Lieferengpässe bei Medikamenten: Koalition will Pharmakonzerne in Europa fördern
Immer mehr Pharmaunternehmen verlagern ihre Produktion aus Europa heraus. Die Bundesregierung sucht Lösungen, um die Versorgung mit Arzneien sicherzustellen.
Pharmahersteller, die in Europa produzieren und damit Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln verhindern, könnten nach Informationen des Briefings „Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health“ bald mit Preisaufschlägen belohnt werden. Bereits Anfang dieser Woche kündigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an, „auf internationaler Ebene nach Lösungen zu suchen, damit wieder Arzneimittel in Europa hergestellt werden“.
Denkbar sei auch ein Gütesiegel „Made in Europe“ für Arzneimittel
Gesundheitspolitiker der Koalition und Arzneimittelexperten der Bundesärztekammer skizzieren nun einen wahrscheinlichen Weg: Demnach könnten Hersteller mit europäischen Produktionsstandorten bei Ausschreibungen für Arzneimittelverträge bevorzugt werden und auch mehr Geld bekommen.
Denkbar sei auch ein Gütesiegel „Made in Europe“ für Arzneimittel, sagte Wolf-Dieter Ludwig, der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, einer Einrichtung der Bundesärztekammer. Nötig wären dafür aber unter anderem Anpassungen des europäischen Vergaberechts bei Arzneimittelausschreibungen.
Ludwig war Teilnehmer einer Sitzung, die vor wenigen Wochen vom Michael Hennrich (CDU), dem Obmann der Unionsfraktion im Gesundheitsausschuss des Bundestags, initiiert wurde. Dabei waren auch andere Gesundheitspolitiker sowie Vertreter der Ärzteschaft, der Apotheker, des Großhandels und der Pharmaindustrie zugegen.
„Die Verlagerung der Produktion raus aus Europa ist ein riesiges Problem“, sagte Ludwig zu „Tagesspiegel Background“. „Ich unterstütze Spahn da zu 100 Prozent“. Hersteller mit dem von Ludwig vorgeschlagenen Gütesiegel könnten bei Ausschreibungen von Lieferverträgen bevorzugt werden und einen Aufschlag bekommen.
[Im Januar startet der Tagesspiegel das neue Entscheider-Briefing „Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health“. Jetzt registrieren und bereits in der Betaphase dabei sein: background-briefing.tagesspiegel.de/gesundheit]
Nach Ansicht des Unions-Gesundheitspolitikers Hennrich ist eine Bevorzugung von Herstellern aus Europa rechtlich wahrscheinlich nicht umsetzbar. Wohl aber könnte man dies indirekt durchsetzen, indem die Vorgaben für Arzneimittellieferverträge bei Produktionsbedingungen, dem Umweltschutz, Sozialstandards, Lieferbedingungen und anderen Parametern so formuliert würden, dass sie außerhalb Europas nicht zu halten seien. Hersteller, die diese Mindestbedingungen erfüllten, wären Hennrich zufolge dann im Vorteil.
Mit der SPD scheint Einigkeit zu bestehen. Deren gesundheitspolitische Sprecherin, Sabine Dittmar, erklärte, dass „auch wir es für notwendig halten, im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft darauf hinzuwirken, die Herstellung von Arzneimitteln in Europa zu fördern“. Deutschland übernimmt im Sommer 2020 die Präsidentschaft.