Wegen Coronavirus: Weltweite Versorgung mit Arzneimitteln ist bedroht
Aus Zentralchina importiert Deutschland 48 Wirkstoffe, die hierzulande als versorgungsrelevant gelten. Die Abhängigkeit könnte zum Problem werden.
Seit Langem wird davor gewarnt, dass die weltweite Arzneimittelproduktion von China abhängt. Nun wird das Problem greifbar: Während sich das Coronavirus weiter ausbreitet, drohen weltweit Arzneimittel-Lieferengpässe, weil China vom Handel abgeschottet wird. Wie Tagesspiegel Background erfuhr, gibt es 17 Wirkstoffe, die in Wuhan hergestellt und als versorgungsrelevant eingestuft werden. In der gesamten zentralchinesischen Provinz Hubei sind es 48 versorgungsrelevante Wirkstoffe.
Noch gibt sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelassen. Auf Nachfrage, wie die aktuelle Gefahrenlage einzuschätzen sei, erklärte Sprecher Maik Pommer: Es lägen „bislang keine Hinweise vor, dass es aufgrund des Coronavirus zu kurzfristigen Liefer- oder Versorgungsengpässen kommen wird“. Die Behörde stehe aber in engem Austausch mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und habe auch den Jour Fixe zu Liefer- und Versorgungsengpässen aktiv eingebunden, um belastbare Informationen zu erhalten, ob es beispielsweise aufgrund von „Zwangsferien“ in der betroffenen Region, Quarantänen oder Unterbrechungen von Lieferwegen zeitverzögert zu Lieferengpässen von versorgungsrelevanter Arznei kommen könnte.
Große Abhängigkeit von China
Unterstützung bei der Sammlung von Informationen erfährt das BfArM unter anderem vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), der sich an seine Mitgliedsunternehmen wendet. Informationen sollen dabei gebündelt werden, um die Gefahrenlage besser abschätzen zu können. Das dürfte jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen, weil man auf Rückmeldung vieler Unternehmen – teilweise Konzernen mit internationalen Strukturen – setzen müsse.
Wie abhängig Deutschland von Chinas Arzneimittelwirkstoffherstellung ist, zeigte sich zuletzt 2018. Damals wurden Verunreinigungen des Wirkstoffs Valsartan mit N-Nitrosodimethylamin bei dem Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical Co gefunden. Das führte zu einer drastischen Steigerung der gemeldeten Arzneimittel-Lieferengpässe in Deutschland. Michael Horn, Leiter der Abteilung Zulassung beim BfArM, sprach jüngst auf einem Forum von 118 Erstmeldungen im Jahr 2018, die sich nur auf den Valsartan-Fall bezogen. Betroffen war damals lediglich ein Hersteller – damit jedoch ganze 40 Prozent aller auf Valsartan eingestellten Patienten.
Der Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für Arzneimittelpolitik und Apotheken, Michael Hennrich, sagte mit Blick auf eine mögliche Verschärfung der Arzneimittellieferengpässe: „Das sind momentan nur Spekulationen. Es zeigt jedoch, dass das Thema weiter Fahrt aufnimmt.“ Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, ist nicht erst seit dem Ausbruch des Coronavirus besorgt über die Situation. Der Onkologe berichtet von verschobenen Stammzelltransplantationen, weil Medikamente nicht pünktlich geliefert wurden und dem aktuell größten Problem mit dem Antidepressivum Venlafaxin. Weil es seit mehreren Monaten in verschiedenen Stärken schwer oder gar nicht lieferbar ist, muss es mit Trevilor des Originalherstellers Pfizer ausgetauscht werden. Für die Patienten bedeutet das nicht nur eine Zuzahlung von zirka 150 Euro für 100 Kapseln, sondern auch gesundheitliche Risiken. Der Austausch sei nicht so einfach möglich, sagt Ludwig. Er fordert deshalb unter anderem ein Bewertungssystem für die Robustheit der Lieferketten.
Auch die USA fürchten Lieferengpässe
Nicht nur in Deutschland ist man aktuell in Alarmbereitschaft. Auch die USA fürchten drohende Lieferengpässe von Arzneimittelwirkstoffen aus China. Nach Angaben der Food and Drug Administration (FDA) sind 13 Prozent aller Ausgangsstoff-Produzenten für Arzneimittel, die in den USA verkauft werden, in China ansässig. Hinzu kommt, dass die USA 40 Prozent der Generika aus Indien importieren. Indien wiederum soll etwa 70 Prozent seiner Rohstoffe aus dem Reich der Mitte beziehen.
Dabei spielen auch die Transportwege eine Rolle: Die Deutsche Verkehrszeitung meldet, dass die russische Frachtfluggesellschaft Airbridgecargo (ABC) wegen des Coronavirus als erster reiner All Cargo Carrier alle Linienverbindungen von Europa nach China streicht. Der europäische Verladerverband ESC warnte unterdessen vor Kapazitätsengpässen und Preissteigerungen.
Lufthansa Cargo hatte bereits am Freitag einen sehr eingeschränkten Sonderflugplan für Frachtflugzeuge von und nach China veröffentlicht. Inwieweit davon auch Arzneimittellieferungen betroffen sind, ist noch unklar. Das BfArM verspricht Transparenz: „Sollten sich Hinweise auf eine Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln durch den Ausbruch des Coronavirus ergeben, wird das BfArM diese umgehend und in geeigneter Form kommunizieren“, sagte Pommer.