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Überall im Land – vor allem in der Hauptstadt Riad – wird für die Aramco-Aktien geworben.
© imago images / Mint Images
Update

Auf Öl gebaut: Was hinter dem Börsengang vom Aramco steht

Durch den Börsengang hat der Ölkonzern Saudi Aramco Apple als wertvollstes Unternehmen abgelöst. Für deutsche Anleger ist der Aktienkauf komplex und riskant.

Bisher kennt die Aktie kaum jemand. Der Hauptsitz des Unternehmens liegt rund 4150 Kilometer südöstlich von Berlin im saudischen Sand. In Dharam am Persischen Golf. Und doch sind mit dem Börsengang des Ölkonzerns Saudi Aramco eine ganze Reihe von Rekorden und Superlativen verknüpft.

Jetzt ist dem Unternehmen der bisher größte Börsengang geglückt - womit Aramco Apple als wertvollstes Unternehmen der Welt abgelöst hat. Am ersten Handelstag an der saudischen Wertpapierbörse Tadawul am Mittwoch wurden Aktien des Staatskonzerns unter dem Symbol 2222 zum höchstmöglichen Preis von 35,2 Riyal (9,39 Dollar) gehandelt. Das entsprach dem erlaubten Tageslimit von zehn Prozent über dem zuvor festgelegten Ausgabepreis von 32 Riyal (8,53 Dollar).

Aramco nahm durch den Verkauf von lediglich 1,5 Prozent seiner Anteile zunächst 25,6 Milliarden Dollar ein. Damit brach das Unternehmen den Rekord der chinesischen Handelsplattform Alibaba aus dem Jahr 2014 für den größten Börsengang. Alibaba hatte seinerzeit 25,03 Milliarden Dollar erzielt. Berücksichtigt man die Inflation, entspricht das heute etwa 27 Milliarden Dollar.

Erst im Frühjahr hatte sich Aramco genauer in die Bücher schauen lassen und astronomische Zahlen offenbart: 2018 lag der Gewinn bei 111 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Apple, das stets als das profitabelste Unternehmen der Welt galt, verdiente 2018 knapp 60 Milliarden Dollar.

Auch in punkto Öl kommen Rekordziffern von Aramco: Rund ein Zehntel des weltweit jeden Tag benötigten Öls kommt von Aramco, dessen derzeitige Ölreserven von 256 Milliarden Barrel für weitere 52 Jahre Geschäft ohne weitere Exploration ausreichen würden, verkündet das Unternehmen. Bei den anderen großen Ölfirmen, von Exxon über Chevron bis zu Shell und BP, reichten die Vorräte maximal 17 Jahre.

Gehandelt werden die Aktien nur an der saudischen Börse Tadawul. Ein Prozent des Unternehmens soll an institutionelle Investoren gehen, hieß es im Vorfeld. 0,5 Prozent bekommen Privatanleger, jedoch nur saudische, omanische oder Bürger aus den Emiraten beziehungsweise an Ausländer, die in Saudi-Arabien wohnen. Ein Konto bei einer der im 658-seitigen Börsenprospekt genannten saudischen Banken war Voraussetzung, um bereits im Vorfeld Aktien kaufen zu können.

Viele sehen den Aktienkauf als patriotische Pflicht

Wochen lang ist zwischen Dharam, Riad und Dschidda für den Aktienkauf getrommelt worden, es gab Bonusaktien. Viele reiche Familien sahen im Kauf fast schon eine patriotische Pflicht, andere fühlten sich laut Bloomberg unter Druck gesetzt, ebenfalls zu zeichnen. Privatanleger aus Europa, den USA oder Fernost kamen in der Zeichnung nicht direkt zum Zug, sondern maximal über Fonds.

Wer überlegt, sich die Aktie jetzt nach dem Börsengang zu kaufen, trifft auf ein weiteres Hindernis: Der Handel an der Tadawul, die überhaupt erst seit vier Jahren für Ausländer zugänglich ist, ist für Privatanleger bei den meisten Kreditinstituten in Deutschland nicht möglich. Unter Umständen soll die Aktie 2020 oder 2021 auch an westlichen Börsen notiert sein, am ehesten wohl in New York und London. Mit seinem „Board of Directors“ versucht Aramco bereits jetzt, sich einen internationalen Experten- Touch zu geben: Neben mehreren amtierenden Ministern und saudischen Politikern sitzen dort auch ausländische Öl- und Finanzexperten – etwa der frühere Chef des Erdöl-Unternehmens Schlumberger, Andrew Gold. Auch eine Frau ist mit an Bord, nämlich Lynn Elsenhans, eine frühere US-Managerin bei Royal Dutch Shell, später Vorstandschefin des US-Mineralölunternehmens Sunoco.

Auf großen Werbetafeln wirbt Aramco für den Aktienkauf.
Auf großen Werbetafeln wirbt Aramco für den Aktienkauf.
© AFP

Trotz der derzeit satten Gewinnsituation ist die Anlage riskant. Neben der Tatsache, dass der Ölpreis direkt auf das Geschäft und damit den Gewinn durchschlägt, könnten vor allem geopolitische, innenpolitische und umweltpolitische Probleme den Kurs beeinträchtigen.

Erst im September hatte ein Drohnenanschlag die halbe Ölindustrie in Saudi- Arabien lahmgelegt. Abkaik war das Ziel: der größte Ölverarbeitungskomplex am Persischen Golf, wo Aramco jeden Tag allein sieben Millionen Barrel Rohöl verarbeitet, nur 60 Kilometer nördlich des Firmensitzes in Dharam. Zu dem Anschlag mit sieben Marschflugkörpern und 18 Drohnen bekannten sich die mit dem Iran verbündeten Huthi-Rebellen im Jemen. Für wahrscheinlicher hielten saudische wie internationale Militärs, dass der Iran selbst dahintersteckt. Der iranische Ursprung der Waffen gilt als gesichert.

Das sunnitische Saudi-Arabien und der schiitische Iran befinden sich schon länger in einem Konflikt, bei dem es vor allem um die religiöse und politische Hegemonie im Mittleren Osten geht und der zuletzt im Jemen blutig ausgetragen wurde. Die Folgen der Attacke auf Abkaik waren massiv: Riad stoppte die Hälfte der Ölproduktion, der Ölpreis schoss um 20 Prozent nach oben. Kurz nach Veröffentlichung des Börsenprospekts stichelte der Iran erneut und verkündete, man habe ein riesiges neues Ölfeld entdeckt, das die Ölreserven des Landes um etwa ein Drittel erhöhe.

Das umweltpolitische Risiko, also der Wunsch der Erde nach einer mittelfristigen Abkehr von fossilen Brennstoffen, wiegt ebenso schwer. Er ist auch in Saudi-Arabien angekommen, wo die Gewinne mit dem Aramco-Öl derzeit noch für etwa 60 Prozent der Regierungseinnahmen sorgen. Ein Klumpenrisiko, das man mit den Einnahmen des Börsengangs korrigieren will. Mittelfristig soll der Anteil der fossilen Energieproduktion fallen. 2030 soll 30 Prozent des Energiebedarfs aus Erneuerbaren gedeckt werden. Aramco soll dabei führend beteiligt sein. Auch Atomkraftwerke sind geplant.

Als Risiko gilt drittens die politische Situation im Land. Das Königreich wird quasi absolutistisch regiert, es gibt keine Verfassung, stattdessen hat der Koran Gesetzesrang, keine Parteien, keine Gewerkschaften, keine Opposition, die Menschenrechtslage ist höchst kritisch. Der König beziehungsweise sein Sohn, De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman, entscheidet letztlich über die Höhe der Ölproduktion, die Geschäftspolitik und die Strategie. Zwar hat er eine vorsichtige Liberalisierung im Land eingeleitet: Frauen dürfen inzwischen Auto fahren, eigenständig reisen und selbst Hotels buchen. Gleichzeitig jedoch sitzen mehrere Frauenrechtlerinnen im Gefängnis, es gab regelrechte Verhaftungswellen.

Westliche Konzerne halten sich mit Investitionen zurück

Auch mit dem Mord an Journalist Jamal Kashoggi vor mehr als einem Jahr wird Mohammed bin Salman indirekt in Verbindung gebracht. Das führte zum Rückzug einiger westlicher Unternehmen aus Investitionen in Saudi-Arabien. Trotzdem stiegen die ausländischen Investitionen 2018 um 110 Prozent. Seit Ende September erhalten Staatsbürger aus 49 Ländern auch problemlos Einreisevisa, Touristinnen benötigen keine Kopfbedeckung mehr und die Abaya, der lange Mantel, wird ihnen an der Grenze nicht mehr umgehängt. Konservative Kreise im Land lehnen die Reformen teilweise strikt ab, werden aber zum Schweigen gebracht. Vom Tisch ist die Gefahr eines politischen Umsturzes damit nicht.

Eine Anlage von Aramco.
Eine Anlage von Aramco.
© REUTERS

Teile des Geldes aus dem Börsengang sollen nun die Diversifizierung vom Öl stärken. Bei dem von bin Salman ausgerufenen Projekt „Vision 2030“ etwa sind Investitionen in Unternehmen im Ausland, weitere Privatisierungen in der Wirtschaft und eine stetige Öffnung des Landes nach außen geplant. An der 1800 Kilometer langen saudischen Küste des Roten Meeres sollen auf einem Abschnitt Luxushotels entstehen, in denen Frauen Bikini tragen können. In Luxushotels in Dschidda ist es Gästen bereits erlaubt, leichtbekleidet am Pool zu liegen. Künftig soll der Tourismus nicht mehr drei, sondern zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen.

Direkt abhängig sind Geschäft und damit Bewertung von Aramco natürlich auch vom Ölpreis. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds benötigt Saudi-Arabien für einen ausgeglichenen Staatshaushalt einen Ölpreis von 85 Dollar je Barrel. Derzeit liegt der Preis für den schwarzen Schmierstoff bei einem Wert von gut 60 Dollar. Die weltweite Nachfrage steht bei gut 100 Millionen Barrel pro Tag, das sind mehr als 15,9 Milliarden Liter. Laut Eugen Weinberg, Chef des Rohstoff-Research bei der Commerzbank, steht der saudische Ölmarkt – die Nummer zwei der Erde vor Russland – vor allem wegen der hohen Ölproduktion des Weltmarktführers USA unter Druck. Der Bedarf an Öl aus OPEC-Ländern werde sinken. Freiwillige Produktionskürzungen müssten die Folge sein, um den Preis zu stützen. Die meisten Analysten erwarten jedoch keinen Preisauftrieb, vor allem wegen der schwächelnden Weltkonjunktur. Mit dem Börsengang sollen internationale Investoren also von aktuell hohen Gewinnen am Ölmarkt profitieren und gleichzeitig die schrittweise Abkehr aus dem Öl finanzieren. Weinberg sagt: „Es ist unklar, ob der Börsengang ein Verzweiflungsakt oder ein Zeichen von Stärke ist.“

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