DGB fordert Umdenken der Arbeitsagentur: Weiterbildung statt blinder Vermittlung
Der Fokus der Arbeitsagentur liegt darauf, Erwerbslose schnell in Jobs zu vermitteln. Wegen der Digitalisierung fordert die Gewerkschaft einen Prinzipienwechsel.
Wer seinen Job verliert, soll so schnell wie möglich einen neuen annehmen. Auch wenn er unterhalb der eigentlichen Qualifikation und Verdienstmöglichkeit liegt. Um den Druck auf Erwerbslose dahingehend zu erhöhen, wurde die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes im Rahmen der Agenda 2010 bewusst auf zwölf Regelmonate verkürzt. Die Vermittlung in Arbeit stand seitdem im Fokus. Im Zuge der Digitalisierung bestimmt derzeit das Thema Weiterbildung die Debatten. Wer sich fortbildet, soll nach Vorstellung der SPD sogar länger Arbeitslosengeld erhalten können. Deswegen fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund von der Arbeitsagentur, ihr „Work-First“- Prinzip doch einmal zu überdenken.
Statt der "Vermittlung um jeden Preis" soll eine Stärkung der beruflichen – insbesondere der abschlussbezogenen – Weiterbildung die "zentrale Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik werden", steht in einem Positionspapier des DGB, das dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt. Weiter heißt es: "Die noch immer schleppende Entwicklung bei der beruflichen Weiterbildung ist bedauerlich."
Langzeitarbeitslose werden vernachlässigt
In den vergangenen Jahren sei die Förderung von beruflicher Weiterbildung immer mehr zurückgegangen. 1994 nahmen im Schnitt rund 560 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Maßnahmen dieser Art teil. 2001 waren es rund 350 000, 2016 rund 150 000. Noch dramatischer beurteilt die Gewerkschaft diese Entwicklung bei Maßnahmen mit einem beruflichen Abschluss. Hier habe sich die Teilnehmerzahl von 2001 (150 000) bis 2016 (73 000) ebenfalls mehr als halbiert. Dass sich die Arbeitsagentur so auf die Jobvermittlung konzentriert, basiert auf der Erfahrung: Je länger jemand arbeitslos ist, desto schwerer findet er prinzipiell wieder Arbeit.
Bei der Weiterbildung, so die Gewerkschaft, stünde außerdem die falsche Zielgruppe im Mittelpunkt. Zwar habe die Politik das Thema erkannt hat und sogar zum Wahlkampfthema gemacht. Sie würde aber diejenigen vernachlässigen, die am meisten auf Hilfe angewiesen seien: Langzeitarbeitslose, Unqualifizierte und sonstige Bezieher von Hartz IV, die vom Arbeitslosengeld Q beispielsweise nicht profitieren würden. Gerade bei ihnen spiele auch die Förderung von Berufsabschlüssen kaum eine Rolle, obwohl die Mehrheit keine Ausbildung gemacht hat und jeder Fünfte nicht einmal einen Schulabschluss besitzt. „Deshalb ist als erster Schritt eine Qualifizierungsoffensive im Hartz-IV-System nötig“, schreibt der DGB.
Mehr Anreize für Fortbildung statt Ein-Euro-Job
Das Ungleichgewicht werde auch dadurch deutlich, dass für jene, die Arbeitslosengeld I erhalten, ein eigener Fördertopf für Weiterbildungen geschaffen wurde. Für dieses Jahr beträgt er 1,66 Milliarden Euro (plus 389 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr). Im Hartz-IV-System gebe es einen solchen Fördertopf nicht. Dabei würden Studien zur Wirkung von Weiterbildungsmaßnahmen zeigen, dass Langzeitarbeitslose davon ebenso profitieren könnten. So empfiehlt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer aktuellen Stellungnahme, zur Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit mehr auf Qualifizierung zu setzen.
Was Arbeitslose daran hindert, an einer Weiterbildungsmaßnahme teilzunehmen, sind laut dem DGB vor allem Geldfragen. Der meist genannte Grund sei, nicht zu wissen, ob man danach einen finanziellen Vorteil habe. Der zweite, dass man es sich nicht leisten könne, länger aufs Einkommen zu verzichten. Deswegen gehöre zu einer Reform, „die finanziellen Anreize für Weiterbildung zu stärken“. Zur Zeit sei der Zugewinn bei einer zweijährigen Weiterbildungsteilnahme trotz Prämie niedriger als bei einem Ein-Euro-Job.
Ob der Chef der Arbeitsagentur, Detlef Scheele, den Forderungen der Gewerkschaft zustimmt, ist fraglich. Als die SPD das Arbeitslosengeld Q vorstellte und von einem Recht auf Weiterbildung sprach, meinte er: „Im Augenblick ist es leider eher so, dass wir den Leuten hinterherlaufen und froh sind um jeden, der sich fortbildet. Außerdem sei es wichtig, dass jeder, der sich weiterbilde, dennoch zügig vermittelt werde. Sonst würde sein Wissen in Zeiten wie diesen schnell wieder veraltet sein.