EZB verkündet Maßnahmen gegen Corona: Wie Christine Lagarde die Finanzmärkte enttäuschte
Die EZB will mehr Unternehmensanleihen kaufen. Banken bekommen Hilfe bei der Kreditvergabe. Ökonomen loben das - und doch brechen die Aktienkurse ein.
Mit einem Notfall-Paket und weiteren Finanzspritzen versucht die Europäische Zentralbank (EZB) die Banken und damit die Unternehmen in der Coronakrise zu stützen. Nach der Ratssitzung am Donnerstag betonte Präsidentin Christine Lagarde allerdings in einem dramatischen Appell, dass in der aktuellen Krise vor allem die Regierungen und allen anderen politischen Institutionen in Europa gefragt seien, um die weitere Ausbreitung des Virus und die wirtschaftlichen Folgen einzudämmen. „Eine ambitionierte und koordinierte Antwort der Politik ist erforderlich. Sie muss jetzt agieren, stark und gemeinsam“, sagte die Französin. Die EZB werde dabei ihren Beitrag dazu leisten.
Trotzdem ließ der Rat der Notenbank den Leitzins unverändert bei null Prozent. Auch der Einlagenzins, den Banken zahlen, wenn sie Gelder bei der EZB parken, bleibt wie gehabt bei -0,5 Prozent. Damit geht die EZB einen anderen Weg als die Notenbanken in den USA und Großbritannien. Sie haben beide ihre Leitzinsen bereits deutlich gesenkt. Allerdings kommen sie auch von einem anderen Ausgangsniveau. Anders als in der Eurozone, wo der Leitzins bei null liegt, sind in den USA und Großbritannien die Zinsen nämlich trotz der Senkung noch positiv – die Notenbanken dort haben also noch mehr Spielraum.
Wie die Kreditvergabe angekurbelt werden soll
Die EZB wählte wohl auch deshalb einen anderen Weg. Sie stellt zum Beispiel eine weitere langfristige Kredittranche zu einem Negativzins von minus 0,5 Prozent für die Banken in Europa bereit. Die Institute können sich so selbst bei der EZB Geld leihen, um es dann als Kredit an Unternehmen weiterzureichen. Profitieren sollen davon vor allem kleinere und mittlere Unternehmen, die von der Coronakrise akut betroffen sind. Zusätzlich erleichterte die EZB auch die Konditionen für ein laufendes Sonderkreditprogramm.
Als dritte Maßnahme will die Notenbank bis zum Jahresende für zusätzliche 120 Milliarden Euro vor allem Unternehmensanleihen kaufen. Durch die Ausweitung des Anleihekaufprogramms hilft Lagarde einerseits den Unternehmen, deren Anleihen sie erwirbt. Andererseits pumpt sie auf diese Weise massiv Geld in den Markt. Denn die Papiere erwirbt die EZB nicht direkt von Unternehmen, die sie ausgeben, sondern am Zweitmarkt. Sie kauft die Anleihen also Banken ab, die dadurch wiederum mehr Geld zur Verfügung haben, das sie als Kredite ausreichen können. Bisher kauft die EZB für 20 Milliarden Euro im Monat vor allem Staatsanleihen aus Euroländern.
Lagarde zufolge hat die EZB die Maßnahmen gegen die Coronakrise beschlossen, die für die Notenbank derzeit möglich sind. „Wir geben in diese Phase eine höchst effiziente Antwort auf die Umstände“, sagte die Französin. „Wir nutzen jede Flexibilität, die wir haben.“ Lagarde ließ durchblicken, dass die Notenbank zu weiteren Maßnahmen bereit sei, sollte das erforderlich werden. Das Notfallpaket habe der Rat einstimmig beschlossen.
Was Ökonomen sagen
„Das Maßnahmenpaket ist ausgewogen und nutzt die sehr begrenzten verbleibenden Möglichkeiten der EZB, um die unausweichliche Coronarezession abzumildern“, sagt Friedrich Heinemann, Ökonom am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Dass die EZB auf eine Zinssenkung verzichtet hat, sei zudem ein „kluger Schachzug“, so Heinemann. „Eine weitere Verschärfung der Negativzinsen hätte den bedrängten Banken nicht geholfen.“ Auch Thomas Gitzel von der VP-Bank hält die Ausweitung der Käufe von Unternehmensanleihen für sinnvoll. „Das hat tatsächlich einen direkten positiven Einfluss auf die Unternehmensfinanzierung“, sagt er.
Wie die Börse reagiert
Im Gegensatz dazu kam das Ergebnis der EZB-Sitzung an den Finanzmärkten überhaupt nicht gut an. An der Börse fielen die Maßnahmen der EZB durch. Allein in den ersten 15 Minuten der Pressekonferenz nach der EZB-Ratssitzung gab der Deutsche Aktienindex Dax 200 Punkte nach. Und das obwohl er schon am Morgen dramatisch um nahezu acht Prozent auf knapp 9600 Punkte gefallen war. Damit war er erstmals seit vier Jahren unter die Marke von 10.000 abgerutscht. Am Abend stand er mehr als zwölf Prozent im Minus und steuerte damit auf den zweitgrößten Wochenverlust seiner Geschichte zu.
Anleger hatten sich offenbar ein noch deutlicheres Zeichen der EZB gewünscht. Stattdessen wurde vielen heute klar, wie machtlos die Zentralbank in der aktuellen Krise ist. „Das alles ist nicht falsch“, sagte Otmar Lang, Chef-Volkswirt der Targobank, über das vorgestellte Paket. „Aber anders als früher sind Notenbankmaßnahmen aktuell nur schmückendes Beiwerk, das keinen Turnaround bewirken kann.“
Auch in den USA brachen die Kurse ein und zwar erneut so stark, dass der Handel an der Wall Street erneut für 15Minuten ausgesetzt wurde. Der US-Index Dow Jones gab um mehr als acht Prozent nach. Das lag allerdings nicht nur an der EZB-Sitzung. US-Investoren reagierten damit vor allem auf die Einreise- Sperre, die US-Präsident Donald Trump für Europäer verhängt hat. Der Grund: Reisebeschränkungen gehen in der Regel mit einem Rückgang des Wirtschaftswachstum einher.