Die Arbeit soll sinnstiftend sein: Warum Jobsuchende vom Chef mehr erwarten als nur Geld
Beim Arbeitgebertag geht es um Tarifbindung und Gehälter, doch für Arbeitssuchende zählen noch andere Faktoren. Manche machen daraus ein neues Geschäftsmodell.
Wenn der frisch wiedergewählte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer am Dienstag den jährlichen Arbeitgebertag eröffnet, wird es um harte politische Themen gehen. Der Anteil der Beschäftigten in einem tarifgebundenen Arbeitsverhältnis ist nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Westdeutschland auf 57 Prozent gesunken, in Ostdeutschland gar auf 44 Prozent. Ende der 1990er Jahre lag der Wert in den alten Bundesländern noch bei drei Viertel, in den neuen bei fast zwei Drittel.
Kramer sprach sich im Vorfeld sogar für eine weitere Flexibilisierung von Tarifverträgen aus – um damit die Akzeptanz von Tarifbindung auf Arbeitgeberseite zu stärken. Nicht jeder auf der prominent besetzten Rednerliste auf dem Arbeitgebertag – von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über Finanzminister Olaf Scholz (SPD) bis zu Annalena Baerbock (Grüne) – wird davon begeistert sein.
Wie weit die Vorstellungen auseinandergehen, dürfte auch der Sammelband „Sozialpartnerschaft 4.0 – Tarifpolitik für die Arbeitswelt von morgen“ zeigen, den die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände heute vorstellt, und an dem Autoren wie Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mitgewirkt haben.
Doch zahlreiche Umfragen belegen, dass Jobsuchende heute noch deutlich mehr erwarten als ein gutes, im besten Falle tarifgebundenes Gehalt: eine sinnvolle Beschäftigung. Jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist bereit, dafür ein geringeres Gehalt zu akzeptieren, wie eine Studie des Karriere-Netzwerks Xing im Frühjahr 2019 ergab. Vor allem innerhalb der Generation Y gab ein Drittel der 36- bis 45-jährigen Befragten an, dass für sie die Sinnhaftigkeit der Arbeit wichtiger als das Gehalt ist.
Arbeitgeber müssen für Mitarbeiter attraktiv werden
Doch welche Tätigkeit ist sinnstiftend? Aus Sicht von Oliver Stettes ist das sehr individuell. „Von außen zu beurteilen, welche Tätigkeiten heute als sinnstiftend angesehen werden, ist deshalb auch schwierig, weil man sich ein Urteil über die Tätigkeit anderer anmaßen würde“, sagt der Arbeitsmarktexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts IW Köln. „Marktwirtschaftlich betrachtet, besteht für eine Tätigkeit solange ein Sinn, wie genug Nachfrage besteht, dass das Unternehmen die Stelle anbieten kann.“
Dennoch ist er überzeugt, dass der neue Anspruch der Jobsuchenden eine Herausforderung für Unternehmen ist. „Es liegt an den Arbeitgebern, sich so zu präsentieren, dass der gesellschaftliche Wert des Unternehmens nach außen hin klar wird“, meint Stettes. Die Kommunikation und Außendarstellung sei ein wichtiger Punkt im Werben um neue Mitarbeiter. Der Alterungsprozess der Gesellschaft verstärke die Konkurrenz unter den Arbeitgebern dabei noch.
„Die nachrückenden Jahrgänge sind einfach kleiner als die vorigen. Unternehmen müssen sich daher Gedanken machen, wie sie neue Mitarbeiter von sich überzeugen“, sagt Stettes. Der Sinn ihres Jobs könne da ein Aspekt sein.
Paul Berg und David Diallo haben aus diesem Kriterium bei der Arbeitssuche ein Geschäftsmodell gemacht. Sie haben 2016 in Berlin das Start-up GoodJobs gegründet, eine Plattform, auf der aus ihrer Sicht ausschließlich sinnvolle Jobs gelistet werden. Diese filtern sie anhand eigener Kriterien heraus, zu denen Umweltschutz, Tiergesundheit oder Diversity gehören. Zudem führen sie ein Verzeichnis nachhaltiger Arbeitgeber, sogenannter GoodCompanies. „Nicht mehr der gut bezahlte Banker-Job erntet Anerkennung in der Gesellschaft, sondern der Job, der sich im weiten Feld der Nachhaltigkeit befindet und die Welt auch selbst nur ein kleines Stück besser macht“, sagt Berg.
In einer Userbefragung hat GoodJobs zudem herausgefunden, dass die übergroße Mehrheit ihrer Nutzer nach Jobs in Unternehmen suchen, die sie als grün und sozial einstufen. „Wenn das Ziel eines Unternehmens beispielsweise ist, Lebensmittel zu retten, dann wird dort jeder Job von der Buchhaltung bis hin zum Marketing als sinnstiftend empfunden“, erklärt Berg. „Gleichzeitig ergab die Umfrage aber auch, dass soziale Sicherheiten wie unbefristete Arbeitsverträge sehr wichtig sind.“
Dieses Zusammenspiel von Sinnhaftigkeit und eigener Sicherheit wurde auch in der diesjährigen Shell-Jugendstudie deutlich, in der zwar eine Mehrheit ihr Verlangen nach einer für die Gesellschaft wichtigen Tätigkeit ausdrückte, gleichzeitig aber ein sicherer Arbeitsplatz als noch wichtiger erachtet wurde.
Die meisten Deutschen finden ihren Job sinnvoll
Tatsächlich hält Stettes „Sinn“ im engeren Verständnis für nur eines von vielen Kriterien bei der Jobwahl. „Das Gehalt, die Flexibilität und die Entwicklungsmöglichkeiten im Job sind mindestens genauso wichtig“, ist er überzeugt. „Das zeigt auch die Tatsache, dass sieben von zehn Personen, die keiner aus ihrer Sicht sinnvollen Tätigkeit nachgehen, trotzdem zufrieden mit ihrer Stelle sind.“
Er bezieht sich damit auf die jüngsten Ergebnisse der Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen, die jedes zweite Jahr von der EU-Stiftung Eurofound durchgeführt wird. Im EU-Vergleich liegt der Anteil der Arbeitnehmer, die ihren Job als sinnvoll empfinden, in Deutschland demnach sogar durchaus hoch, wie Stettes auswertet; 86 Prozent hierzulande stehen demnach 84 Prozent im EU-Schnitt gegenüber.
Wie zufrieden die Deutschen wirklich mit ihrem Job sind, schwankt von Umfrage zu Umfrage. Laut dem DGB empfinden nämlich nur 68 Prozent ihre Arbeit als für die Gesellschaft wichtig. Viele Gewerkschaften haben sich indes auf die neuen Anforderungen eingestellt. So hat die IG Metall für ihre Mitglieder ausgehandelt, zwischen mehr Arbeit oder mehr Geld wählen zu können. Auch nicht-monetäre Faktoren wie die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf werden häufig berücksichtigt. Nur Sinnhaftigkeit steht noch in keinem Tarifvertrag.
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