Gütezeichen: Warum es so viele Siegel gibt – und was sie taugen
Siegel sollen über die Qualität eines Produktes Auskunft geben und Anbieter als vertrauenswürdig hervorheben. Vor allem bei Lebensmitteln ein lohnendes Geschäft.
Gäbe es „Wetten, dass...?“ noch, was wäre das für eine beeindruckende Wette: Christian Schmidt aus Fürth in Mittelfranken wettet, dass er zu sämtlichen Gütesiegeln, die auf deutschen Lebensmittelpackungen abgebildet sind, Vergabestelle und Prüfkriterien nennen kann.
„Als Gütesiegel‚ Gütezeichen oder Qualitätssiegel werden grafische oder schriftliche Produktkennzeichnungen bezeichnet, die eine Aussage über die Qualität eines Produktes machen sollen“, lautet die diplomatische Definition bei Wikipedia. Das Problem ist: Weil es keinerlei gesetzliche Regelungen gibt, kann grundsätzlich jeder ein Prüf- oder Gütesiegel kreieren und verwenden. Allein auf dem deutschen Markt gibt es deshalb inzwischen mehr als 1000 verschiedene Kennzeichen und Label. Der weitaus größte Teil von ihnen betrifft den Lebensmittelmarkt. Da den Durchblick zu behalten, ist nahezu unmöglich. „Der Konsument muss erst mal ein Siegel-Diplom machen, bevor er einkaufen geht“, beklagt Dario Sarmadi von der Verbraucherorganisation Foodwatch.
Biosiegel, Tierwohlsiegel
Tatsächlich existiert in der Branche bislang nur ein Siegel, für das es einen klaren rechtlichen Rahmen gibt. Das sechseckige, grüne Bio-Siegel, 2001 von Renate Künast in Deutschland eingeführt, ist rechtlich geschützt. Es basiert auf der EG-Öko-Verordnung der EU, die unter anderem Anbau und Aufzucht regelt. Verstöße können mit Bußgeldern, Geldstrafen und Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr geahndet werden. Gleichwohl gibt es weitere Öko-Label, die zum Beispiel eine Mitgliedschaft in Verbänden wie Demeter und Naturland ausweisen, deren Standards über die der EU hinausgehen, etwa mehr Platz pro Tier voraussetzen. Seit 2010 findet sich überdies auch das rechteckige Bio-Symbol der EU mit weißen Sternen auf hellgrünem Grund auf zahlreichen Nahrungsmitteln – dessen Kriterien mit denen, die dem deutschen Biosiegel zugrunde liegen, aber deckungsgleich sind.
Weil vor allem dem Thema Haltungsbedingungen beim Fleischkauf ein immer größerer Stellenwert beigemessen wird, gibt es Logos, die zwar nicht für Bio-Qualität stehen, aber dennoch von gehobenen Standards künden sollen. Der Tierschutzbund vergibt ein hellblaues, die Brancheninitiative Tierwohl hat eigene Kriterien und ihr eigenes Emblem entwickelt. Ein Logo am Fleischregal besagt jedoch bloß, dass der Händler das Programm unterstützt – „ob das Fleisch, das der Kunde kauft, auch aus einem Betrieb stammt, in dem Tiere von verbesserten Bedingungen profitieren, kann er aber nicht erkennen“, kritisiert Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg.
Diese Label braucht niemand
Das neueste Siegel hat Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) erst vor zwei Wochen vorgestellt. „Mehr Tierwohl“ steht auf dem schwarz-weißen Sechseck, das spätestens 2019 eingeführt werden soll. Ein staatliches Siegel wird schon lange gefordert. „Die Politik darf sich aber nicht hinter freiwilligen Siegelprogrammen verstecken und so darum drücken, allgemeingültige Standards zu setzen“, moniert Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Grundsätzlich hält der Siegel jedoch für wichtig, damit Verbraucherinnen und Verbraucher „mit ihrer Kaufentscheidung Verantwortung übernehmen können“. Immer mehr Menschen wollen das tun.
Darum wollen andererseits viele Hersteller mit Siegeln werben – und die Wahl der Konsumenten so für sich entscheiden. „Das blaue QS-Zeichen auf vielen Produkten, das für Qualität und Sicherheit stehen soll, ist kaum mehr als eine Worthülse“, urteilt Lebensmittelfachmann Valet. Es wird von Verbänden der Land- und Ernährungswirtschaft vergeben und bestätigt im Kern nur, dass gesetzliche Produktionsanforderungen eingehalten wurden – „also das Minimum“. Auch das DLG-Siegel braucht seiner Meinung nach niemand. „Da wird lediglich sensorisch getestet, also auf Aussehen, Geschmack, Geruch, Konsistenz.“ 80 bis 95 Prozent aller Produkte erhalten anschließend eine Auszeichnung in Gold, Silber oder Bronze. „Die sagt aber nichts darüber aus, wie wertvoll ein Lebensmittel ist.“ Die Qualitätskriterien stellt die Industrie selber auf – sie entscheidet, wie eine Fleischwurst zu sein hat, nicht, was hineingehört.
"Regional-Milch" kommt aus Polen
Ebenfalls skeptisch zu betrachten sind laut Dario Sarmadi von Foodwatch Regional-Label. Die stellen sich Hersteller gerne gleich selber aus – was als regional gilt, ist dabei nirgendwo festgelegt. So werden mithin als regional deklarierte Milchprodukte zwar in der Nähe der Verkaufsstelle abgefüllt, die Milch dafür kommt aber aus Polen.
Für nicht wenige dieser Siegel fließt Geld. Selbst für das staatliche Biosiegel müssen Erzeuger zahlen. Zunächst für die Zertifizierung, dann für regelmäßige Kontrollen. Unsummen sind das nicht – aber einige hundert Euro im Jahr, heißt es beim Öko-Branchenverband. Die denen besonders wehtun, die sie vielleicht am ehesten verdient haben: Kleinständische Betriebe, die aus Überzeugung ökologisch wirtschaften.
Portale und Apps wollen Orientierungshilfe bieten. Aus dem Geschäftsmodell Siegelvergabe ist so längst ein neues entstanden. Tatsächlich hat selbst die Bundesregierung erkannt, dass die Fülle an Siegeln viele Bürger überfordert.
Statt dem Wildwuchs klare Grenzen zu setzen, hat sie ihrerseits das Portal Siegelklarheit entwickelt, „für mehr Durchblick im Siegeldschungel“. Es ist vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, bis es das erste Siegel für Siegel gibt.
Maris Hubschmid