Abgasskandal: VW einigt sich mit US-Justizministerium auf Strafzahlung von 4,3 Milliarden Dollar
Der Konzern erzielt einen Vergleich mit dem amerikanischen Justizministerium und der Zollbehörde. Mitten in die Verhandlungen platzte eine weitere Bombe: Ein festgenommener VW-Mitarbeiter scheint den Vorstand schwer zu belasten.
Im Abgasskandal ist der Volkswagen-Konzern zur Zahlung von Bußgeldern und Strafen in den USA in einer Höhe von rund 4,3 Milliarden Dollar (vier Milliarden Euro) bereit. Der Wolfsburger Konzern teilte am Dienstagabend mit, sich mit dem US-Justizministerium und der US-Zollbehörde "in fortgeschrittenen Gesprächen" zu befinden und einen "konkreten Vergleichsentwurf mit den genannten US-Behörden ausgehandelt" zu haben.
Ziel der Gespräche sei der Abschluss von Vergleichsvereinbarungen über die Beilegung bestimmter strafrechtlicher Untersuchungen und bestimmter zivilrechtlicher Bußgeldverfahren im Zusammenhang mit dem Abgasskandal in den USA, erklärte Volkswagen. Demnach sieht der Vergleichsentwurf ein Schuldanerkenntnis in Bezug auf bestimmte US-Strafvorschriften vor sowie die Bestellung einer unabhängigen Aufsichtsperson für die nächsten drei Jahre.
Es muss noch Zustimmung geben
Dem Vergleich müssen aber noch Vorstand und Aufsichtsrat von Volkswagen und weitere Organe des Konzerns zustimmen. Die zuständigen Gremien würden sich möglicherweise noch am Dienstag oder aber am Mittwoch mit der Angelegenheit befassen, erklärte Volkswagen. Außerdem müssen noch die zuständigen US-Gerichte zustimmen.
Über den Vergleich wurde seit Monaten verhandelt. Damit sollen strafrechtliche Ermittlungen beigelegt werden. Um zivilrechtliche Klagen aus der Welt zu schaffen, hatte der Konzern bereits in den vergangenen Monaten mehrere milliardenschwere Vereinbarungen ausgehandelt.
VW hatte in den USA bereits einen zivilrechtlichen Vergleich mit Klägern und Behörden erzielt, die Kunden betreffend. Dieser sah unter anderem Rückkäufe von Autos, Entschädigungen und Reparaturen vor. VW kann dieser Vergleich mehr als 16 Milliarden Dollar kosten.
Mitten in den Endspurt der Verhandlungen um einen Vergleich mit der US-Justiz platzte eine weitere Bombe - eine US-Strafanzeige gegen einen VW-Manager liefert für die Konzernspitze brisante Details.
Ein leitender VW-Mitarbeiter bekam am vergangenen Samstag auf denkbar unangenehme Weise den langen Arm der US-Justiz zu spüren - die Bundespolizei FBI nahm den 48-Jährigen wegen mutmaßlicher Mittäterschaft beim Abgas-Skandal am Flughafen Miami fest. Er scheint die Vorstandsebene des Konzerns zu belasten. Das würde bedeuten, dass als nächstes hohe Manager vor Gericht kommen, die sich persönlich verantworten müssen.
Wer ist der Festgenommene und was wird ihm vorgeworfen?
Es handelt sich um einen VW-Mitarbeiter, der nach Angaben der US-Behörden seit 1997 für den Konzern tätig ist. Von 2012 bis März 2015 soll er als führender Angestellter in den USA mit Umweltfragen betraut gewesen sein. Das US-Justizministerium wirft ihm eine Beteiligung beim massenhaften Abgasbetrug vor. VW hatte im September 2015 nach Vorwürfen der US-Umweltbehörden zugegeben, bei Hunderttausenden Dieselautos mit einer speziellen Software die Emissionswerte gefälscht zu haben.
Wie ging der Mann den US-Fahndern ins Netz?
Der VW-Manager war laut FBI-Angaben im Urlaub in Florida - was sich seit der Festnahme ereignete, gleicht einem Krimi: Der Beschuldigte landete bereits am Montag erstmals in Miami vor Gericht - er wurde dort laut US-Medien filmreif in Handschellen und Gefängnisuniform vorgeführt. Der Richter ordnete an, dass der Mann in Gewahrsam bleibt. Die in dem Verfahren zuständige Bundesanwaltschaft in Detroit drängt auf eine rasche Auslieferung - am Donnerstag schon soll der VW-Mitarbeiter in Michigan vor den Richter kommen.
Warum ist der Fall brisant für die Konzernspitze?
In den Gerichtsdokumenten zur Strafanzeige werden heftige Vorwürfe gegen das Management erhoben. Demnach war die Konzernspitze nicht nur seit Juli 2015 in die Manipulationen eingeweiht, sie soll die zuständigen US-Mitarbeiter sogar autorisiert haben, den Betrug gegenüber den US-Behörden weiter zu leugnen. Solche Anschuldigungen sind zwar nicht gänzlich neu, doch diesmal stützt sich die US-Justiz auf die eidesstattliche Erklärung eines FBI-Agenten und Aussagen gleich mehrerer Konzern-Insider. Einer der Zeugen behauptet, er habe sich über die Vorgaben seiner Vorgesetzten hinweggesetzt, als er die Tricksereien letztlich gegenüber den US-Behörden einräumte.
Laut einem Bericht von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR belasten die Zeugenaussagen auch einen damaligen und ein aktuellen Konzernvorstand. Vorwürfen zufolge, die bereits im vergangenen Jahr öffentlich wurden, könnten sie schon im Juli 2015, also Monate vor Bekanntwerden des Skandals, von den Manipulationen erfahren haben. VW hatte vor knapp einem Jahr in einem Gerichtsdokument mitgeteilt, der Vorstand habe erst kurz bevor der Skandal öffentlich wurde, sicher Kenntnis von dem Betrug erlangt. Im Juli hätten Vorstände zwar an einem Treffen zu den Problemen mit Dieselmotoren in den USA teilgenommen. Es sei möglich, aber nicht sicher, dass damals eine gezielte Manipulation als Grund für die erhöhten Abgaswerte genannt wurde. Ein VW-Sprecher teilte mit, dass sich an dieser Darstellung „nach jetziger Kenntnis bis heute auch nichts Wesentliches geändert“ habe. Zu Details wollte er sich nicht äußern.
Wer ist sonst noch in das Verfahren involviert?
Im September hatte sich bereits ein langjähriger VW-Ingenieur im Zuge einer ersten Strafanzeige schuldig im Abgas-Skandal erklärt und den Behörden im Rahmen eines Kronzeugen-Deals Kooperation zugesichert. In den USA können Beklagte ihr Strafmaß in Kriminalfällen deutlich senken, wenn mit ihren Aussagen zur Aufklärung beitragen. Laut Gerichtsdokumenten gibt es zwei weitere VW-Insider, die als Zeugen mit den Ermittlern zusammenarbeiten. Ihnen sei zugesichert worden, im Gegenzug nicht in den USA angeklagt zu werden. Möglicherweise hat die US-Justiz noch zusätzliche VW-Manager im Visier - bei Strafanzeigen ist es in den USA durchaus üblich, dass sie erst mit deutlichem Zeitverzug öffentlich gemacht werden.
Was steht dem Konzern sonst noch an rechtlichem Ärger ins Haus?
Die Strafanzeige platzt mitten in die Verhandlungen zwischen VW und dem US-Justizministerium um einen Vergleich zur Beilegung strafrechtlicher Ermittlungen. Hierbei geht es allerdings um die Konzernebene und nicht um Anschuldigungen gegen in die Affäre verwickelte Personen. Laut US-Medien könnten VW und die US-Justiz bereits in dieser Woche einen Milliarden-Vergleich schließen, der auch noch weitere zivilrechtliche Bußgelder umfasst. Mit zahlreichen Dieselbesitzern, Autohändlern und US-Behörden hat der Konzern sich in einem zivilrechtlichen Mammut-Verfahren bereits auf außergerichtliche Kompromisse geeinigt, die über 17 Milliarden Dollar kosten könnten.
Welche weiteren juristischen Baustellen gibt es?
Abseits der milliardenschweren Kosten in den USA droht den Wolfsburgern auch in Europa weiter Ungemach. Angesichts der hohen Entschädigungszahlungen für Dieselbesitzer in den USA werden die Rufe der Verbraucherschützer nach Wiedergutmachung für europäische Kunden immer lauter. Hunderte Einzelklagen von Autobesitzern gegen VW oder Händler laufen allein in Deutschland - die Kläger könnten davon profitieren, dass die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnet hat. Volkswagen stellt sich bei der Frage nach Entschädigungen nach wie vor quer und argumentiert, die Betrugssoftware sei in Europa nicht gesetzeswidrig.
Strafrechtlich ermittelt wird aber in Deutschland gegen VW-Angestellte und Manager, unter anderem wegen der Software-Manipulationen. Anklage wurde aber noch nicht erhoben. Weltweit sind rund elf Millionen Wagen von der „Dieselgate“-Affäre betroffen. Die Ermittler gehen daneben dem Verdacht nach, dass unter anderem Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und der jetzige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch den Finanzmarkt zu spät über den aufgeflogenen Skandal ins Bild gesetzt haben. (AFP/dpa)
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