Bewegung an den Finanzmärkten: Was passiert, wenn die Zinsen wieder steigen
Die Zinswende hat wohl begonnen, die Zeit des billigen Geldes endet – das hat Folgen für Aktien, Anleihen, Immobilien und den Staat.
Der Jahresanfang 2018 könnte in die Geschichte eingehen – als Zeitpunkt, von dem an alles wieder anders lief. Jedenfalls an den Finanzmärkten. Seit Wochen rumort es, bei den Anleihen wie bei den Aktien. Denn immer häufiger ist von der „Zinswende“ die Rede. John Cryan, der Chef der Deutschen Bank, stellte sich in der vorigen Woche in die Reihe derer, die den historischen Moment zu erkennen glauben: „Wir sehen eine Wende bei den Zinsen.“ Gemeint ist damit, dass die Phase der Niedrigzinsen vorbei ist, dass dauerhaft wieder mit höheren Zinsen zu rechnen sein wird.
Bill Gross, der erfahrene amerikanische Anleihen-Experte, ist sicher, dass der schon Jahrzehnte währende Anstieg der Anleihenrenditen jenseits wie diesseits des Atlantiks vorbei ist. Der Index für deutsche Staatsanleihen mit fünf Jahren Laufzeit (eine sehr beliebte Anlageform) stieg seit 1995 von 150 Punkten auf 485 Punkte im Juli 2016. Seither stagnierte er. Zuletzt rutschte er auf 471 Punkte ab. Einer der längsten Aufschwünge der Finanzgeschichte geht offenbar zu Ende.
Bobls rentieren wieder
In den USA steigen die Renditen schon seit einiger Zeit. Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit brachten Mitte 2016 noch 1,5 Prozent Rendite, nun sind es schon 2,7 Prozent. Die Notenbank Fed hat unter ihrer gerade ausgeschiedenen Chefin Janet Yellen den Leitzins mehrfach angehoben. Die Euro-Zone folgt dem mit Abstand: EZB-Chef Mario Draghi will zwar noch keine Leitzinserhöhung verkünden, aber das Anleihenkaufprogramm – als stützende Maßnahme eingeführt, um aus der Finanzkrise herauszukommen – wurde halbiert und soll wohl im Herbst auslaufen.
Symbolwert hat, dass die deutschen Staatsanleihen mit fünf Jahren Laufzeit, die Bundesobligationen (im Marktjargon Bobls genannt), erstmals seit dem Herbst 2015 wieder leicht positiv rentieren. Die Finanzagentur des Bundes musste bei den am 31. Januar neu ausgegebenen Papieren (nach wie vor mit einem Zinskupon von null Prozent) erstmals nach langer Zeit wieder einen schwächeren Ausgabekurs akzeptieren, sodass die Rendite bei 0,08 Prozent lag.
Getrieben durch gute Konjunktur
Getrieben wird die Entwicklung durch die gute Konjunktur in Nordamerika und Europa. Das Wachstum war, vor allem in der Euro-Zone, im vergangenen Jahr stärker als erwartet, und die Aussichten bleiben gut. Die Folge ist eine stärkere Inflation. US-Präsident Donald Trump will den Boom über eine Steuerreform verlängern, die durch höhere Staatsschulden finanziert sein wird. Das treibt den US-Zins zusätzlich nach oben. Höhere Zinsen aber sind nicht gut für die Aktienmärkte. Die strebten in der Niedrigzinsphase immer neue Rekorde an. Jetzt aber fallen die Kurse deutlich. Die deutschen Werte knickten in der vorigen Woche um mehr als vier Prozent ein, der Dow Jones rutschte am Freitag in New York um 2,5 Prozent ab.
Im Bundesfinanzministerium stellt man sich darauf ein, wieder mit höheren Zinsen kalkulieren zu müssen. Im jüngsten Finanzplan, der bis 2021 reicht, heißt es lapidar, dass die günstigen Finanzierungen auslaufen werden. „Daher wird ab 2020 ein Anstieg der Zinsausgaben unterstellt.“ Nach dem Tiefwert von 2016, als der Bund 17,5 Milliarden Euro für Zinszahlungen ausgeben musste, wird für 2021 wieder mit einer Zahlung von 21,7 Milliarden Euro geplant. Was freilich nur knapp die Hälfte der Summe ist, die der Bund noch 2008 für Zinsen ausgeben musste. Mit einem rapiden Hochschießen im Anleihenmarkt rechnet man im Finanzministerium nicht.
"Anstieg deutlicher als erwartet"
Doch Märkte übertreiben gern. Zu den Experten, die leise warnen, gehört Rainer Guntermann, der Chefvolkswirt der Commerzbank. „Der Renditeanstieg, den wir für das erste Quartal erwartet haben, ist deutlicher ausgefallen“, sagt er. Seine Begründung: Die Marktteilnehmer gingen davon aus, dass die EZB „trotz weiterhin weitgehend fehlender Anzeichen für eine höhere Inflation die Zinsen rasch und kräftig erhöhen wird“. Die gute Konjunktur könnte freilich – auch über höhere Löhne – die Preissteigerung anfachen. Axel Weber, einst Chef der Bundesbank und nun bei der Schweizer Bank UBS, warnte bereits: „Inflation könnte die große negative Überraschung in diesem Jahr werden.“
Sollte die US-Notenbank zu größeren Zinsschritten gezwungen sein, weil Trumps Wirtschaftspolitik die Inflation antreibt, gerät Draghi noch mehr unter Druck. Der kommt auch aus der Politik, denn die Niedrigzinsjahre haben es nicht gut gemeint mit den Sparern. Die CDU-Finanzpolitikerin Annette Tillmann brachte die Stimmung in der Unions-Bundestagsfraktion auf den Punkt, als sie jetzt die EZB zur Zinswende aufforderte. Die Wirtschaft laufe gut, das rechtfertige einen höheren Leitzins. „Jeder Tag, an dem nicht gehandelt wird, erhöht die Gefahr, dass unsere deutschen Altersversorgungssysteme wie Pensionskassen oder Versicherungen zulasten unserer Sparerinnen und Sparer Schaden nehmen.“
Schon jetzt leicht steigende Bauzinsen
Bleibt die Frage, was ein Zinsanstieg für den Immobilienmarkt bedeutet. Für Kreditnehmer und Häuslebauer waren die vergangenen Jahre eher gut, auch wenn die Preise vielerorts gestiegen sind und den Zinsvorteil zunichte machten. Zwar wird die Finanzierung zunächst günstig bleiben, aber bei den Hypotekenzinsen wird es Bewegung geben. Baugeld könnte im Jahresverlauf teurer werden. Experten beobachten schon erste leichte Zinserhöhungen. So hat die ING Diba den effektiven Satz für zehnjährige Darlehen über 100 000 Euro um 0,1 Punkte auf 1,38 Prozent erhöht. Hypothekenzinsen sind aber immer noch sehr niedrig.
Wer über 15 Jahre abschließt, muss im Schnitt 1,83 Prozent zahlen. Aber wenn der Zins nur um wenige Punkte hinter dem Komma steigt, erhöhen sich die Kosten für den Kredit über die Laufzeit von zehn Jahren schnell um mehrere Tausend Euro. Teuer bleibt der Erwerb einer Immobilie oder der Bau eines Hauses zumindest in den Ballungsgebieten freilich auch in diesem Jahr. Die Immobilienpreise werden möglicherweise weiter steigen – und das eher deutlicher als die Zinsen.
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