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Kühltürme und Schornsteine des RWE-Braunkohlekraftwerks Niederaußem bei Bergheim (Archivbild)
© dpa/Oliver Berg

Klimawandel und Bevölkerungswachstum: Warum Tönnies und Kubicki unrecht haben

Das Wachsen der Bevölkerung in Entwicklungsländern durchkreuze die Klimapolitik der Industriestaaten, wird gern behauptet. Das widerlegen Statistiken.

Die wachsende Zahl von Menschen auf der Welt wird gern als Argument gegen engagierten Klimaschutz ins Feld geführt. Motto: Überbevölkerung in den Entwicklungsländern macht alle Bemühungen in den Industrieländern kaputt.

Vergangene Woche stieß der westfälische Fleischfabrikant Clemens Tönnies mit einer rassistischen Bemerkung ins gleiche Horn. Er kritisierte eine geplante Steuer auf Kohlendioxid und sagte, stattdessen solle man lieber jährlich 20 Kraftwerke in Afrika finanzieren. Dann würden die Afrikaner auch aufhören, im Dunkeln Kinder zu produzieren.

Tönnies bekam Hilfe von FDP-Vize Wolfgang Kubicki: Sollten Berechnungen der UN zutreffen, würden im Jahr 2100 mehr als zwölf Milliarden Menschen auf der Erde leben. „Wenn es nicht gelingt, das Bevölkerungswachstum in den Griff zu kriegen, können wir uns alle Überlegungen zum Erreichen der Weltklimaziele in die Haare schmieren“, sagte er.

10,9 Milliarden Menschen bis 2100

Schon Kubickis Zahlen sind nicht ganz korrekt. Das Bevölkerungswachstum flacht ab und wird zwölf Milliarden Menschen nicht erreichen. Die aktuelle Prognose der UN Population Division liegt bei 10,9 Milliarden Menschen im Jahr 2100. Ein Großteil des Wachstums findet in Afrika in Ländern mit heute geringem CO2-Ausstoß pro Kopf statt.

Genauer hat das die Hilfsorganisation Christian Aid in einer Studie aufgeschlüsselt, die morgen veröffentlicht wird und über die die BBC vorab berichtete. Demnach verursachen die zehn Länder, in denen die Menschen am meisten unter Hunger leiden, insgesamt nur 0,08 Prozent der weltweiten Emissionen. Die zehn Länder sind Burundi, die Demokratische Republik Kongo, Madagaskar, der Jemen, Sierra Leone, der Tschad, Malawi, Haiti, Niger und Sambia.

Alle diese Länder haben gleichzeitig hohe Geburtenraten. Die Menschen im dicht bevölkerten Burundi produzieren im Jahr aber nur 0,027 Tonnen CO2 pro Person. Ein US-Amerikaner verursacht so viel CO2 wie 581 Burundier, ein Russe immerhin noch so viel 454 Burundier, heißt es in der Studie weiter.

Auch historisch haben die armen Länder mit hohem Bevölkerungswachstum wenig zum Klimawandel beigetragen. Sie werden die Folgen aber besonders stark zu spüren bekommen, wie ein Bericht der UN Population Division beschreibt.

Industrienationen für 99 Prozent der historischen Emissionen verantwortlich

Zwar warnen auch des Rassismus' unverdächtige Wissenschaftler wie Jane Goodall vor einem weiteren Bevölkerungswachstum. Die Primatenforscherin steht der britischen Treuhandgesellschaft Population Matters nahe, die das Bevölkerungswachstum als Hauptverursacher von Klimawandel, Umweltzerstörung und Ressourcenverknappung bezeichnet.

Diese Sichtweise rückt der Weltklimarat IPCC in seinem Sachstandsbericht von 2013 gerade. Dort heißt es zum Anstieg der Emissionen: „Der Beitrag des Bevölkerungswachstums zwischen 2000 und 2010 war in etwa identisch mit dem der vorigen drei Jahrzehnte, während der Beitrag des Wirtschaftswachstums stark angestiegen ist.“ Er hat sich im gleichen Zeitraum in etwa verdoppelt.

Das Klima durch weniger Bevölkerungswachstum schützen zu wollen, ohne gleichzeitig die weiter steigenden Emissionen durch das Wirtschaftswachstum anzugehen, ist also nicht sachgerecht. Und die größten 20 Industrienationen produzieren immer noch rund 80 Prozent der CO2-Emissionen, wie die Entwicklungsorganisation CARE berechnet hat. Historisch seien die Industrienationen sogar für 99 Prozent der Emissionen verantwortlich. „Wir haben eine moralische Pflicht, den afrikanischen Staaten zu helfen, weil diese Länder viel weniger Treibhausgase pro Kopf ausstoßen und damit sicher nicht die Hauptverursacher für den Klimawandel sind“, sagte kürzlich Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) bei einer Reise nach Ghana.

Afrika braucht dezentrale Kraftwerke

Grundsätzlich ist es möglich, das Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß zu entkoppeln. Im Jahr 2014 sanken die Emissionen der Energiebranche – der Sektor mit den meisten Emissionen – erstmalig, obwohl die Wirtschaft global wuchs. Ein Grund war der Ausbau der erneuerbaren Energien.

Auch deshalb führt Tönnies’ Äußerung in die falsche Richtung, weil er von 20 Kraftwerken pro Jahr für Afrika spricht. In dieser Größenordnung können nur fossile Kraftwerke gemeint sein. Dabei müsste der Ausbau der Stromerzeugung im Sinne des Klimaschutzes allein auf erneuerbaren Energien beruhen. Damit hapert es nach wie vor, wie das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in einer Studie schreibt.

Zwar befinde sich die internationale Zusammenarbeit zur Förderung einer globalen Energiewende im Aufwind. Trotzdem sei klar: „Es wird nicht genug investiert, um das Nachhaltigkeitsziel 7 der Vereinten Nationen für bezahlbare und saubere Energie zu erreichen.“ Die Initiative Sustainable Energy for All schätzt die Finanzierungslücke auf 22 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Darüber hinaus fließe der Großteil der Mittel weiterhin in die netzgekoppelte Stromproduktion, kritisiert das IASS. „Obwohl dezentrale Lösungen in vielen Ländern nachweislich schnell und günstig Zugang zu sauberer Energie schaffen könnten, entfallen darauf nur 1,3 Prozent der Investitionen“, so das IASS.

Um das zu ändern, wollen die Internationale Agentur für erneuerbare Energien und die Klimarahmenkonvention der UN die Akzeptanz und Nutzung erneuerbarer Energien noch stärker fördern. Dazu unterzeichneten sie vergangene Woche eine Absichtserklärung. Sie sieht vor, den Wissensaustausch zur Energiewende zu intensivieren und Kapazitäten für die Förderung der Erneuerbaren aufzubauen.

Im Übrigen könnten sich auch zehn Milliarden Menschen auf dem Planeten gesund und klimagerecht ernähren, wie eine Studie der EAT-Lancet-Kommission für das Jahr 2050 ermittelt hat. Fleisch aus Massentierhaltung, wie es Tönnies verarbeitet, darf dabei aber nur selten auf den Tisch kommen.

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