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Auffällig ist die Nähe von Olaf Scholz (SPD) zu den führenden Wirtschaftswissenschaftlern des Landes.
© Sebastian Willnow/pa/dpa

"Ich bin der wirtschaftskompetenteste Kanzlerkandidat": Was Experten vom Selbstbild des Olaf Scholz halten

Der SPD-Finanzminister hält sich für den wirtschaftskompetentesten Kanzlerkandidaten. Sehen das andere auch so? Und wie steht’s um Merz und Baerbock?

Berlin - Manchmal sind es dicke Bretter, die man als Kanzlerkandidat bohren muss. Im Falle von Olaf Scholz wäre ein solches das Vorhaben, die SPD als kompetenter in Sachen Wirtschaft dastehen zu lassen als die CDU. Seit Jahren ist nämlich dass Gegenteil der Fall. Nach Zahlen des Politbarometers der Forschungsgruppe Wahlen trauen die Wähler der Union seit 2002 durchgängig mehr Wirtschaftskompetenz zu als den Sozialdemokraten. Und seit der „Genosse der Bosse“ nicht mehr an der Macht ist, hat sich der Abstand sogar vergrößert. Im November dieses Jahres hielten 55 Prozent der Befragten die Union für wirtschaftskompetenter; nur neun Prozent die SPD.

Doch Scholz ficht das nicht an. Im Interview mit dem Tagesspiegel sagte er: „Der wirtschaftskompetenteste Kanzler, den man kriegen kann, heißt aber Olaf Scholz.“ Die Frage ist: Sieht nur er das so?

Auffällig ist in jedem Fall seine Nähe zu den führenden Wirtschaftswissenschaftlern des Landes. In seiner Rolle als Krisenmanager in der Corona-Pandemie hat er so eng mit Ökonomen wie Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und den Chefs der großen Wirtschaftsforschungsinstitute zusammengearbeitet, wie wohl wenige Finanzminister vor ihm. Zufall ist das nicht. Anfang 2019 holte der Vizekanzler den Wirtschafts- und Finanzexperten Jakob von Weizsäcker als Chefvolkswirt in sein Haus. Der brachte sein Netzwerk mit und initiierte ein Videokonferenzformat. So wurden auch Wissenschaftler in die Ideenfindung einbezogen, die nicht im wissenschaftlichen Beirat sitzen oder dem Sachverständigenrat angehören.

Einer, der bei vielen dieser Runden dabei war, ist Sebastian Dullien. Er ist Wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). „Von jenen Bundesfinanzministern, die ich in meinem Leben bewusst wahrgenommen habe, hat Olaf Scholz die bisher größte Wirtschaftskompetenz bewiesen“, findet er. In der Coronakrise habe Scholz sehr schnell und richtig auf die Herausforderungen reagiert und massive Hilfs- und Konjunkturpakete aufgelegt. „Diese Reaktion ist auch dafür verantwortlich, dass derzeit alles auf eine kräftige Erholung 2021 hindeutet.“ Vor der Krise hätte er sich mehr Investitionen gewünscht. Dennoch habe er wenige Bundesminister erlebt, die sich so für die Vorschläge der Wissenschaft interessiert hätten.

Tatsächlich scheint Scholz’ Vorgehen in der Krise unter Experten weitgehend positiv gesehen zu werden. So bezeichnet etwa Rudi Bachmann, Professor für Makroökonomie an der US-Universität Notre Dame, die „Bazooka“, das erste Rettungspaket im Frühjahr 2020, als „absolut notwendig“. Und den „Wumms“, das zweite Konjunkturpaket im Sommer, als einen „cleverer Versuch, Geldpolitik, die keine Munition mehr hatte, durch Fiskalpolitik zu imitieren“.

Blickt man auf Scholz’ Politik abseits der aktuellen Krise bereiten seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen einigen Ökonomen allerdings Bauchschmerzen. „Seine steuerpolitischen Vorschläge sehe ich weniger positiv“, sagt etwa Dominika Langenmayr, Professorin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. „Die Vermögensteuer, deren Wiedereinführung er unterstützt, hat extrem hohe Erhebungskosten; die regelmäßige Bewertung von Unternehmen, aber auch von Immobilien ist schwierig und teuer.“ Ökonomen anderer Institute, wie etwa Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, befürworten aber eine solche Abgabe.

Dennoch gibt es Punkte in Scholz’ Agenda, hinter denen einige Ökonomen eher politische Ziele denn wirtschaftliche Vernunft vermuten. Jan Schnellenbach beobachtete das auch in der Coronakrise. „Scholz ist ein gewiefter Politiker, der Krisen zu nutzen weiß, um Dinge voranzutreiben, die ihm politisch schon immer am Herzen liegen“, meint der Professor der BTU Cottbus-Senftenberg. Aus seiner Sicht sei das erkennbar gewesen, „als er im Zusammenhang mit der europäischen Reaktion auf die Krise von einem „Hamilton-Moment“ träumte, also von einem entscheidenden Schritt zur vollen Staatswerdung der EU. „Da hat er die ökonomische Rationalität zugunsten politischer Träume zurückgestellt.“

Ähnlich bewerten viele Ökonomen auch Scholz’ Pläne für die Finanztransaktionssteuer. Das Konstrukt, das eigentlich nach der Finanzkrise initiiert wurde, um spekulativen Hochfrequenzhandel zu besteuern, verkam nach jahrelangen Debatten zu einer Abgabe, die nur noch Kleinanleger zu zahlen haben und die große Spekulanten unbehelligt lässt. „Selbst wer eine Finanztransaktionssteuer generell befürwortet, muss dieses Konstrukt eigentlich kritisch sehen“, sagt Schnellenbach. Es gibt aberwohl leichtere Aufgaben, als einem linken Wahlpublikum die Abkehr von einem so symbolträchtigen Vorhaben zu verkaufen.

Überhaupt hat sich Scholz – der damit kokettiert, dass er selbst sein Geld nicht anlegt, sondern auf dem Girokonto liegen lässt – bei Börsenexperten nicht unbedingt beliebt gemacht. „Anstatt für private Vorsorge zu kämpfen, die aufgrund der Demographie dringend nötig ist, legt er Privatanlegern ständig Steine in den Weg“, sagt etwa Daniel Bauer, Vorstandsvorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, und nennt die Beibehaltung des Solidaritätszuschlags auf Kapitaleinkünfte oder die Verlustverrechnung als Beispiel. Das sei „wirtschaftlich nicht nachvollziehbar“. Zum Misstrauen trägt auch das Versagen der Finanzaufsicht im Fall Wirecard bei, die Scholz untergeordnet ist. „Anstatt für Aufklärung und Besserung für die Zukunft zu sorgen, stellt er sich hinter die BaFin und lässt sich durch den Lobbyismus der Wirtschaftsprüfer einlullen“, so Bauer.

Aber sieht es bei den anderen möglichen Kanzlerkandidaten besser aus? Ein Blick zur CDU: Friedrich Merz, dem man mit Blick auf seine Wirtschaftskompetenz wohl kein Unterstatement unterstellen kann, sehen viele Ökonomen kritisch. „Er verwechselt Businesserfahrung mit Wirtschaftskompetenz“, sagt etwa Bachmann. „Das macht mir Sorgen.“ Auch Langenmayr sagt: „Gute Kontakte zu Unternehmen sind nicht das gleiche wie volkswirtschaftliche Kompetenz, die auch schwierige Tradeoffs wie die Vereinbarung von Klimaschutz und Industrie lösen oder Verteilungsfragen berücksichtigen muss.“

Sieht sich selbst als Mann der Wirtschaft: Friedrich Merz (CDU).
Sieht sich selbst als Mann der Wirtschaft: Friedrich Merz (CDU).
© Christoph Soeder/dpa

Dullien meint sogar, Merz’ Forderungen, möglichst schnell zu einer schwarzen Null zurückzukehren, „zeugen nicht von einem Durchdringen der makroökonomischen Zusammenhänge“. Bei Norbert Röttgen lobt Langenmayr seine kritische Haltung zu sogenannten Europäischen Champions, also wettbewerbsdominierenden Konzernen; bei Armin Laschet lobt Dullien die langfristige Schuldentilgung. Ansonsten bewerten die Experten das wirtschaftspolitische Profil beider als eher unscharf.

Eckt mit ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen an: Annalena Baerbock (Grüne).
Eckt mit ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen an: Annalena Baerbock (Grüne).
© dpa

Die Grünen polarisieren deutlich mehr. „ Ich glaube nicht, dass Robert Habeck und Annalena Baerbock wirklich verstehen, wie wichtig eine effiziente und wachsende Wirtschaft ist, um auch ökologische Ziele zu erreichen“, sagt etwa Schnellenbach zu den Parteivorsitzenden. „Beide glauben, dass man eine Volkswirtschaft wie Knetmasse in die gewünschte Form bringen kann.“ Ganz anders sieht das Dullien. Aufgrund der Haltung der Grünen zu öffentlichen Investitionen, Schulden und Industriepolitik „sollte man bei den beiden von Wirtschaftskompetenz ausgehen“. Bachmann gibt zu bedenken, dass die Partei mit dem haushaltspolitischen Sprecher Sven Kindler oder dem Start-up-Beauftragten Danyal Bayaz „kompetentere Leute“ auf dem Gebiet der Finanzpolitik habe.

Zumindest parteiintern musste Scholz zuletzt keine derartige Konkurrenz fürchten. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lothar Binding, erntete jedenfalls nur Spott, als er die Finanztransaktionssteuer Anfang des Jahres in einem Video erklären wollte und grundlegendste Größen des Aktienwesens verwechselte. Anderem Führungspersonal der Partei unterliefen ähnliche Fehler; Scholz hingegen nicht. Innerparteilich dürfte die Expertise des Finanzministers deshalb unumstritten sein. Ob Wirtschaftskompetenz aber für die Wähler das wahlentscheidende Kriterium ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

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