Welthandel - TTIP: Was Drohnen in der Logistik leisten könnten
Drohnen könnten Medikamente und Impfungen in entlegene Gebiete bringen, Ersatzteile liefern oder Geschäftsdokumente. Doch die Gesetze halten nicht mit dem technischen Fortschritt mit. Ein Gastbeitrag.
Dieser Text ist Teil unserer Debatte zum Welthandel. Die übrigen Texte finden Sie hier.
Drohnen bestimmen unseren Alltag! Diese Zukunftsvision ist sicher noch einige Jahre von der Realität entfernt. Dennoch hat sich die Wahrnehmung des Themas in den letzten Jahren enorm verändert. Vor einigen Jahren scheute man sich noch vor dem Begriff „Drohne“ - aus dem militärischen Ursprung kommend, weil er vermeintlich Autonomie und Entbehrlichkeit unterstellte. Heute stehen Hobby und Business-Case im Vordergrund.
Allein der chinesische Hersteller DJI verkauft weltweit über 700.000 kleine Kameradrohnen pro Jahr. Dabei sind diese Geräte weit mehr als bloßes Spielzeug. Sie kosten zwischen 1000 und 2000 Euro und sind mit HD-Kameras ausgestattet, die in Echtzeit Daten zum Boden übertragen. Außerdem können die meisten Geräte automatisch fliegen und navigieren.
Jeden Monat erscheinen neue innovative Startups auf dem Spielfeld von Investoren, die in den Drohnen das „nächste große Ding“ sehen. Dabei ist immer noch ein Großteil dieser „disruptiven“ und „skalierbaren“ Geschäftsmodelle auf das Thema Sensorik beschränkt.
Spätestens aber seit den Ankündigungen und Testläufen von Amazon und DHL, Drohnen zur Lieferung einzusetzen, steht das unbemannte Fluggerät als Transportmittel zur Debatte.
Warum ist es sinnvoll, Drohnen in der Distributionslogistik einzusetzen?
Man kann die Möglichkeiten, welche sich durch unbemannte fliegende Systeme bieten, zuerst nur durch die Brille der technischen Machbarkeit und der betriebswirtschaftlichen Effizienz betrachten. Danach müsste jeder, der Produkte an Unternehmen oder Endkunden liefert, sofort beginnen seine eigene Drohnenflotte aufzubauen.
Der prüfende Blick des Controllers auf die entscheidenden Faktoren Betriebskosten und Lieferzeit läßt schnell klar werden, dass Drohnen enormes Potential bieten, um Effizienz und Effektivität zu steigern. Vom Service für den Endkunden durch sehr kurze Lieferzeiten und Aspekten der Nachhaltigkeit ganz zu schweigen.
Durch die logistische Verlagerung von der Straße in die Luft könnte in Großstädten Stau und Smog verringert werden. Lieferdrohnen, die von Dach zu Dach liefern, würden dann alle Güter mit geringem Gewicht sowie hoher Dringlichkeit und hohem Wert transportieren.
Klein, wertvoll und dringend – die perfekte Drohnenlieferung
Schon die Subjektivität der beiden letzten Parameter „Dringlichkeit“ und „Wert“ verdeutlicht, welch große Palette an Lieferungen hier in Frage kommt. Von Blutkonserven über Geschäftsdokumente, Gourmetprodukten, Medikamente bis hin zu Organspenden und letztlich alles was schnell an einen anderen Ort verbracht werden muss. Wenn ein Kunde willens ist für diesen Servicelevel zu zahlen, sollte diese Lieferung zum Angebot des Logistikunternehmens gehören.
Die Vorteile von Drohnen-Logistik ergeben sich aber nicht nur in urbanen Zentren, sondern auch in sehr dünn besiedelten Gebieten. Überall wo Menschen und Unternehmen auf seltene und sehr teure Transportverbindungen angewiesen sind, können Drohnen neue Geschäftsmodelle eröffnen und sogar Leben retten. Denkbare Anwendungsfälle sind hier das extrem schnelle Liefern von Impfstoffen, Gegengiften und dringenden Medikamenten. Schnell und zuverlässig - egal ob im australischen Outback, in der kenianischen Savanne oder der russischen Taiga.
Steigerung von Effizienz und Produktivität
Wenn ein abgelegener Betrieb zum Rohstoffabbau stillsteht, weil ein bestimmtes Ersatzteil fehlt, verliert das Unternehmen mehrere zehntausend Euro pro Minute. Die Uhr tickt, Hubschrauber oder Kurierfahrer werden eingesetzt. Prägnante Beispiele wären hier ein Werkzeugteil in der Diamantenmine oder ein Ersatzteil auf Offshore-Ölbohrplattform. Gerade hier könnten Drohnen ihre Vorteile ausspielen und bodenunabhängig liefern. Heißt auch, betriebswirtschaftliche Operationskosten senken und schnelle Lieferzeiten bieten.
Selbst bei neu zu errichtender Infrastruktur mit den dazugehörigen Investitionskosten wären Amortisationszeiten verhältnismäßig kurz. Bei wachsendem Markt und entsprechender Verteilung kommen natürlich noch positive Netzwerkeffekte durch eine höhere Dichte an Landeplattformen und Aufladestationen hinzu.
Bald Realität oder noch Zukunftsmusik?
Da die meisten Drohnen mit elektrischen Motoren angetrieben sind, ist ihre Flugdauer durch die Akkuleistung begrenzt. Gerade vor dem Hintergrund der beschlossenen Klimaziele in Paris spielen Emissionen bei Fragen der Logistik eine immer größere Rolle. Seit 2013 ist durch die EN 16258 eine standardisierte Berechnung der Emission für alle Transportarten vorgeschrieben. Durch Drohnen könnte der Ausstoß von Klimagasen und Schadstoffen pro transportiertem Kilogramm enorm verringert werden.
Wenn die Vorteile von Drohnen in der Distributionslogistik so außergewöhnlich sind, warum gehören Lieferdrohnen dann immer noch nicht zum Alltag? Der Hauptgrund, wie bei vielen Innovationen ist auch hier, dass Gesetze und Rahmenbedingungen noch nicht mit dem technisch-machbaren und wirtschaftlich-sinnvollen Schritt halten.
Regulatorische und gesetzliche Hemmnisse und fehlende Erfahrungen
Da ist vor allem die Luftraumintegration und die - durchaus begründeten - Zweifel und Ängste verschiedener Stakeholder zu nennen. Fast alle kommerziellen Drohnen operieren derzeit im niedrigen und sehr niedrigen Luftraum (unter 500 m über Grund). Hier wird auf Sicht geflogen und ausgewichen. Betrachtet man die Lieferdrohnen nun als Luftfahrzeuge, müssen diese in der Lage sein, anderen Teilnehmern im Luftraum auszuweichen. Steuert ein Fernsteuerer die Drohne in Sichtweite vom Boden aus, kann er das übernehmen. Fliegt die Drohne aber außerhalb der Sichtweite (Beyond-Visual-Line-of-Sight) eines Steuerführenden - eine der wichtigsten Grundvoraussetzung für Lieferdrohneneinsatz - kann das Ausweichen derzeit nicht standardisiert und gesetzeskonform sichergestellt werden.
Und natürlich macht Logistik-Drohneneinsatz nur dann wirtschaftlich Sinn, wenn er vollautomatisch in allen Flugphasen (Start, Navigation im Reiseflug, Landung) erfolgen kann. An dieser Hürde scheitern aber derzeit schon Autohersteller am Boden. Wenn ein Computer eine sicherheitskritische Entscheidung trifft, stellt dies im Schadensfall unser heutiges Rechtsverständnis vor zahllose Probleme. Wer haftet bei einem Unfall mit Personenschaden? Der Hersteller des Geräts oder der Sensoren, der Programmierer oder der Halter des Geräts? Diese Fragen stellen sich in der Luft wie auf der Straße.
Ein europäisches Beispiel ist in der Schweiz zu beobachten
Auch das Drohnen mit Kameras ausgestattet sind, ist für viele der Verteidiger von bestehenden Rechtssphären ein rotes Tuch. Interessanterweise sind hier Unternehmen wie Privatpersonen gleichermaßen von den Aspekten des Datenschutzes und der Privatsphäre betroffen. Niemand hat ein Interesse im Vorgarten gefilmt zu werden und fast alle Unternehmen wollen sich vor Wirtschaftsspionage schützen. Solche Fragen der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz, der Haftung, der Versicherung und der Luftraumintegration können nur durch intensive Forschung und Erfahrungswerte angegangen werden.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir weltweit die ersten großflächigen Anwendungen von Drohnenlogistik in Schwellen- und Entwicklungsländern erleben werden. Ein europäisches Beispiel kann man derzeit in der Schweiz beobachten.
Die Schweizerische Post arbeitet bei der Lieferung in entlegene Regionen mit dem Lieferdrohnen-Startup Matternet zusammen. Eine wegweisende und erfolgsversprechende Kooperation von Silicon-Valley Startup und eidgenössischer Pünktlichkeit. Es bleibt dennoch abzuwarten, wann und wo Drohnen flächendeckend Teil von Logistikketten werden.
Wichtig ist vor allem, dass Europa nicht den Anschluss an andere Regionen verliert. Gezielte Grundlagen- und Anwendungsforschung, Förderung von Startups sowie eine veränderte Wahrnehmung sollten erste Schritte in die richtige Richtung sein.
Christian Janke ist Research Engineer beim European Aviation Security Center e.V.
Der EASC e.V. ist das unabhängige Forschungszentrum für Luftsicherheit in Europa. Der Hauptfokus seiner Forschungstätigkeit sind nicht nur technische Innovationen sondern auch deren Auswirkungen auf angrenzende Bereiche wie Datenschutz, Akzeptanz und Wirtschaftlichkeit.
Christian Janke