Hopfen und Malz gewonnen: Warum die Deutschen wieder mehr Bier trinken
Da gärt noch was: Über Jahre hat das Nationalgetränk der Deutschen an Stellenwert verloren. Doch jetzt ist Bier wieder im Kommen.
Vorbei an Rumänien und Usbekistan, die Ausstellung für Sichtschutzanlagen links liegen gelassen, tut sich im Untergeschoss in Halle 12 eine Welt auf, in der Deutschland noch in Ordnung ist: Dickbäuchige Männer mit hohem Haaransatz sitzen an langen Tischen, essen Leberkäs von senfdurchsuppten Papptellern und trinken Gezapftes aus wuchtigen Gläsern. Auf der Grünen Woche, in der sogenannten Pro-Bierhalle, ist das für viele ein fester Programmpunkt. „Es wird bei uns Deutschen mit wenig so viel Zeit totgeschlagen wie mit Biertrinken“, stellte schon Bismarck fest. Die Deutschen und ihr Bier, das war über Jahrhunderte eng verknüpft. Auch im Ausland genießt deutsches Bier ein hohes Ansehen, Reiseführer verweisen auf das Reinheitsgebot von 1516 und preisen das Bier als deutsches Kulturgut. Tatsächlich aber hat der Gerstensaft in den vergangenen Jahrzehnten stark an Beliebtheit eingebüßt. Um ganze 25 Millionen Hektoliter ging der Absatz hierzulande seit Beginn der Neunzigerjahre zurück.
Der Fußball hat den Verbrauch angekurbelt
Jetzt aber gärt in den Großbrauereien der Krombachers, Warsteiners und Becks neue Hoffnung: Erstmals seit Langem haben die Bundesbürger 2014 wieder mehr Bier konsumiert als im Jahr davor. Pro Kopf tranken sie knapp 107 Liter, schätzt der Brauerbund – im Schnitt etwa ein Glas mehr als 2013. Klingt unbedeutend, ist es aber nicht: „Bei den Bierumsätzen gibt es ein stattliches Plus“, bestätigt Horst Zocher von der Gesellschaft für Konsumforschung. Besonders erfreulich für die Brauer ist daran: Gerade jüngere Menschen lassen wieder häufiger die Kronkorken schnalzen.
Wahr ist: Der Fußball hat die Bierlust im vergangenen Sommer ordentlich gefördert. Doch weder 2010 noch 2006, als die Weltmeisterschaft im eigenen Land ausgetragen wurde, rettete das die Bilanz.
Optimisten sprechen deshalb bereits von einer Renaissance. Argumente dafür gibt es einige, meint Doreen Pick, Marketingprofessorin an der Freien Universität Berlin: Offensichtlich ist der Erfolg der alkoholfreien Angebote; ihr Absatz kletterte zuletzt um stolze zwölf Prozent. Das komme nicht nur einem wachsenden Gesundheitsbewusstsein, sondern auch einer alternden Gesellschaft entgegen, glaubt Pick. Aber die Brauereien bringen auch immer häufiger neue Biere und Variationen auf den Markt, wecken so das Interesse der Verbraucher. „Limitierte Editionen und Mixgetränke erfüllen ihr Bedürfnis nach Abwechslung“, erklärt Pick.
Jugendliche tranken lieber Alkopops
Zu lange, so scheint es, haben sich die Brauereien auf dem Reinheitsgebot, der Gewissheit, das verbrieft beste Bier zu brauen, ausgeruht. Nichts als Hopfen, Malz, Hefe und Wasser – das kann auf Dauer aber eben auch ein bisschen langweilig sein. Andere Getränkehersteller haben das bald erkannt und Anfang der 2000er Jahre mit den viel kritisierten Alkopops – Mischungen hochprozentiger Spirituosen mit Limonaden – vor allem junge Leute angelockt.
„Als ihre Eltern 16, 17 waren, gab es eigentlich nur Bier“, sagt Marktforscher Zocher. „Die nächste Generation dagegen stieg mit anderen Produkten in den Alkoholkonsum ein.“ Auf den Biergeschmack kommen viele deshalb erst jetzt.
Die Differenzierung am Markt wird verstärkt durch einen Trend aus den USA. Craft-Brauereien, die mit Rohstoffen und Methoden experimentieren und meist nur wenige Gaststätten beliefern, begeistern mit Erzeugnissen abseits des Mainstreams. Gerade in Berlin etablieren sich Handwerksbrauereien. Hops & Barley in Friedrichshain, Eschenbräu im Wedding oder Rollberger aus Neukölln sind nur einige. Zwar hält die Kindl-Brauerei, die zur Radeberger-Gruppe gehört, mit ihren Marken Kindl, Schultheiss, Berliner Pilsener und Bürgerbräu in der Hauptstadt noch über 90 Prozent Marktanteil, für das Image der Branche aber sind die „Crafter“ sehr wichtig. „Endlich wird wieder über das Bier und nicht bloß über den Preis geredet“, kommentierte unlängst der Vorsitzende der bayerischen Brauer die Bewegung.
Große Hersteller springen auf den Trend auf
Bier ist nicht mehr nur kalt und gelb – es ist Hopfenwein. Liebhaber diskutieren über alte Pflanzsorten, Lagerung in Whiskyfässern und das perfekte Glas. Das Feierabendbier, ein Relikt der Arbeiterklasse, muss nicht mehr als profan gelten – Biersommeliers und gut sortierte Lokale wie „Foersters feine Biere“ in Steglitz machen es salonfähig.
Mit der Wertschätzung des Biers steigt auch der Preis. 2014 um durchschnittlich 50 Cent pro Kiste – davon profitieren auch die Großen. Sie begegnen den neuen Ansprüchen mit eigenen Produkten: Franziskaner präsentiert die Linie „Royal“, Wernesgrüner will im Februar „1436“ in die Läden bringen – „eine Hommage an die langjährige Brautradition, angenehm hopfig“.
Der neue Durst nach Männlichkeit
Auf der Grünen Woche ist dem Nationalgetränk in diesem Jahr eine Sonderausstellung gewidmet. Der Brauerbund rückt dabei besonders das Handwerk in den Vordergrund. Auf vielen Regalmetern ist die ganze Bandbreite an Spezialitäten zu bewundern. „Ein Land, 5000 Biere“, heißt der Slogan.
Ein paar Meter weiter formen Kronkorken den Schriftzug „Bier geht immer“. Junge Männer stehen dort Schlange für ein Selfie. Getriebene, sagt Professorin Pick: Frauen erobern in der modernen Gesellschaft zunehmend Männerdomänen. Der bedrängte Mann sehnt sich nach maskulinen Attributen.
Also legt er schwere Steaks auf den Grill, trägt Bart – und trinkt Bier. Der neue Durst ist also auch ein Durst nach Männlichkeit.