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Geht bald das Licht aus? Tankstellen müssen im E-Zeitalter umdenken.
© imago images/photothek

E-Autos brauchen neue Infrastruktur: Was wird im Elektrozeitalter aus den Tankstellen?

Zwei Minuten tanken, ein Snack im Shop - und weiter geht's. Das Konzept geht mit E-Autos nicht auf. Aral, Shell und Co. müssen deshalb umdenken.

Es ist die alte Frage von Henne und Ei: Sie lässt sich auch für die Elektromobilität stellen und offenbart ihr Dilemma: Gab es zuerst die Ladestation oder das Elektroauto? Oder anders gefragt: Beschleunigt der Ausbau der Infrastruktur den Stromer-Bestand oder ist es umgekehrt? Diese Frage ist für die Tankstellen von Bedeutung, für die sich der Spritverkauf mit jedem neu zugelassenen Elektroauto marginalisiert.

In der Elektromobilität herrscht viel Bewegung: Mit 23.816 neu zugelassenen batteriebetriebenen Elektro-Pkw (BEV) im April 2021 erreichte diese Antriebsart eine Steigerung von plus 413,8 Prozent und einen Anteil von 10,4 Prozent. Hinzu kommen 26.988 Plug-in-Hybride (PHEV). Insgesamt wurden in Deutschland mehr Elektrofahrzeuge als Diesel (plus 50 195) neu zugelassen, so die aktuelle Statistik des Kraftfahrtbundesamtes. Wie also stellen sich die Mineralölkonzerne die Zukunft ihrer Tankstellen vor?

Vom hoch besteuerten Treibstoff allein können die Pächter längst nicht mehr überleben. Das Shop-Geschäft gehört zu den wichtigsten Umsatzquellen, wie die Branchenstudie des Bundesverbands der Freien Tankstellen zeigt. Der Verkauf von Ladestrom für Elektroautos könnte somit zum Zubrot der Tankstellenpächter und später auch zu einer entscheidenden Einnahmequelle werden.

Viel öffentliche Förderung für Ladesäulen

Geld für Investitionen in die Ladeinfrastruktur steht jedenfalls zur Verfügung. Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) wird bis Ende 2025 den Aufbau von Ladesäulen mit rund sechs Milliarden Euro fördern. Die Bundesregierung hat nach dem Autogipfel vom November 2020 beschlossen, dass bis Ende 2022 Schnelllade-Infrastruktur mit mindestens 150 kW an einem Viertel der Tankstellen, bis Ende 2024 an jeder zweiten und bis Ende 2026 an drei Vierteln aller Tankstellen vorhanden sein soll.

Diese Forderung setzt die Mineralölkonzerne unter Druck, Ausbaupläne für Ladeinfrastruktur zu forcieren. Drei Monate nach dem Autogipfel erklärte der deutsche Tankstellen-Marktführer Aral, bis Ende 2021 insgesamt 500 Ladepunkte mit bis zu 350 Kilowatt Ladeleistung an mehr als 120 Tankstellen in Betrieb zu nehmen.

„Angesichts der steigenden Nachfrage nach Elektrofahrzeugen ist die Zeit reif, auch den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu beschleunigen“, sagte Aral-Vorstand Patrick Wendeler bei der Einführung der Schnelllade-Marke „Pulse“. Bis Ende Februar hatte das Unternehmen rund 100 Ladepunkte an 25 Tankstellen in Betrieb.

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Shell, bei der Anzahl der Tankstellen die Nummer Zwei in Deutschland, hat Ende 2019 begonnen, Ladesäulen an Tankstellen zu bauen. „Aktuell bieten wir rund 150 Ladepunkte auf Shell Stationen an, bis 2030 wollen wir an 1000 Stationen rund 3000 Ladepunkte anbieten“, sagte eine Sprecherin des Mineralölkonzerns. Damit wäre jede zweite Tankstelle des Unternehmens für Elektroautos geeignet. Seit 2019 kooperiert das Unternehmen beim Ausbau der Ladeinfrastruktur zudem mit dem Energiekonzern EnBW. Im Rahmen der Kooperation sollen 50 Tankstellen mit insgesamt 100 Schnellladepunkten ausgestattet werden.

Shell im Joint Venture mit Autobauern

Shell setzt auch auf Netzwerke: So hat sich das Unternehmen dem Joint Venture „Ionity“ von BMW, Daimler, Volkswagen, Audi, Porsche und Ford angeschlossen. Bis Ende 2020 sollen zunächst 80 der größten Shell Autobahn-Stationen in Europa mit 350 kW-Schnellladesäulen ausgerüstet werden. Zudem hat Shell im Januar 2021 den Kauf des Berliner Lade-Startups Ubitricity angekündigt. Dieses Unternehmen baut Laternenmasten zu Ladestationen um, hatte damit in Deutschland einen schweren Start, verzeichnete in England aber einige Erfolge.

Der Verkauf von Ladestrom könnte für Tankstellen später einmal zu einer entscheidenden Einnahmequelle werden. Aber aktuell sind zunächst Investitionen erforderlich.
Der Verkauf von Ladestrom könnte für Tankstellen später einmal zu einer entscheidenden Einnahmequelle werden. Aber aktuell sind zunächst Investitionen erforderlich.
© imago/Action Pictures

Total Deutschland, die Nummer Drei unter den Tankstellenmarken, will mit Ladeinfrastruktur an B2B-Standorten wachsen. Eines der jüngsten Beispiele ist die Installation von 62 Ladesäulen für den Automatisierungsspezialisten ifm. Er stellt seinen Fuhrpark auf emissionsfreie Fahrzeuge um. In fünf Monaten wurden sieben Standorte des Unternehmens angeschlossen. Um im Bereich der Ladeinfrastruktur zu wachsen, hat Total die Elektromobilitätssparte des Münchener Unternehmens Digital Energy Solutions von der Viessmann Group übernommen. Ziel ist es laut einer Mitteilung, die Anzahl der Ladepunkte von derzeit 2400 bis 2025 auf über 40.000 zu erhöhen.

Insgesamt verläuft der Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge nach Angaben des Autoindustrieverbands VDA aber weiterhin schleppend. Durchschnittlich steht in Deutschland demnach ein öffentlich zugänglicher Ladepunkt für 17 E-Autos zur Verfügung, wie der Verband in dieser Woche mitteilte.

Kooperation mit Carsharing-Diensten

Tankstellen werden auch zu Mobilitätshubs. Seit einiger Zeit zeigt Aral den Prototypen seiner Tankstelle der Zukunft in Berlin (Holzmarktstraße). Neben dem klassischen Kraftstoff-Angebot und einem Rewe-Shop bietet das Unternehmen Ladesäulen mit 320 kW. Sie sind – anders als branchenüblich – batteriegespeist. In Kooperation mit Sharing- und Mobilitätsanbietern, einem Akku-Wechselautomaten sowie der Anknüpfung an den ÖPNV ist die Tankstelle außerdem ein Umsteigeplatz. Zusätzlich zum aktuellen Angebot beschreib Aral 2019 Tankstellen zusätzlich als Umschlagplätze für Logistikunternehmen, vor allem im ländlichen Raum.

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Aktuelle Marktanalysen wie der Electromobility Report des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach sieht im ansonsten schrumpfenden Pkw-Zulassungsmarkt einen Boom der Elektromobilität. Mehr als ein Fünftel der Neuzulassungen hat einen Elektroantrieb unter der Haube (BEV+PHEV). Das sind fast drei Mal mehr als ein Jahr zuvor. Die Prognosen der Mineralölwirtschaft sind da zurückhaltender. So sagt die Zukunftsstudie der Aral für das Jahr 2040 einen Anteil konventionell angetriebener Fahrzeuge von zirka zwei Dritteln voraus.

„Wir rechnen in den nächsten zehn Jahren mit sechs bis acht Millionen zugelassenen E-Fahrzeugen in Deutschland“, sagt eine Shell-Sprecherin über aktualisierte Studienzahlen. „Wir gehen davon aus, dass zukünftig ein Fünftel der Ladevorgänge an Tankstellen stattfinden werden.“ Da müsse es schnell gehen. Ladestopps an den 150-kW- Schnellladesäulen sollen in weniger als zehn Minuten beendet sein.

Die Eingangsfrage von Henne und Ei lässt sich beim Thema Elektromobilität übrigens beantworten, wie das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen (RWI) herausgefunden hat: Ein Ausbau von herkömmlichen Ladepunkten um zehn Prozent führt zu einem Anstieg des Kaufs von E-Autos um 5,4 Prozent, heißt es in einer im Februar 2021 veröffentlichten Studie. Der Effekt von zusätzlichen Schnellladepunkten auf die Nachfrage nach E-Autos könnte sogar etwa viermal so groß sein.

Jürgen Stüber

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