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Wandlungsfähig? Elektromobilität ist für die deutsche Automobilindustrie eine der großen Herausforderungen.
© Thilo Rückeis

Future Mobility Summit: Warten auf die große Verkehrswende

Beim Future Mobility Summit sind sich die Experten einig: Deutschland tut sich schwer mit der Mobilität der Zukunft.

Rüdiger Grube zitiert Einstein: „Die reinste Form des Wahnsinns ist, nichts zu verändern und trotzdem zu glauben, alles verändert sich.“ Am Standort Deutschland stößt der frühere Bahn-Chef, der heute seine eigene Beratungsfirma führt, nicht selten auf Wahnsinnige im Sinne Einsteins – zum Beispiel in der Mobilitätsbranche.

Während sich auf Märkten wie China der Verkehr und das Mobilitätsbedürfnis der Bevölkerung explosionsartig entwickelten, verharre Europa wie in Schockstarre, warnt Grube am Dienstag auf dem Future Mobility Summit des Tagesspiegels. „Geschwindigkeit ist der entscheidende Faktor“, sagt er. „Daran wird es scheitern. Wenn ich nach China blicke, bekomme ich Angst.“

Sechs bis acht Mal im Jahr ist der umtriebige 67-Jährige in der Volksrepublik und gewinnt Einblicke, die ihn nervös machen. In zehn Jahren würden eine Milliarde Chinesen einen Führerschein haben, die Infrastruktur des Landes vertrage aber nur 300 Millionen Autos. Der mit 130 Millionen zugelassenen Fahrzeugen schon heute weltgrößte Automarkt stehe vor dem Kollaps, wenn nicht gegengesteuert werde.

Und die deutsche Autoindustrie, die noch vom Wachstum Chinas lebt, müsse diese Bewegung mitmachen – weg vom reinen Fahrzeugherstellern, hin zu Anbietern von Mobilitätsdiensten. Das kostet Geld, und das fehlt: Internationale Investoren glauben nach Grubes Einschätzung nicht an die Wandlungsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie, sondern an Tesla.

Geht die Transformation am Wirtschaftsstandort Deutschland vorbei? Wie schafft die heimische Schlüsselindustrie mit 800.000 Beschäftigten die Wende? Und welche Rolle spielt die Politik?

„Wendepunkte erkennt man meistens schlecht und spät“, sagt Andreas Cornet, Partner beim Beratungsunternehmen McKinsey. Noch sehe alles nach einer evolutorischen Entwicklung aus, nicht nach Revolution. Der Mobilitätsmarkt sei produktorientiert, die Absatz- und Umsatzzahlen der Autohersteller wüchsen, Fahrzeugverkauf und Service trügen das Geschäft. „Aber wir stehen längst am Wendepunkt: der Neudefinition von Mobilität“, betont Cornet.

800.000 Arbeitsplätze in der Branche würden bis 2030 europaweit verloren gehen. Nicht nur die deutsche Industrie, der gesamte Wirtschaftsstandort Europa müsse aufpassen, „dass wir nicht von rechts und links überholt werden, zum Beispiel von China“, warnt der Berater.

Deshalb müsse der Standort nicht gleich einen „chinesischen Weg“ einschlagen, der politisch nicht gewollt sei. Auch gebe es die Chance, dass bis 2030 rund 500.000 neue Mobilitäts-Jobs entstünden. Voraussetzung sei aber, dass man sich am Standort auf die europäischen Stärken besinne: das gute Bildungssystem, die starke Forschung, das dichte und diverse Netzwerk aus globalen Champions, die Kunden weltweit bedienen könnten. „Wir müssen aggressiver die Deutungshoheit verteidigen, die wir heute im Automobilbau haben“, mahnt Cornet.

Zeitplan für Dekarbonisierung

Gefordert sei auch der Staat. Das Pflichtenheft ist Cornet zufolge voll: eine ganzheitliche, sektorübergreifende Regulierung, ein Zeitplan für die Dekarbonisierung, eine Finanzierung der Infrastruktur, mehr Unterstützung für Städte und Kommunen. Doch gerade im Kleinen zeigt sich, wie kompliziert die große Verkehrswende ist. „Mir fällt keine deutsche Stadt ein, die bei der Verkehrspolitik alles richtig macht“, sagt Barbara Lenz, Direktorin des Berliner Instituts für Verkehrsforschung auf dem Tagesspiegel-Summit.

Einen Königsweg, wie beispielsweise Bus und Bahn für alle kostenlos zu machen, wie es das Großherzogtum Luxemburg ab Frühjahr 2020 plant, gebe es nicht. Stattdessen müsse „ein Mix aus verschiedenen Bausteinen“ die Verkehrswende einleiten. In Deutschland gebe es bereits „viele richtige Ansätze“, ergänzt die Forscherin. Neben elektrischen Bussen seien das zum Beispiel Angebote wie der Shuttledienst Berlkönig in Berlin.

Rund 100.000 Menschen haben sich bisher bei der Sammeltaxi-App der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) registriert. Ein Anfang, der zeigt, dass das eigene Auto in der Stadt für viele Menschen ein Auslaufmodell ist. Mit Blick auf die Passagierzahlen sei der Shuttle-Service zwar eine Randnotiz, sagt Klaus Emmerich, Bereichsleiter Angebot bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Täglich macht die BVG knapp drei Millionen Fahrten mit Bus und Bahn. Doch das Unternehmen habe mit dem neuen Mobilitätsangebot wieder tausende Menschen an die eigene Marke gebunden. Das Feld dürfe nicht allein den mit reichlich Kapital ausgestatteten US-Unternehmen wie Uber und Lyft überlassen werden.

„Wir brauchen in der politischen Diskussion mehr Schattierungen von Grau und weniger Schwarzweiß“, glaubt Berater Cornet. Er erwartet mehr inhaltlichen Tiefgang in der öffentlichen Debatte. Eine Empfehlung, die wohl auch an das Klimakabinett gerichtet war, das an diesem Mittwoch zum ersten Mal zusammenkommt. Umweltverbände und Grüne fordern die Regierung auf, beim Klimaschutz endlich voranzukommen und ein Gesetz zu verabschieden, für das Bundesumweltministerin Svenja Schulze im Februar 2019 einen Entwurf vorgelegt hatte.

Experten vermissen zudem ein schlüssiges Gesamtkonzept. „Wir brauchen einen Masterplan für den Mobilitätssektor“, sagte Ulrich Walwei, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Dabei gehe es nicht um Dirigismus, sondern um Investitionen – vor allem in das Bildungssystem. Die demografische Entwicklung, der Fachkräftemangel, die Neigung zur akademischen Ausbildung – Arbeitsmarktexperte Walwei ist optimistisch, dass die Transformation des Mobilitätssektors keinen Kahlschlag bei der Beschäftigung verursachen wird.

Thema Batterie

Matthias Machnig warnt davor, dass die deutsche Automobilindustrie den internationalen Anschluss verliert. „Wir haben heute keine Produktionskompetenz beim Thema Batterie und stehen am Anfang beim Thema Softwareentwicklung“, sagte der frühere SPD-Wirtschaftsstaatssekretär beim Future Mobility-Summit des Tagesspiegel in Berlin. „Wenn es ganz schlecht läuft, liefern die Asiaten die Zelle, die Amerikaner das Betriebssystem für autonomes Fahren, und dann wir können in Deutschland noch ein paar Bleche zusammenschweißen.“

Machnig, der inzwischen als Leiter für Industriestrategie bei InnoEnergy angeheuert hat, einem Frühphaseninvestor für nachhaltige Energie in Europa, hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Batteriezellfertigung in Europa. Wenn dies weiter asiatischen Herstellern überlassen werde, drohe die Abhängigkeit – mit der Konsequenz sich Daimler und VW gar nicht sicher sein könnten, dass sie die neuste, beste Batterietechnik bekämen.

Die Zeit drängt aus Sicht des Politikers enorm: „Die Messe zum Thema Batteriezelle ist in fünf Jahren gesungen“, sagte er. Wenn in Europa bis 2025 keine eigene Produktionstechnik im industriellen Maßstab installiert sei, seien die deutschen Autohersteller dazu gezwungen, ihre langfristigen Lieferverträge weit fortzusetzen. „Dann wird es sehr schwierig für neue Anbieter, auf den Markt zu kommen.“

Machnig hält es für vorstellbar, dass nicht nur die Autobauer beim Aufbau einer Zellfertigung kooperieren, sondern auch größere Zulieferer eingebunden werden. Aus einer solchen Kooperation könne „eine Investitions- und Innovationsallianz“ entstehen. Diese müsse sich die entstehenden Risiken teilen – etwa in Bezug auf Rohstoffe, Investitionen und Produktion. 

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