Kochen ja, einkaufen nein: Was taugt das Essen aus der Box?
Immer mehr Berliner lassen sich Zutaten und Rezepte per Kochbox liefern. Der Markt ist in der Hand von Start-ups. Doch wie gut ist das Essen? Und lohnt sich der Aufpreis? Verbraucherschützer haben Hello Fresh und Co. getestet.
Keine ausverkauften Produkte, die man vom Einkaufszettel streichen wollte, keine Warteschlangen an der Kasse, kein hastiges Einpacken. Nur in Pantoffeln die Tür öffnen, eine Box mit den notwendigen Zutaten entgegennehmen und in die Küche tragen. Mehr nicht. Kochen, ohne vorher in den Supermarkt zu müssen. Immer mehr Menschen wollen das.
Kochboxen sind Pappkartons oder Papiertüten, die mit Zutaten für ein oder mehrere Gerichte gefüllt sind. Wer eine Kochbox online bestellt, bekommt anders als beim Lieferdienst kein fertiges Gericht. Der Kunde muss sein Gemüse selbst waschen und schneiden, das Fleisch in der Pfanne braten, bis es durch ist. So wie es die beiliegenden Rezepte schrittweise vorgeben. Alles ist genau vorbereitet.
Tiefrote Zahlen bei Hello Fresh
Der bekannteste Anbieter ist Hello Fresh. Die Konkurrenten heißen Home eat home, Kochzauber, Kochhaus und Marley Spoon. Take eat easy musste Ende September nach zwei Monaten aufgeben, Kommt Essen hörte im Dezember auf. Es ist ein harter Wettbewerb, in einem Markt, der wächst. Das Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY) hat errechnet, dass im Jahr 2020 rund 20 Milliarden Euro für Lebensmittel aus dem Internet ausgegeben werden. „Lebensmittel sind die nächste große Welle“, sagt Thomas Harms, Autor der EY-Studie. Die Berliner Start-up-Szene und speziell die Essensversorger seien im vergangenen Jahr ein Magnet für Investoren gewesen. „Die stecken gerade viel Geld in den Food-Markt“, sagt Harms. Marktführer Hello Fresh – 2011 gegründet – bekam in zwei Etappen 175 Millionen Euro.
Für die Classic Box mit drei Mahlzeiten für zwei Personen nimmt das Start-up 39,99 Euro. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres hat Hello Fresh 198 Millionen Euro umgesetzt, aber trotzdem tiefrote Zahlen geschrieben. Nach neun Monaten lag der Verlust bei 58 Millionen Euro. Aktuellere Zahlen nennt das Unternehmen, das zu Rocket Internet gehört, nicht. Eigentlich sollte Hello Fresh im Herbst an die Börse gehen, doch der Börsengang wurde überraschend verschoben. Investoren waren skeptisch geworden.
Gesund, vielfältig und vor allem: einfach
Während Hello Fresh im Monat vier Millionen Gerichte in sieben Ländern ausliefert, verschickt der Anbieter Marley Spoon gut eine Million im Jahr. Die Rezepte werden von Profiköchen des Unternehmens kreiert. Sie achten aber darauf, dass auch Laien die Rezepte in gut einer halben Stunde nachkochen können, sagt Marley Spoon. Drei Mahlzeiten für zwei Personen kosten hier 48 Euro. Würde jemand all die Lebensmittel im Supermarkt kaufen, wäre das Abendessen günstiger. Für den Aufpreis liefern Hello Fresh und Marley Spoon die Zutaten jedoch nach Hause. Das ist bei Konkurrent Home eat home, den rund 8000 Berliner im Monat nutzen, anders: Die Boxen werden nicht geliefert, sondern müssen an einer von 25 Stationen abgeholt müssen. Dafür sofort, ohne Vorbestellung und, wenn gewollt, für nur eine Person. Immerhin ist Berlin die Stadt der Singles. Mehr als die Hälfte der Berliner Haushalte besteht nur aus einer Person.
Die Leute haben viel zu tun, heißt es, wenn man nach dem Erfolg der Kochboxen fragt. Warum in der knappen Zeit, die man hat, Rezepte überlegen, Zutaten kalkulieren, einkaufen gehen – wenn es das Komplettangebot frei Haus gibt? Die Jüngeren sind bereit, für weniger Stress zu zahlen. Die Älteren dafür, das Haus nicht verlassen zu müssen. Dazu kommt: Das Konzept verträgt sich gut mit vielen der aktuellen Trends. Glaubt man dem Food Report 2016 der Trendforscherin und Essensexpertin Hanni Rützler, wollen sich die Menschen immer gesünder und vielfältiger ernähren. Zwar soll alles schnell gehen, dennoch möchte man genießen. Sterneköche gelten als „Fast Good“-Paten. Dazu passt, dass Hello Fresh seit Kurzem auch Rezepte von Jamie Oliver anbietet. „Ich finde, mit Hello Fresh wird das Kochen noch einfacher“, wirbt der fernsehbekannte Koch. Die Entwicklung geht weg vom Sattesser. Das Problembewusstsein der Konsumenten wird größer, die Wünsche individueller. Um den Nerv der Zeit zu treffen, bietet jeder Kochbox-Anbieter regionale Produkte und Bio an, Vegetarisches und Veganes.
Verbraucherschützer sind nicht unzufrieden
Und: Das Kochen feiert eine Renaissance, heißt es im Food Report: „Vor allem junge Leute sehen im Kochen ein lustvolles Gegengewicht zur digitalen Arbeit und zum stressigen urbanen Leben.“ Zu diesem Ergebnis kommt auch eine aktuelle Studie des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé. Mehr junge Singles und Paare ohne Kinder stehen heute täglich in der Küche als noch vor fünf Jahren. Und jeder Zweite zwischen 14 und 44 Jahren würde gern noch öfter am Herd stehen, wenn er oder sie mehr Zeit hätte, sagt Nestlé. Wenn man sich zum Beispiel den Weg zum Supermarkt sparen könnte. Bei den über 45-Jährigen scheinen dagegen immer mehr Menschen nicht jeden Tag zu kochen. Erhöhte sich der Anteil bei jungen Singles um elf Prozent, nahm er bei den Älteren um rund zehn Prozent ab.
Doch wie gut sind denn nun die Kochboxen? Das hat die Verbraucherzentrale Berlin untersucht. Die Verbraucherschützer haben bei den fünf genannten Anbietern getestet, wie einfach sich die Rezepte nachkochen lassen, ob die Zutaten pünktlich und gekühlt geliefert werden und wie viel Abfall entsteht. „Insgesamt sind wir mit den Ergebnissen des Marktchecks zufrieden“, sagt Jessica Fischer, Ernährungsberaterin der Verbraucherzentrale Berlin. „Die getesteten Rezepte waren verständlich und ließen sich auch für ungeübte Köche gut nachkochen.“ Die Gerichte würden gut schmecken und satt machen. Da die gelieferten Lebensmittel alle verarbeitet und verzehrt werden, müssen keine Reste weggeworfen werden. Geliefert wurden die Lebensmittel frisch und in guter Qualität.
Kein billiges Vergnügen
Als Nachteil werteten die Tester, dass die Lieferungen nur an bestimmtem Tagen möglich sind und zum Teil lange Lieferzeiträume von vier bis fünf Stunden angegeben werden. Auch für einen spontanen Besuch würden sich die Kochboxen nicht so sehr eignen, da sie meistens ein, zwei Tage vorher bestellt werden müssen und genau kalkuliert sind. Wobei Kochhaus seinen Kunden in Berlin anbietet, bis 16 Uhr ein Gericht zu wählen, das dann noch am selben Abend vorbeigebracht wird. Zwar bemühen sich die Anbieter, möglichst ökologische Verpackungen wie Papiertüten und beispielsweise Schafwolle als Kühlmaterial zu verwenden – trotzdem bemängeln die Verbraucherschützer, dass bei den Kochboxen etwas mehr Müll anfällt als beim normalen Einkauf.
Das größte Problem sind aber die Kosten. Kochboxen sind deutlich teurer als der eigene Einkauf. „Preislich“, sagt Fischer, „liegen die Kochboxen zwischen dem deutlich teureren Restaurantbesuch, einem etwas teureren Lieferdienst und der günstigeren Alternative, selbst einzukaufen und zu kochen.“ Bequemlichkeit hat ihren Preis.
Marie Rövekamp