Grenzwerte bei Stickstoffdioxiden: Was die EU-Entscheidung für mögliche Fahrverbote bedeutet
Die EU-Kommission hat keine Bedenken gegen deutsche Pläne, Fahrverbote für Dieselwagen per Gesetz zu vermeiden. Was sind die Folgen?
Die Entscheidung aus Brüssel, Pläne des deutschen Gesetzgebers zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu billigen, trifft auf eine hierzulande emotional geführte Debatte um Grenzwerte und Messmethoden.
Was hat Brüssel entschieden?
In der EU gilt seit 1999 ein für alle Mitgliedsstaaten verbindlicher Grenzwert für den Ausstoß von gesundheitsschädlichen Stickstoffdioxiden (NO2) im Straßenverkehr. Er liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Daran ändert sich nichts. Die EU-Länder sind weiter verpflichtet, diesen Grenzwert einzuhalten – mit welchen Maßnahmen auch immer. Fahrverbote zählen dazu.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat vor einem Jahr entschieden, dass Fahrverbote grundsätzlich zulässig sind – sie müssen aber verhältnismäßig sein. Um diese strengste aller Maßnahmen möglichst zu verhindern und eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen, will die Koalition das Bundes-Immissionsschutzgesetz ändern. Das Ziel: Weniger belastete Regionen, in denen 50 Mikrogramm NO2 im Jahresschnitt nicht überschritten werden, sollen mit anderen Maßnahmen als Fahrverboten bei der Verbesserung der Luft vorankommen.
Im Gesetzentwurf heißt es, „in der Regel“ sollten Fahrverbote erst ab einer Belastung von 50 Mikrogramm verhältnismäßig sein. Der Bund setzt also auf die Wirksamkeit seiner Förderprogramme, Software-Updates, die Flottenerneuerung durch emissionsarme Fahrzeuge und weitere Maßnahmen der Städte und Länder. Die EU-Kommission hat gegen die nationale Gesetzesänderung keine grundsätzlichen Bedenken, denn diese weiche das EU-Recht nicht auf.
Was bedeutet dies für weitere Klagen?
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat mehr als 30 deutsche Städte auf eine bessere Luftreinhaltung – konkret: auf Einhaltung des EU-Grenzwerts – verklagt. Weil die Änderung des Immissionsschutzgesetzes die geltende Rechtslage nicht verändert, hat die Kommissionsentscheidung auch keine Folgen für die noch anhängigen Klagen. Fahrverbote wie sie zum Beispiel in Hamburg schon gelten, kann es künftig in weiteren Städten geben. Es geht der DUH darum, Städte, die den NO2-Grenzwert überschreiten, zu wirksamen Gegenmaßnahmen zu zwingen.
„Wir freuen uns über jede Stadt, die es ohne Fahrverbote schafft“, sagte Remo Klinger dem Tagesspiegel. Der Rechtsanwalt vertritt die DUH in den meisten Verfahren. Am Mittwoch hatte sich der Verein mit der Stadt Wiesbaden geeinigt, die ohne Verbote auskommt. Klinger wirft der Bundesregierung vor, mit der Änderung des Immissionsschutzgesetzes die Öffentlichkeit „in die Irre“ zu führen. „Das Gesetz ist redundant.“ DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch sprach von „Nebelkerzen“.
Kann sich der Verkehrsminister mit seiner Kritik an den Grenzwerten bestätigt fühlen?
Nein. Die EU-Kommission hat ausdrücklich klargestellt, dass am Grenzwert „nicht gerüttelt“ wird. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte zuletzt für eine Neubewertung der NO2- Messverfahren und des EU-Grenzwertes plädiert und sich unter anderem auf die Meinung von 100 Lungenfachärzten gestützt. Auch der Verkehrsgerichtstag hatte gefordert, den Grenzwert zu überprüfen. Die jüngste Entscheidung in Brüssel folgt diesem Appell nicht. Im Rahmen eines regelmäßigen „Fitness-Checks“ der Luftqualitätsrichtlinie werden aber bestehende EU-Regeln derzeit überprüft. Dieser Prozess dauert zwei Jahre und wird Ende 2019 mit einer Bewertung enden, ob sich die Regelungen bewährt haben.
Henrik Mortsiefer