Karpenstein, Autor der Machbarkeitsstudie. Es verstoße gegen EU-Recht, wenn auch die Produkte ausländischer Produzenten mit einer Tierwohlabgabe belastet werden, ohne dass diese Anbieter in den Genuss staatlicher Hilfen aus Deutschland für den Umbau ihrer Ställe kommen.
Probleme sehen die Experten auch in der Absicht, den Bauern für lange Zeit – im Gespräch sind 20 Jahre – Finanzierungszusagen zu machen. Nach EU-Recht sind nur kürzere Zeiträume möglich. Mit dem Bauernverband ist das aber nicht zu machen. „Fünf oder sieben Jahre sind keine verlässliche Grundlage“, betonte Generalsekretär Bernhard Krüsken.
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