Preisabsprachen: Wie das Kartoffel-Kartell funktioniert
Über Jahre sollen Großhändler die Preise in die Höhe getrieben und so Verbraucher und Bauern um Millionen betrogen haben. Wie der Kartoffel-Markt funktioniert.
Berlin - Frauen in der Küche? Finde er super, hat Fernsehkoch Tim Mälzer einmal erklärt, und damit Melina, Sieglinde und ihre drallen Cousinen gemeint. Das Gros der Deutschen teilt diese Einschätzung. Rund 60 Kilo Kartoffeln verzehren die Bundesbürger pro Jahr im Schnitt. Die Kartoffel ist damit das wichtigste Gemüse auf unserem Speiseplan. Seit sie im 16. Jahrhundert aus Südamerika eingeführt wurde, verbindet die Deutschen mit der Knolle eine besondere Beziehung. Jetzt müssen sie von der Kartoffel-Mafia lesen. Sie soll hiesige Verbraucher um hohe Millionenbeträge betrogen haben.
Dabei erschien die Kartoffel bislang als eher unverdächtig: Dick macht sie nur, wenn sie gebraten, als Pommes oder Chips daherkommt. An sich ist sie mit nur 70 Kilokalorien auf 100 Gramm eine wesentlich leichtere Beilage als zum Beispiel Nudeln. Dabei enthält sie neben reichlich Eiweiß auch 17 Milligramm Vitamin C und 411 Milligramm Kalium. Dass Kartoffel, wie man las, auf deutschen Schulhöfen mithin als Schimpfwort gebraucht wird, ist also doppelt ungerecht. Zumal sie wirklich schöne Blüten hat, ursprünglich kam die Kartoffel als Zierpflanze ins Land. .
Bußgeldverfahren gegen fünf Firmen
Nach Schienen, Zement und Mehl haben sich nun offenbar auch bei Kartoffeln und Zwiebeln die größten Akteure am Markt abgesprochen. „Auf der Basis eines Anfangsverdachts haben wir Durchsuchungen in der Branche vorgenommen. Jetzt machen wir unsere Arbeit und werten die Beweismittel aus“, gab Bundeskartellamtspräsident Andreas Mundt am Montag bekannt – und betonte: „Bis zur abschließenden Beurteilung gilt die Unschuldsvermutung.“ Doch allein gegen fünf Firmen sollen Bußgeldverfahren eingeleitet worden sein. Das deutet auf eine außergewöhnliche Dimension hin. Meist bilden zwei, höchstens drei Marktteilnehmer ein Kartell. Bewahrheitet sich der Verdacht der Behörde, sind mehr als 80 Prozent der Branche betroffen. Bis zu zehn Mal teurer könnten Kartoffeln Schätzungen zufolge dadurch geworden sein.
Friedrich Ostendorff ist agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und Bauer in Nordrhein-Westfalen, nach Norddeutschland das größte Anbaugebiet. Er engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirte (ABL). Die ABL ist froh über die Ermittlungen. Ostendorff selber führt einen eher kleinen Betrieb mit Hofverkauf, bezeichnet sich aber als gut vernetzt. „Die größeren Erzeuger, die ich kenne, wollen sich nicht offiziell äußern, sagen aber: All das, was jetzt behauptet wird, stimmt“, erzählt er. So könnte das Ganze demnach abgelaufen sein: Der Chef eines Verpackungsbetriebs, eine Art Anführer, ruft wöchentlich vor der Bestellung der Supermärkte bei seinen Kollegen an. Er gibt einen „Leitpreis“ durch, von dem die Konkurrenz dann allenfalls um ein paar Cent pro Tonne abweicht.
Auch die Bauern könnten geschädigt worden sein
Böhmer, Agrata, Weuthen – das sind die Namen der Abpackbetriebe, von denen das Kartell ausgegangen sein soll. Die Sprecher geben sich auf Anfrage gelassen. Beim Marktführer Böhmer, der 300 000 Tonnen Kartoffeln im Jahr umsetzt, heißt es, man wolle sich im Lauf der Woche ausführlich zur Sache äußern.
Die Abpackbetriebe fungieren in der Branche quasi als Großhändler zwischen Bauern und Einzelhändlern. Eine Besonderheit im Kartoffel-Fall: Wenn es so ist, wie die ABL vermutet, dann sind nicht nur Verbraucher und vielleicht Einzelhändler betrogen worden. Auch die Bauern wurden geschädigt.
Ein monopolistisches System
Denn die Unternehmen, die im großen Stil mit Kartoffeln handeln, halten zum Teil nicht unbeachtliche Anteile an den Zuchtfirmen, die Mutterknollen liefern. „An die 50 Prozent des Pflanzkartoffelmarktes besetzt Europlant. Die gehören im Wesentlichen Böhmer, und auch Agrata hängt mit drin“, sagt Ostendorff. „Jetzt fragt man sich natürlich, ob man betrogen worden ist.“ Auch an Kartoffelfabriken, die die Knollen etwa zu Tiefkühlprodukten verarbeiten, in Form derer Deutsche sie zunehmend gern auftischen, sollen die Großhändler beteiligt sein. „Das ist ein Markt, der monopolistischer nicht sein könnte.“
Einen Vorgeschmack bekamen die Bauern, als 2005 die als besonders aromatisch geltende Sorte Linda gewaltsam vom Markt gedrängt wurde. Linda war eine Züchtung aus dem Hause Europlant – und als solche 30 Jahre patentgeschützt. Nach 29 einhalb Jahren zog die Firma sie aus dem Verkehr, verklagte diejenigen, die es wagten, alte Knollen eigenmächtig in den Boden zu stecken, um Linda am Leben zu halten. Stattdessen brachte Europlant die leicht abgewandelte – und frisch patentgeschützte – Gattung „Belana“ auf den Markt. „Die abnehmenden Großhändler“, sagt Bauer Ostendorff, „wollten dann auch nur noch Belana kaufen.“
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