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Trucks mit FDP-Werbung rollen durch London.
© Tweet von Charles Hawley

Nach dem Brexit-Votum: Wie Berlin um britische Unternehmen buhlt

"Die Geier kreisen schon": Wirtschaftssenatorin Yzer arbeitet an einem Schlachtplan, um Firmen aus Großbritannien zu locken – die FDP hat dagegen eine ganz eigene Idee.

Eigentlich sind die Briten ja für ihren besonderen Humor bekannt. Doch was sich die Berliner FDP am Dienstag erlaubte, darüber waren dann einige Londoner „not amused“. Einen Tag lang ließ die Partei einen Plakat-Wagen durch die britische Hauptstadt fahren mit dem Spruch: „Liebe Start-ups, bleibt ruhig und kommt nach Berlin.“ Eine Anspielung auf die Überlegungen vieler britischen Unternehmen, sich nach dem Brexit einen neuen Standort zu sichern.

„Die Geier kreisen schon“, kommentierte etwa Bloomberg-Reporter Stephen Morris die Aktion.

Tatsächlich ist unter europäischen Städten und Regionen ein regelrechter Wettbewerb darum ausgebrochen, Firmen anzuwerben. Paris schaltete noch am Freitag nach dem Brexit eine Anzeige in der Online-Ausgabe der „Financial Times“, selbst Rumänien trommelt in einer Social-Media-Kampagne mit „Move to Transylvania!“ – keine Frage, das jetzt auch Berlin einen Schlachtplan ausarbeitet.

Am Dienstag traf sich eine Runde von Wirtschaftsvertretern mit Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU), um zu besprechen, wie britische Firmen am besten angelockt werden können. Mit dabei waren Christian Amsinck (Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg), Jan Beckers (Hitfox Group, Finleap), Michael Brehm (Rebate Networks), Torsten Oelke (Cube Berlin), Sascha Schubert (Bundesverband Deutsche Start-ups), Roland Sillmann (Wista Management GmbH) sowie Udo Marin (Verein Berliner Kaufleute und Industrieller). „Wir sind uns alle einig, dass wir jetzt dieses Zeitfenster nutzen müssen, um britische Unternehmen für Berlin zu interessieren“, sagte Yzer dem Tagesspiegel.

"Wir wollen auch die großen Fische"

Schon im September soll in London zunächst für zwei Jahre ein Wirtschaftsbüro eröffnet werden, wie es bereits im Mai in Istanbul in Zusammenarbeit mit der Außenhandelskammer gestartet worden ist. 250.000 Euro stehen dafür zur Verfügung. Ursprünglich sollte das Büro an einem anderen Standort eröffnet werden, „aber London ist jetzt dringender, da dort nun eine besondere Chance besteht“, sagte Yzer. Ob die Außenhandelskammer wieder Partner werde, stehe noch nicht fest, ebenso, wer das Büro leiten soll. Jemand, der in London sehr gut verdrahtet ist, werde gesucht – auch mit Blick auf die multinationalen Konzerne, „denn wir wollen auch die großen Fische haben“, erklärte Yzer.

Pop-up-Lab geht nach London statt nach New York

Auch das „Pop-up-Lab“ der Wirtschaftsförderung Berlin Partner wird nicht wie geplant in New York Station machen, sondern Ende Oktober nach London gehen. Derzeit werde nach einem geeigneten Ort „in bester Lage“ gesucht, sagte Berlin-Partner-Chef Stefan Franzke.

Eine Woche lang, womöglich auch 14 Tage, soll es in dem „Lab“ Thementage geben etwa zu Fintechs. bekannten Start-ups wie Zalando oder Soundcloud werden eingeladen, um davon zu schwärmen, wie schön es in Berlin ist. Auch dafür werden 250.000 Euro veranschlagt , ebenfalls Mittel, die umgeschichtet werden, versicherte Franzke.

Großes Interesse von Briten an Jobs in Berlin

Bereits jetzt spüre er deutlich ein gestiegenes Interesse am Standort Berlin. Seit dem Brexit seien die Zugriffe aus Großbritannien auf das Job-Portal von Berlin Partner um 30 Prozent gestiegen. Vergangenen Woche führte Franzke Investoren aus Queensland in Australien durch Berlin. „Die wollten sich ursprünglich London als Investitionsstandort anschauen, haben dann aber kurzfristig umgeplant und fanden es super hier“, erzählte Franzke.

Auch das Online-Stellenportal Joblift teilt mit, dass das britische Suchinteresse an einem Job in Berlin seit dem Brexit um 185 Prozent gestiegen sei. Gehe man davon aus, dass nur fünf Prozent der Startups künftig in Berlin statt in London gegründet werden, wären das bereits rund 9800 Firmen pro Jahr. Schon 2017 könnten in der deutschen Hauptstadt so über 1000 neue Stellen geschaffen werden.

Kritik von Grünen und Linken an FDP-Aktion

Ein wenig Verwunderung gibt es in Kreisen der Berliner Politik und Wirtschaft dennoch über die Berliner Offensive. "Es ist direkt nach dem Brexit-Votum nicht an der Zeit für solche Abwerbe-Aktionen. Viel wichtiger ist es, sich um die vielen Britinnen und Briten zu kümmern, die sich um ihre Zukunft in Berlin sorgen", sagte Bettina Jarasch, Landesvorsitzende der Grünen, dem Tagesspiegel.

Auch die Linke habe nicht vor, sich "auf Kosten der Menschen in Großbritannien versuchen zu profilieren", sagte Linken-Sprecher Thomas Barthel. "Diese Thematik ist für uns zu ernst und die Entscheidung für den Brexit keineswegs ein Grund zur Schadenfreude". Wäre die FDP "ökonomisch auch nur halbwegs so versiert, wie sich von sich behauptet, dann könnte sie erahnen, dass das langfristig auch für Berlin keine gute Entscheidung war", betonte Barthel.

Wenn es Start-ups nach Berlin ziehe, dann sollte sich aus Sicht der Linken dadurch begründen, dass es in Berlin eine leistungsfähige und gut funktionierende öffentliche Infrastruktur, gute Lebensbedingungen sowie ein attraktives Umfeld an Kultur, Forschung und Wissenschaft gibt. "Das alles ist leider von Rot- Schwarz in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden. Und von Seiten der FDP wird lieber über Schuldenbremsen als über notwendige Investitionsprogramme geredet. In so fern ziehen wir es also vor, lieber in Berlin unsere Hausaufgaben als uns über die Sorgen von Menschen in anderen Städten lustig zu machen."

Von CDU und SPD hieß es nur, dass ähnliche Kampagnen wie die der FDP nicht geplant seien.

"Nichts als Karneval"

Ein Spitzenvertreter der Berliner Wirtschaft, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte die FDP-Plakataktion sei „nichts als Karneval“.

Die Aktivitäten des Landes Berlin in London betrachte man ambivalent. Grundsätzlich sei Standortwerbung ja gut und löblich. Allerdings halte man weder den Zeitpunkt noch die gewählte Form der Ansprache für glücklich. „Ich würde keine Wette abschließen, dass die Briten tatsächlich aus der EU aussteigen. Und man stelle sich vor, die Stadt London träte in so einer Situation hierzulande in dieser Weise auf.“ Mit einer Standard-E-Mail und Anzeigen allein werde man überdies kein Unternehmen nach Berlin holen. „Ohne persönliche Gespräche beim Tee geht da gar nichts“, sagte der Wirtschaftsvertreter. Davon dürfte Yzer in den nächsten Wochen einige Tassen trinken. (Mit Kevin P. Hoffmann)

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