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Erwischt. Viele gehen auch dann noch arbeiten, wenn es ihnen schlecht geht und sie die Kollegen anstecken könnten.
© Getty Images

Grippe im Büro: Warum kranke Mitarbeiter besser zuhause bleiben sollten

Viele Mitarbeiter schleppen sich krank zur Arbeit. Manche Firmen motivieren ihre Leute sogar dazu. Das ist sehr kurzsichtig gedacht

Wenn es um kranke Mitarbeiter geht, ist sie erbarmungslos. Schon ein leichtes Kratzen, eine Ahnung, der blass aussehende Entwickler könnte am nächsten Tag erkältet sein, reichen Andrea Pfundmeier, um ihn morgens direkt wieder nach Hause zu schicken. „Das mache ich aus fürsorglichen und aus ganz egoistischen Unternehmensgründen“, sagt die Mitgründerin und Geschäftsführerin von Secomba. „Wer krank ist, steckt nicht nur andere an, sondern ist unkonzentrierter, macht mehr Fehler bei der Arbeit.“

Mittlerweile arbeiten 30 Frauen und Männer für ihr Start-up in Augsburg. Sie haben ihre Schreibtische in Vierer- bis Sechserzimmern auf einer Etage, sitzen sich oft gegenüber. „Da hustet man ja nicht nur in die Richtung des anderen“, sagt Pfundmeier, „man fasst auch Tassen und Türklinken an.“ Von ihrer „No-illness-policy“ erfahren neue Angestellte gleich an ihrem ersten Tag. Die Chefin selbst bleibt ebenfalls zu Hause, wenn es ihr nicht gut geht. Um vorzuleben, was sie von anderen verlangt.

Deutsche fehlen im Schnitt 15,2 Tage im Jahr

Laut einem Bericht der Bundesregierung fehlen Beschäftigte zuletzt an durchschnittlich 15,2 Tagen im Jahr, weil sie krank waren. Wobei es noch viel mehr sein müssten: Fast die Hälfte der Deutschen geht nämlich mit Beschwerden zur Arbeit, statt im Bett zu bleiben. Das ergab kürzlich eine Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK im Auftrag des Patientenmagazins „Hausarzt“. 46,2 Prozent der 600 Befragten gaben demnach an, in den letzten zwölf Monaten zur Arbeit gegangen zu sein, obwohl sie sich unwohl fühlten, Kopfweh, Husten oder sogar Fieber hatten. Meistens handeln die Beschäftigten so, weil sie nicht wollen, dass sich ihre Arbeit anhäuft oder von Kollegen gemacht werden muss. So denken Beschäftigte vor allem dann, wenn ihr Team ohnehin schon aus wenigen oder zu wenigen Personen besteht. Auf diesen solidarischen Gedanken folgt die Furcht, seinen Job zu verlieren, oder der Glaube, das sei in der Firma eben so üblich.

Andere Chefs senden immerhin ganz andere Signale aus als Andrea Pfundmeier. Bei dem Autokonzern Daimler bekommen die Mitarbeiter einen Bonus, wenn sie selten bis nie krank sind. Vor einem Jahr einigten sich Unternehmensleitung und Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung auf ein Extra von bis zu 200 Euro brutto pro Jahr. Bei Amazon gibt es seit dem Frühjahr ein ähnliches Belohnungsmodell.

Wenn Beschäftigte – vor allem im unteren Einkommensbereich – einen solchen Anreiz bekommen, kann das aber eben dazu führen, dass sie morgens schlapp oder mit Schmerzen ins Büro oder in die Industriehalle kommen. Dieses Verhalten wird auch als Präsentismus bezeichnet. Was aus Expertensicht nicht nur der Gesundheit des Einzelnen schadet, sondern auch dem Betrieb.

Wer krank zur Arbeit kommt, verursacht Kosten

Die Unternehmensberatung Booz & Company hat vor einiger Zeit ausgerechnet: Zwei Drittel der Krankheitskosten in den Unternehmen entstehen durch das Dasein kranker Mitarbeiter. Im Schnitt hätten die Unternehmen pro Arbeitnehmer im Jahr 1199 Euro Verlust durch Fehlzeiten. Demgegenüber beliefen sich die Kosten, wenn der Kranke stattdessen anwesend sei, auf 2399 Euro. Er koste den Chef also doppelt so viel wie der, der sich ausruht, bis er wieder richtig fit ist. Studien aus den USA kommen zu einem ähnlichen Ergebnis.

Das liegt daran, dass angeschlagene Mitarbeiter statistisch nachgewiesen mehr Fehler machen. Ihre Konzentration lässt schneller als gewöhnlich nach, sie brauchen länger für das, was sie tun, und die Ergebnis sind oftmals schlechter als normalerweise. Dazu kommt das Risiko, weitere Personen anzustecken – und eine nicht auskurierte Krankheit kann einen später in viel stärkerem Maße wieder einholen oder chronisch werden.

Auch die Konjunktur spielt eine Rolle

Ob sich jemand mit Husten und Schnupfen für einen Tag abmeldet oder nicht, hat aber auch mit der Konjunktur eines Landes zu tun. „Ist die Arbeitslosigkeit hoch, sind die Leute seltener krank und umgekehrt. Da gibt es schon einen Zusammenhang“, sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. 2005 betrug die Arbeitslosenquote beispielsweise 11,7 Prozent; die durchschnittliche Zahl der Fehltage lag bei 9,2. Damals hatten die Menschen mehr Angst, ihren Job zu verlieren, und trauten sich weniger, als krank, leistungsschwach aufzufallen. In den darauffolgenden Jahren stieg die Beschäftigung stetig an, ebenso wie der Krankenstand.

Was mit der Zeit ebenfalls zugenommen hat, ist die Zahl der Tage, die sich Eltern frei nehmen, weil ihr Kind erkrankt ist. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. 2007 erklärten sich laut Gesundheitsministerium 1,1 Millionen Eltern „kinderkrank“, 2016 waren es 2,5 Millionen Fälle. Demnach hätten sich auch die Ausfalltage und die Ausgaben der Krankenkassen verdoppelt. Nach dem Gesetz darf jedes Elternteil bis zu zehn Tage im Jahr der Arbeit fernbleiben, wenn der Nachwuchs umsorgt werden muss. Das war vor einem Jahrzehnt genauso. Auch an den Bedingungen hat sich nichts geändert: das Kind darf nicht zwölf oder älter sein; man braucht ein Attest; es muss die einzige Lösung sein. Was sich aber stark verändert hat, ist die Erwerbstätigenquote der Frauen. Vor zehn Jahren lag sie bei 65 Prozent, heute bei 73 Prozent. „Wenn beide arbeiten, ist es ja logisch, dass sich einer abmelden und um das Kind kümmern muss“, sagt Brenke. „Und das ist nach der traditionellen Rollenverteilung noch immer meistens die Frau.“

Seelische Gesundheit ist ebenfalls wichtig

In den USA sorgte eine Frau in diesem Jahr für Furore, die jedoch aus einem anderen Grund daheim blieb. „Hey Kollegen, ich bleibe heute und morgen zu Hause, um mich auf meine psychische Gesundheit zu konzentrieren“, schrieb die Web-Entwicklerin Madalyn Parker in einer Rundmail. Ihr Chef reagierte verständnisvoll, lobte ihren achtsamen Umgang mit sich selbst, und schrieb auf dem Blog des Unternehmens, dass man heute nun einmal in einer Wissensgesellschaft lebe. „Unsere Berufe verlangen von uns, dass wir ständig geistige Höchstleistungen bringen. Wenn ein Athlet verletzt ist, dann sitzt er auf der Bank und erholt sich. Lasst uns endlich begreifen, dass das Gehirn ähnlich funktioniert“, schrieb er. Jubel auf Twitter, wo Parker seine Antwort veröffentlichte.

Habe jemand Stress im Privatleben, fühle sich psychisch nicht gut, was hierzulande mittlerweile zu den Hauptgründen für Fehltage zählt, würde Pfundmeier auch diesem Mitarbeiter raten, nach Hause zu gehen. Körperlich anwesend, aber mit den Gedanken ganz woanders zu sein, nütze wenig. Allerdings gibt es bei ihrem so fortschrittlich wirkenden Betrieb auch einen Vorteil: Es ist für alle gut möglich, von zu Hause aus zu arbeiten. Ganz gleich mit welchem Befinden.

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