Hygiene in Restaurants und Cafés: Wenn der Lebensmittelkontrolleur nicht kommt
Berliner Wirte sollen bald Hygienezeugnisse aushängen. Das Problem: Lebensmittelkontrollen finden kaum statt. Das Problem wächst.
Es ist ein bisschen Pech, dass Berlins Politik ausgerechnet jetzt versucht, Restaurants und Cafés zu besserer Hygiene und mehr Sauberkeit zu bewegen. Denn die Gastronomen, schwer von Corona gebeutelt, haben im Moment mehr Angst vor der Pleite als vor dem Besuch des Lebensmittelkontrolleurs.
Das verschiebt die Aufregungsskala sichtlich. Der Plan von Berlins Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt (Grüne), dass Gaststätten, Bäckereien, Metzgereien und Lebensmittelhändler in Berlin künftig die Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen gut sichtbar an der Eingangstür aushängen müssen, hätte in Vor-Corona-Zeiten den Blutdruck nicht weniger Unternehmer in die Höhe getrieben. Jetzt erklärt der Hauptgeschäftsführer des Berliner Hotel- und Gaststättenverbands, Thomas Lengfelder, man könne bei Behrendts geplantem „Transparenzbarometer“ mitgehen.
Die Milde hat zwei Gründe: Erstens will Behrendt Aushänge erst nach der Coronakrise zur Pflicht machen. Vor 2023 dürfte das nicht passieren. Und zum zweiten sollen Gastronomen schlechte Ergebnisse mit Hilfe einer Nachkontrolle aus der Welt schaffen können.
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Für Foodwatch bleibt Behrendt mit seinem Gesetzentwurf daher auf halber Strecke stehen. Die Verbraucherschutzorganisation lobt zwar, dass Berlin als erstes Bundesland die Rechtsgrundlage für eine Veröffentlichung aller Kontrollergebnisse schaffen will, für die Betriebe sei es aber „grotesk leicht“, eine positive Bewertung zu bekommen, heißt es in der Stellungnahme zum Gesetzentwurf. Statt des geplanten „Transparenzbarometers“, einem Balken, der von grün (gut) über gelb bis rot (schlecht) reicht, sollte Berlin lieber das Smiley-System wieder einführen. Pankow hatte damit bis 2014 gute Betriebe ausgezeichnet, bis der Bezirk von den Gerichten mangels Rechtsgrundlage gestoppt wurde.
Pankow will schon im November die Verbraucher informieren
Doch das ist jetzt anders. Seit einigen Monaten ist eine europäische Kontrollverordnung in Kraft, die Pankow als Grundlage für einen neuen Anlauf für transparenten Verbraucherschutz“ dient, wie das Ordnungsamt mitteilt. „Die Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung werden demnächst auf einer eigenen Internetseite abrufbar sein“, teilt Ordnungsstadtrat Daniel Krüger (für AfD) mit, das Ganze soll schon im November freigeschaltet sein.
Pankow will ein „Smiley-System“ einführen, „mit dem für die Kunden dokumentiert wird, dass in diesem Betrieb sauber gearbeitet wird“, so Krüger. Damit sollen seriöse Anbieter unterstützt werden. „Unternehmen, die sich nicht an die lebensmittelhygienischen Vorgaben halten, sparen sich zusätzliche Ausgaben auf Kosten der seriös arbeitenden Firmen und Verbraucher und können somit Dumpingpreise anbieten“, betont Krüger.
Künftig sollen die Pankower Verbraucher erfahren können, ob die Vorschriften bezüglich Personal- und Produktionshygiene eingehalten werden, sich Lieferwege zurückverfolgen lassen und ob die Dienstkräfte geschult sind. Zudem gibt es Aussagen darüber, ob Lebensmittel richtig gelagert und entsprechend gekühlt werden, wie der bauliche und bauhygienische Zustand ist, ob vorschriftsgemäß gereinigt und desinfiziert wird. Auf Wunsch würde Pankow das Know-How auch anderen Bezirken zur Verfügung stellen, sagt Krüger. Veröffentlicht werden aber nur neue Testergebnisse, keine Altlasten. Und so lange Behrendts Gesetz nicht in Kraft ist, kann Pankow die Betriebe nicht verpflichten, die Ergebnisse auch auszuhängen. Das geht derzeit nur auf freiwilliger Basis.
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Foodwatch: Schluss mit der Geheimniskrämerei
„Was Pankow vormacht, ist überfällig und in ganz Deutschland möglich“, lobt Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. „Mit der Geheimniskrämerei bei den Ergebnissen der amtlichen Lebensmittelkontrolle muss endlich Schluss sein“, fordert der Verbraucherschützer, „sie schützt allein die Schmuddelbetriebe.“ Mit der Online-Plattform „Topf Secret“ versuchen Foodwatch und die Initiative „FragDenStaat“ seit Jahren, Licht ins Dunkel zu bringen – über einen Umweg. Verbraucher rufen bei den Behörden unter Berufung auf das Verbraucherinformationsgesetz die Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelkontrollen ab und stellen diese dann ins Internet. Für den Bezirk Pankow will Foodwatch das jetzt jedoch einstellen.
In Berlin findet jede zweite Kontrolle nicht statt
So ambitioniert Berlin bei der Veröffentlichung der Kontrollergebnisse ist, so schlecht ist es auf der anderen Seite um die Personalausstattung in den Behörden bestellt. Von 117 Stellen für Lebensmittelkontrolleure sind 25 unbesetzt. Die Lebensmittelkontrolle ist Bezirkssache, doch viele Bezirke kommen mit den Kontrollen nicht hinterher. Jede zweite vorgeschriebene Kontrolle entfällt, weil kein Mitarbeiter da wäre, die Betriebe zu überprüfen. Von den 57 888 Berliner Lebensmittelbetrieben wurden im vergangenen Jahr gerade einmal 18 945 überprüft.
Dabei gäbe es genug zu tun, wie die Neuköllner Ekelbäckerei Höhn oder – in Hessen – der Wursthersteller Wilke gezeigt haben. Trotz indiskutabler hygienischer Zustände wurde munter weiter gearbeitet, bis die Behörden nach Jahren die Läden endlich dicht machten.
Wie oft ein Betrieb Besuch von der Lebensmittelkontrolle erhält, hängt davon ab, was er tut und wie er das in der Vergangenheit bewältigt hat. Unternehmen, die frisches Fleisch verarbeiten, werden häufiger kontrolliert als Kioske. Sind Firmen bereits bei Verstößen erwischt worden, müssen sie ebenfalls mit häufigeren Kontrollbesuchen rechnen.
Künftig wird weniger kontrolliert
Vielen Unternehmern wird aber schon bald nur noch seltener auf die Finger geschaut. Das liegt an einer Gesetzesänderung. In wenigen Tagen tritt die Änderung einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AVV Rüb) in Kraft, die das Kontrollregime dem Personalmangel anpasst. „Risikobetriebe werden künftig häufiger kontrolliert“, betont eine Sprecherin des Bundesernährungsministeriums, auch anlassbezogene Überprüfungen sollen ausgeweitet werden. Zudem schreibe man den Ländern jetzt eine verbindliche Mindestregelung vor. „Es wird insgesamt zu mehr Kontrollen kommen“, versichert das Ministerium.
Doch Praktiker sehen das anders. Rund ein Drittel der allgemeinen Regelkontrollen werden entfallen, kritisiert der Vize-Vorsitzende des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure Deutschland, Maik Maschke. Das gehe mit einer Aufweichung des Verbraucherschutzes einher.
„Betriebe, die bislang 250 Mal im Jahr kontrolliert worden sind, werden jetzt nur noch einmal wöchentlich überprüft“, bemängelt auch Martin Rücker von Foodwatch. Eklatant sei das etwa im Fall Wilke. Nach der neuen Ordnung müsste der Betrieb nur noch vier Mal im Jahr statt zwölf Mal untersucht werden.
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