„Green Deal“ der EU vorgestellt: Was von der Leyens Klimaschutz-Offensive für die Verbraucher bedeutet
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will die Klimaziele der EU deutlich verschärfen. Autofahren, Wohnen und Fliegen könnten dadurch teurer werden.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihren „Green Deal“ vorgestellt. Er ist das zentrale Projekt ihrer Amtszeit in Brüssel. Kern des „Green Deal“ sind zwei Ziele: Ein Klimagesetz, das bis März 2020 vorliegen soll, soll die „Klimaneutralität 2050“ unumkehrbar verankern. Bis dahin sollen alle Treibhausgase vermieden oder gespeichert werden. Nötig ist dafür ein kompletter Umbau von Industrie, Energieversorgung, Verkehr und Landwirtschaft.
Der Plan sieht vor, die Klimaschutzziele bis 2030 kräftig zu erhöhen. Bislang peilt die EU an, bis dahin 40 Prozent weniger CO2 auszustoßen als im Vergleichsjahr 1990. Von der Leyen geht auf 50 Prozent und behält sich offen, noch fünf Prozent draufzulegen, wenn andere große Emittenten wie China und Indien im Laufe des nächsten Jahres Signale senden, dass sie mitmachen.
Von 2050 an soll die EU keine neuen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre abgeben. Diesen „Green Deal“ stellte Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Mittwoch vor. Für Bürger würde das bedeuten: Autos ohne Abgase kaufen oder Bahn fahren, Häuser dämmen, Heizungen erneuern und grünen Strom beziehen. Bauern und Industrie sollen die Produktion umstellen. Allein bis 2030 soll dazu eine Billion Euro investiert werden.
Von der Leyen sieht ihr Klimapaket als Wachstumsmotor für Europa. „Der Europäische Grüne Deal ist unsere neue Wachstumsstrategie“, sagte sie in Brüssel. Demnach sollen zusätzliche jährliche Investitionen in Milliardenhöhe dazu führen, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird und sich zugleich zum weltweiten Spitzenreiter bei grüner Technologie und Industrie aufschwingt. Dies sei Europas „Mann-auf-dem-Mond-Moment“. Der „Green Deal“ ist aber zunächst nur ein angekündigtes Gesetzgebungsprogramm, die Details werden erst 2020 und 2021 vorgestellt.
An den neuen Klima-Zielen soll die gesamte EU-Gesetzgebung ausgerichtet werden. Umgesetzt soll sie mit einer Mischung aus Anreizen, Hilfen und Vorgaben werden. Eine wichtige Rolle dabei soll ein „Just Transition“-Fonds für einen sozial gerechten Strukturwandel spielen. „Wir haben das Ziel, 100 Milliarden Euro an Investitionen für die am stärksten gefährdeten Sektoren und Regionen zu mobilisieren“, sagte von der Leyen. Mit dem Geld sollen tiefgreifende Transformationsprozesse überall und in allen Wirtschaftsbereichen angestoßen werden.
„Green Deal“: So will die EU Klimaneutralität bis 2050 erreichen
- Die EU-Mitgliedsstaaten werden aufgefordert, bis 2023 ihre Klimapläne zu aktualisieren. Dafür soll die EU-Kommission ein Gesetz erarbeiten.
- EU-Staaten, die für die Klimaneutralität besonders viel Geld ausgeben müssen, sollen Unterstützung erhalten. Das Budget dafür beträgt 100 Milliarden Euro.
- Bis Juni 2020 sollen Gesetzesinitiativen vorgelegt werden. Das können zum Beispiel Gesetze zu erneuerbaren Energien oder zum motorisierten Verkehr sein.
- Benzin und Heizen könnten teurer werden, denn die Kommission will Straßenverkehr und Gebäude in den Europäischen Emissionshandel einbeziehen.
- Branchen, die besonders viel CO2 ausstoßen, müssen höhere Preise für sogenannte Verschmutzungszertifikate zahlen.
- Voraussichtlich werden Fliegen und Schiffstransporte teurer. Der Grund ist der Ausbau des Emissionshandels.
- Die Europäische Investitionsbank soll zinsgünstige Darlehen für Klimaschutz-Investitionen anbieten.
- Exporte sollen günstiger werden, um die höhere CO2-Abgaben auszugleichen.
Was ist Klimaneutralität?
Klimaneutralität heißt für die EU, dass von 2050 an keine neuen Treibhausgase aus Europa in die Atmosphäre gelangen. Damit soll die Überhitzung der Erde gebremst werden. Dafür muss der größte Teil der Klimagase, die zum Beispiel bei der Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas und in der Landwirtschaft entstehen, vermieden werden. Der Rest muss gespeichert werden.
Breite Unterstützung für den Deal im EU-Parlament
Noch nicht alle EU-Staaten unterstützen das Vorhaben. Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag wehrten sich Polen, Ungarn und Tschechien weiter. Sie sind gegen die Festlegung auf den Deal, ohne dass es konkrete Zusagen für finanzielle Hilfen gebe. EU-Ratschef Charles Michel appellierte an alle Staaten, das neue Klimaziel mitzutragen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dies bereits getan.
Im Europaparlament aber, wo von der Leyen ihr Programm am Mittwochnachmittag als erstes vorstellte, kann sie auf breite Unterstützung zählen. Die großen Fraktionen Europäische Volkspartei, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne signalisierten grundsätzliche Rückendeckung. Die Linke will ein noch ehrgeizigeres Programm.
Der „Green Deal“ als Wachstumsmotor
Neun von zehn Bürgern in Europa verlangten entschlossenen Klimaschutz, betont von der Leyen in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. „Der europäische Grüne Deal ist Europas Antwort auf die Forderungen unserer Bürgerinnen und Bürger. Es ist ein Deal für Europa und ein Beitrag zu einer besseren Welt.“
In dem Beitrag wirbt von der Leyen auch mit wirtschaftlichen Argumenten für den Deal. „Er wird die Emissionen senken und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und unsere Lebensqualität verbessern“, schreibt von der Leyen in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Zweifeln aus der Wirtschaft widersprach sie: „Wir wissen, dass wir es schaffen können.“
Der Deal sieht 50 Aktionen vor, sagte von der Leyen am Mittwoch. Das alte Wachstumsmodell, das auf fossilen Energien und Verschmutzung gründe, habe sich überlebt. Gefragt sei nun eine Strategie „für ein Wachstum, das mehr zurückgibt als es wegnimmt.“
Bis März will die Kommission zudem einen Vorschlag für ein Klimagesetz vorlegen, das für die EU im Jahr 2050 Klimaneutralität vorsieht. Der Umweltexperte der Unionsabgeordneten im Europa-Parlament, Peter Liese: „Von der Leyen ist genau auf der richtigen Linie.“ Die EU müsse „ambitioniert“ sein und die Klimaziele erhöhen.
Auf 55 Prozent oder noch höher zu gehen, wie Grüne fordern, lehnt Liese ab. Es wäre mit großen Herausforderungen für die Industrie und Verbraucher verbunden. „Das kann man nur machen, wenn es Teil einer internationalen Aktion ist.“ Doch schon jetzt wird sich für die Bürger einiges ändern:
Wo wird der „Green Deal“ wehtun?
Wenn die EU sich strengere Ziele beim Klimaschutz setzt, kann das nicht ohne Folgen für Verbraucher und Unternehmen sein. Klar ist, dass die gesamte EU- Umwelt- und Klimagesetzgebung auf den Prüfstand kommt, die ja bisher darauf ausgerichtet war, bis 2030 „nur“ 40 Prozent weniger Klimagase auszustoßen. Bestehende Gesetze müssen womöglich wieder aufgemacht und geschärft werden, neue Maßnahmen und Instrumente werden hinzukommen müssen. Die Kommission wird am Mittwoch offenlassen, welche Gesetze womöglich wieder angefasst werden müssen. Sie wird lediglich sagen, dass sie handeln wird, wenn die Ziele drohen, verfehlt zu werden.
Welche EU-Gesetze zu Klima und Energie stehen auf dem Prüfstand?
Es geht um fünf Bereiche, die möglicherweise geschärft werden müssen. Zum einen sind es die EU-Vorgaben für den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Da war bislang ein Anteil von 32 Prozent bis 2030 vereinbart. Zudem geht es um Energieeffizienz, die um 32,5 Prozent steigen soll. Dann sollen die Verbindungen zwischen den Stromnetzen um 15 Prozent zulegen, damit der Strom aus Erneuerbaren besser transportiert werden kann. Außerdem soll der CO2-Ausstoß von Autos zwischen 2021 und 2030 noch einmal um 37,5 Prozent sinken. Für Lastwagen und Lieferwagen gibt es ähnliche Ziele. Es könnte sein, dass all diese Ziele noch einmal verschärft werden müssen.
Wo sind Mehrkosten durch den „Green Deal“ zu erwarten?
Autofahren und Wohnen könnten teurer werden. Die Kommission will nämlich sowohl den Straßenverkehr als auch Gebäude in den Europäischen Emissionshandel (ETS) einbeziehen. Dies würde bedeuten, dass die Preise an der Tankstelle sowie beim Heizen der Wohnungen zulegen. Da schon jetzt der Ausbau von Erneuerbaren Energien in vielen Mitgliedstaaten den Zielen hinterher hinkt – vor allem beim Heizen, Kühlen und im Transportsektor – könnte die Kommission hier ohnehin gezwungen sein, strengere Vorgaben machen. Auch Sanierungsquoten je Mitgliedsland für die Wärmeisolierung von Gebäuden wären denkbar. Für Hausbesitzer wäre dies mit höheren Investitionen verbunden. Nutzer könnten dagegen über niedrigere Heizkosten profitieren.
Wo müssen Unternehmen mit Mehrkosten rechnen?
Energieintensive Branchen werden den höheren Preis für Verschmutzungszertifikate zu spüren bekommen. Vor allem Produzenten von Stahl und Zement sind betroffen. Nach ersten Berechnungen könnte die Herstellung eines Autos über höhere Stahlpreise 80 Euro mehr kosten. Die Kommission plant zudem erstmals Instrumente, mit denen der Schiffsverkehr und die Landwirtschaft zu stärkeren Beiträgen für den Klimaschutz herangezogen werden sollen.
Das Emissionshandelssystem soll ausgeweitet werden, was voraussichtlich auch das Fliegen teurer macht. Eine moderne Kreislaufwirtschaft soll Müll und Verschmutzung vermeiden. Geplant sind zudem neue Strategien für saubere Luft und sauberes Wasser und einen Schutz der Artenvielfalt, eine Anpassung der Landwirtschaftspolitik und eine massive Aufforstung.
Sind mit dem „Green Deal“ Entlastungen geplant?
Die Europäische Investitionsbank (EIB) soll zinsgünstige Darlehen für Investitionen in den Klimaschutz anbieten. Die exportierende Industrie soll entlastet werden, indem sie bei Ausfuhren aus der EU eine finanzielle Erstattung im Gegenzug für die steigenden CO2-Preise bekommt. Importe von außerhalb der EU sollen dann mit zusätzlichen CO2-Abgaben belegt werden, um Wettbewerbsverzerrungen auszuschließen.
Wie stark werden die Eingriffe in bestehende EU-Klimagesetze ausfallen?
Die Kommission geht davon aus, dass die Erhöhung der Klimaziele von 40 auf 45Prozent ohne Eingriff in verabschiedete Gesetze möglich ist. So sind bereits die Vorgaben für die Senkung des Spritverbrauchs von Autos ehrgeiziger als von der Kommission eingeplant. Auch Beschlüsse der Mitgliedstaaten, wie etwa der deutsche Kohleausstieg, helfen.
Unter der Voraussetzung, dass die Verschmutzungszertifikate beim Abschalten der Kohlekraftwerke vernichtet werden, bringt allein der deutsche Kohleausstieg 1,5 Prozent bei den EU-Klimazielen. Um die verbleibenden fünf Prozent zu erreichen, sind aber teils neue Maßnahmen, teils eine Verschärfung bestehender Gesetze nötig.
Wie reagieren Vereine, Verbände und Nichtregierungsorganisationen?
Verschiedene Organisationen reagierten im Laufe des Montagnachmittags auf den „Green Deal“. Der Verein Germanwatch zeigte sich zum Beispiel euphorisch: Man werte das Konzept von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als „großen Schritt vorwärts“, teilte die Entwicklungs- und Umweltorganisation mit. „Dieser Zukunftspakt kann zur gemeinsamen Vision für eine starke EU werden, die dem Staatenbündnis zusätzlichen Sinn und Zweck gibt“, erklärte der politische Geschäftsführer von Germanwatch, Christoph Bals. „Das ist eine gute Nachricht für das Klima und Europa.“
Auch der Umweltverband WWF gab sich hoffnungsfroh: „Der Green Deal enthält viele wichtige Elemente, insbesondere in Bezug auf Klima-, Wald- und Naturschutz.“ Ähnlich positiv äußerte sich der Deutsche Naturschutzring (DNR). Die Kommission müsse aber sicherstellen, „dass der Deal zukunftssicher ist“, sagte DNR-Präsident Kai Niebert.
Skeptischere Töne kamen von Greenpeace und BUND. Der Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, lobt zwar den „Anstoß für eine klimagerechte Modernisierung der europäischen Wirtschaft“. Er falle jedoch „zögerlich und mutlos“ aus. „Die EU-Kommission bleibt weit hinter dem Notwendigen zurück“, erklärte auch der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) richtete den Blick auf kleine und mittlere Handwerksbetriebe. Er warnte: Sie dürften „nicht mit umweltpolitischen Anforderungen überfrachtet werden“. Auf einen zügigen Ausbau von Wind- und Solarstrom drängte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Wie reagieren deutsche Politiker?
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) begrüßte ein EU-Gesetz, das die Einhaltung der Pariser Klimaziele sicherstelle als „kluges, konsequentes Gesamtkonzept“.
Vertreter der Grünen begrüßen das Abkommen, erinnern aber zugleich daran, dass man sicherstellen müsste, dass sie auch eingehalten werden. „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die EU-Kommission in ihrem Vorhaben, die Klimakrise ernsthaft anzugehen, nun auch wirklich unterstützt“, verlangte Grünen-Fraktionschef Hofreiter in Berlin.
Die Grünen-Europapolitikerin Ska Keller blieb auch mit Blick auf die EU-Pläne vorsichtig: „Ankündigungen sind toll, aber dem Klima hilft nur, was letztendlich umgesetzt wird“, sagte sie dem NDR. Es dürfe „nicht bei wohlklingenden Überschriften bleiben“, mahnte auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock.
Der Linken-Wirtschaftspolitiker Alexander Ulrich verlangte „kurzfristig massive Investitionen in erneuerbare Energien, fortschrittliche Verkehrskonzepte und eine ökologische Transformation der Industrie“.
Zurückhaltend äußerte sich Unions-Fraktionsvize Georg Nüßlein (CSU). Vor einer Anhebung europäischer Klimaziele müsse klar sein, wie diese umgesetzt werden könnten, ohne Arbeitsplätze zu gefährden. Effektiver Klimaschutz werde „nur mit marktwirtschaftlichen Instrumenten und neuen Technologien gelingen“, erklärte der FDP-Umweltpolitiker Lukas Köhler. (mit dpa, AFP und Reuters)