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Erheblicher Mangel. Deutschen Unternehmen fehlen vor allem Elektrotechniker, Metallbauer, Mechatroniker und Informatiker.
© Franziska Kraufmann/dpa

Kampf gegen den Fachkräftemangel: Wer gesucht wird – und wer kommen darf

Am Sonntag tritt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft, das Nicht-Akademiker aus dem Ausland anlocken soll. Ein Überblick über die Neuerungen.

In Deutschland fehlen nicht nur Ärztinnen und Ingenieure, sondern auch etliche Fachkräfte, die eine Berufsausbildung gemacht haben. Bislang hatten es Pflegende oder Handwerker aus Nicht-EU-Staaten jedoch schwer, ohne Universitätsabschluss herzuziehen. Sie mussten einen Beruf haben, in denen es einen extremen Mangel an Mitarbeitern gibt – und es wurde erst geprüft, ob nicht doch ein Deutscher oder EU-Bürger den Job machen kann. Das soll sich ab dem 1.März ändern. Dann nämlich tritt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft.

Wer kommen darf
Wer außerhalb der Europäischen Union lebt und beruflich ausgebildet ist, soll künftig auch ohne einen Arbeitsvertrag kommen und ein halbes Jahr lang einen Job suchen können. Das war in der Vergangenheit nur Akademikern möglich. Vorausgesetzt wird, der deutschen Sprache mächtig zu sein und für sich sorgen zu können. Was derjenige gelernt hat, muss mit den deutschen Anforderungen und Abschlüssen vergleichbar sein. Eine Ausnahme gibt es für dringend benötigte IT-Spezialisten mit mindestens drei Jahren Berufserfahrung und einem Gehalt von 4020 Euro im Monat oder mehr.

Ist jemand mindestens 45 Jahre alt, muss er mehr als 3700 Euro im Monat verdienen oder bereits eine Altersvorsorge aufgebaut haben, damit er im Ruhestand nicht in die Grundsicherung rutscht. Für alle gilt: Die Aufenthaltserlaubnis gilt zunächst für vier Jahre. Danach können Zuwanderer eine unbefristete Erlaubnis bekommen, falls sie noch den Job haben und 48 Monate in die Rentenkasse eingezahlt haben.

Wer am dringendsten gesucht wird
Die größten Engpässe bestehen laut der Bundesregierung bei Elektrotechnikern, Metallbauern, Mechatronikern, Köchen, Pflegenden, Informatikern und Softwareentwicklern. Für die Wirtschaft ist der Fachkräftemangel inzwischen ein enormes Risiko geworden. Wo die fehlenden Mitarbeiter herkommen sollen? Der Fokus liegt auf Asien und Südamerika. Es gibt Pilotprojekte mit Indien, Vietnam und Brasilien. Auch mit dem Handwerksverband in Bosnien-Herzegowina wurden erste Vereinbarungen getroffen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warb im Kosovo und in Mexiko persönlich um Pflegekräfte. Die Regierung will darauf achten, nur in Ländern zu suchen, die nicht selbst unter Personalnot leiden.

Gesucht werden unter anderem Pfleger.
Gesucht werden unter anderem Pfleger.
© dpa

Wie das Gesetz umgesetzt werden soll
Die Regierung will die Einwanderung mit Sprachangeboten, Werbekampagnen und Aufklärungsarbeit in den Herkunftsländern vorantreiben. Deutschland stehe im Wettbewerb mit anderen Ländern, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert kürzlich. „Gleichzeitig wollen wir auch, dass Menschen nicht voller Illusionen hier nach Deutschland kommen.“ Dabei gehe es nicht um Abschreckung. 2015 und 2016 habe es von Migranten aber zum Teil „vollkommen fehlgeleitete Erwartungen“ gegeben. Deswegen wolle man schon vor Ort erklären, wie wichtig die deutsche Sprache für eine berufliche Zukunft in der Bundesrepublik sei.

Es gibt außerdem eine neue Beratungsstelle in Bonn, die der Arbeitsagentur untersteht und sämtliche Fragen zum Prozedere beantwortet. „Sie sind die Lotsen in dem bunten Dickicht der Arbeitswelt“, sagte Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) bei der offiziellen Eröffnung vor einer Woche. Die Berater sollen per Telefon, Mails oder Chats interessierte Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten beraten, während diese noch in ihrer Heimat sind. Zum Beispiel erklären sie, welche Unterlagen notwendig sind – oder ob und wie der jeweilige Abschluss anerkannt wird. Die Mitarbeiter bearbeiten bereits die ersten Anfragen. Das Bildungsministerium fördert das Angebot in den ersten vier Jahren mit je 3,5 Millionen Euro.

Was Unternehmen tun können
Unternehmen können geeignete Kandidaten mit Hilfe des internationalen Personalservice der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) finden. Der ZAV – ebenfalls Teil der Arbeitsagentur – bekommt Bewerbungen von Partnerbehörden anderer Länder. Andersherum gibt der ZAV den Behörden im Ausland konkrete Stellen in Deutschland durch. Über das Portal „Make it in Germany“ der Bundesregierung können sich Unternehmen auch direkt Kurzprofile von qualifizierten Beschäftigten im Ausland durchlesen oder eine Stelle auf der Jobbörse des Portals veröffentlichen. Was auf dem Portal noch steht? Wann die nächste Rekrutierungsreise für deutsche Unternehmen stattfindet. Angekündigt ist derzeit eine nach Brasilien, um Fachkräfte aus dem aus dem Bereich Mechatronik und Elektrotechnik zu finden.

Oft führt die lange Bearbeitungsdauer durch die Ausländerbehörden trotz aller Bestrebungen dazu, dass ein Mitarbeiter aus einem anderen Land nicht eingestellt werden kann. Deswegen kann ein Arbeitgeber in Vollmacht des Bewerbers künftig ein beschleunigtes Verfahren beantragen. Gegen eine Gebühr von 411 Euro werden die Fristen für die Auslandsvertretung zur Visumvergabe verkürzt.

Mechatroniker und andere Fachkräfte können Unternehmen mit Hilfe des internationalen Personalservice der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) finden.
Mechatroniker und andere Fachkräfte können Unternehmen mit Hilfe des internationalen Personalservice der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) finden.
© picture alliance / dpa

Ob das Gesetz das Problem löst
„Die Leute werden uns nicht die Bude einrennen“, meint Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Immerhin sei das Wetter hierzulande nicht das beste und die deutsche Sprache schwer. Beides könne man nicht ändern. Zumindest sollen die Verfahren mit dem Gesetz einfacher werden.

Herbert Brücker, Migrationsexperte beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist da skeptisch. Er glaubt, dass die Anerkennung ausländischer Abschlüsse „die größte Hürde“ sei. Immerhin gibt es das deutsche Ausbildungssystem in seiner Form nirgendwo sonst. „Dadurch kommen viele Fachkräfte für die Einwanderung nach Deutschland nicht in Frage“, erklärte der IAB-Experte. Einen deutlichen Anstieg der Zuwanderung erwartet er deswegen nicht. Ein Beispiel: Hebammen aus Australien verfügen in der Regel über einen Masterabschluss. Hatten sie aber nicht das Thema Hausgeburt, müssen sie umfangreich nachqualifizieren, was Jahre dauern kann. Vor Kurzem hatte das IAB berechnet, dass bis 2060 jedes Jahr 260 000 Menschen nach Deutschland einwandern müssten, um den Fachkräftebedarf zu decken. Die Bundesregierung hofft, dass durch das Gesetz zumindest 25 000 Menschen kommen werden.

Was andere Länder tun
Während Deutschland seine Einwanderungsregeln lockert, werden sie in Großbritannien verschärft. Es sollen nur noch gut ausgebildete Fachkräfte kommen und weniger Geringqualifizierte. Das neue punkteorientierte Immigrationssystem nach australischem Vorbild soll am 1. Januar 2021 starten, wie Innenministerin Priti Patel mitteilte. Ob jemand aus der EU kommt oder nicht, wird nicht mehr entscheidend sein. Höchste Priorität haben für die Regierung Arbeitskräfte mit den „besten Fähigkeiten und den größten Talenten“, darunter Wissenschaftler und Ingenieure.

Nur wer speziell ausgebildet ist, gut verdient und die englische Sprache beherrscht, bekommt künftig ein Visum. Ob die neuen Regelungen reibungslos angewandt werden können, ist noch fraglich. Bislang ist die britische Wirtschaft stark auf billige Arbeitskräfte vor allem aus Osteuropa angewiesen, etwa in der Gastronomie und Pflege, auf Baustellen und in der Landwirtschaft.

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