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Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) bei der Vorstellung des Nutri Scores.
© dpa

Auf einen Blick sehen, was gesund ist: Wie der Nutri Score das Einkaufen erleichtern soll

Deutschland bekommt eine neue Kennzeichnung für Lebensmittel. Nestlé, Aldi und Lidl wollen den Nutri Score einführen, andere sind skeptisch.

47 Prozent der Frauen, 62 Prozent der Männer und 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind hierzulande übergewichtig. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) will das ändern. Helfen soll dabei eine farbige Skala auf Lebensvermittelverpackungen, die den Menschen auf einen Blick zeigen soll, ob sie ein Produkt kaufen oder ob sie besser die Finger davon lassen sollen.

Nutri Score heißt die neue Kennzeichnung, die es in Frankreich bereits seit längerem gibt und über die in Deutschland heftig gestritten worden ist. Der Lebensmittelverband hält das Instrument für irreführend und untauglich und hatte versucht, ein eigenes Kennzeichnungsmodell durchzusetzen. Klöckner ließ im Sommer aber die Bürger abstimmen, und die entschieden sich für den Nutri Score.

Das Gesetzgebungsverfahren läuft. Der Verordnungsentwurf befindet sich in der Ressortabstimmung. Wenn alles reibungslos über die Bühne geht und weder die EU-Kommission noch der Bundesrat Einwände haben, könnte die Verordnung Mitte 2020 in Kraft treten, heißt es im Bundesagrarministerium, früher aber nicht. Das Problem: Ob Unternehmen mitmachen oder nicht, ist allein ihre Sache. Der Nutri Score ist freiwillig, zumindest bislang.

Wenn Deutschland Mitte des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, will sich Klöckner für eine EU-weite Pflichtkennzeichnung einsetzen. Verbraucherschützer sammeln derzeit bereits Unterschriften, damit der Nutri Score in der EU Pflicht wird.

Der Nutri Score verrechnet positive Nährwerteigenschaften eines Lebensmittels wie Ballaststoffe, Obst oder Nüsse mit den negativen wie Zucker, Salz und gesättigten Fettsäuren. Am Ende steht ein Urteil, das sowohl farblich als auch mit einem Buchstaben gekennzeichnet wird.

Bei einem grünen „A“ kann man zugreifen, Produkte mit rotem „E“ sollte man lieber meiden. Beispiel: Während die Knusper-Frites von Bofrost ein „A“ haben, bekommen die Backofen-Röstis wegen des Zuckers und Salzes nur ein „C“. Verbraucherschützer finden das System gut.

„Der Nutri Score erleichtert es Verbrauchern gesündere Kaufentscheidungen zu treffen“, heißt es beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Und er sei viel besser als der Status Quo. Bisher müssen sich Verbraucher auf die schwer lesbaren Tabellen verlassen, in denen die Lebensmittelhersteller pro 100 Gramm oder 100 Milliliter angeben, wie viel Zucker, Fett, Salz und Kalorien in einem Lebensmittel stecken.

Händler und Hersteller gehen mit der Kennzeichnung unterschiedlich um

Was den Nutri Score angeht, so erwartet die deutschen Verbraucher ein munteres Durcheinander. Hersteller und Händler gehen sehr unterschiedlich mit der neuen Kennzeichnung um. Während der französische Lebensmittelkonzern Danone schon heute fast all seine Milchprodukte mit dem Nutri Score auszeichnet, musste der Tiefkühlhersteller Iglo erst eine juristische Auseinandersetzung überstehen.

Der Schutzverband gegen das Unwesen in der Wirtschaft hatte dem Fischstäbchen-Produzenten untersagt, die neue Nährwertkennzeichnung auf seine Verpackungen zu drucken, weil es sich dabei nach Meinung des Verbandes um verbotene Gesundheitswerbung handelt. Iglo hatte den Nutri Score daher im vergangenen Jahr nur im Internet verwendet. Inzwischen hat man sich außergerichtlich geeinigt.

Seit Anfang des Jahres gibt es nun erstmals auch im Supermarkt Iglo-Produkte mit dem Nutri Score. Den Anfang machen die Schlemmer-Filet-Varianten, weitere Produkte werden je nach Produktions- und Erntezeitraum umgestellt, teilte Iglo auf Nachfrage mit.

Auch der Lebensmittellieferant Bofrost, der bereits seit März vergangenen Jahres den Nutri Score in seinem Onlineshop verwendet, will den Einsatz des Labels ausweiten. Künftig soll die Nährwertkennzeichnung nicht nur im Hauptkatalog nachzuschlagen sein, sondern auch auf die Verpackungen gedruckt werden.

Auf manchen Produkten wie diesem Joghurt ist der Nutri Score schon jetzt zu finden.
Auf manchen Produkten wie diesem Joghurt ist der Nutri Score schon jetzt zu finden.
© Kai-Uwe Heinrich

Und auch der weltgrößte Lebensmittelhersteller Nestlé zieht mit. In fünf Ländern, darunter Deutschland, will man mehr als 5000 Produkte mit dem Nutri Score kennzeichnen. „Der Start ist im ersten Halbjahr“, sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel, also noch, bevor die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen.

Und wer befürchtet hatte, dass Nestlé Rosinenpickerei betreiben will, wird eines Besseren belehrt. „Wir werden das Nutri-Score-System breit umsetzen und auch Produkte kennzeichnen, die aufgrund ihrer Zusammensetzung eher eine Bewertung des roten Farbspektrums bekommen – beispielsweise Süßwaren“, heißt es auf Anfrage. So sollen etwa auch Kitkat- oder Lion-Schokoriegel gekennzeichnet werden.

Die Discounter sind zurückhaltend

Vorsichtiger verhalten sich die Discounter. Aldi und Lidl wollen den Nutri Score für ihre Eigenmarken einführen, allerdings erst dann, wenn die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Lidl prüft derzeit, wie man den Nutri Score umsetzen kann. Aldi kündigt an, man werde „zügig in die Umsetzung gehen“, wenn die Verordnung unter Dach und Fach ist.

Doch nicht alle sind begeistert. Der Knorr- und Langnese-Hersteller Unilever hält nicht sonderlich viel vom Nutri Score und zieht ein portionsbasiertes Kennzeichnungssystem vor.

Der Nutri Score reflektiere „nicht die Bedeutung unterschiedlicher Lebensmittel für die Ernährung und hilft den Verbrauchern nur bedingt bei der Zusammenstellung einer ausgewogenen Ernährung“, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel. Ob man das System in Deutschland nutzt, will Unilever erst dann entscheiden, wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen vorliegen. Heike Jahberg

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