Deutsche Bahn in der Krise: Vor welchen Problemen Bahn-Chef Lutz steht
Bahn-Chef Richard Lutz muss zum Rapport beim Bundesverkehrsminister – es geht um mehr als seine Karriere. Der Staatskonzern braucht einen Kurswechsel.
Schachspieler opfern einen Bauern, wenn sie etwas Größeres im Sinn haben. Das Bauernopfer räumt das Spielfeld auf und führt im Idealfall zum Sieg. Bahn-Chef Richard Lutz spielt sehr gut Schach. Anfang der 80er-Jahre war er Jugendvizemeister und Pfalzmeister, spielte später in der 2. Bundesliga. Der 54-Jährige kennt die Regeln – auf dem Brett und im größten deutschen Staatskonzern, dessen Chef er seit 2017 ist.
Wenn Lutz an diesem Dienstagmorgen um 7 Uhr Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zum Krisengespräch trifft, wird es womöglich auch um ein Bauernopfer gehen. Wenn es schlecht läuft für den Bahn-Chef, könnte es ihn selbst in den kommenden Monaten treffen. Die Bundesregierung hat Größeres im Sinn: Sie erwartet von der Konzern- Spitze ein Konzept, das die Deutsche Bahn (DB) schnell – am besten schon im Verlauf des Jahres – profitabler, pünktlicher und zukunftsfähiger machen soll.
Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD allerhand ambitionierte bahnpolitische Ziele formuliert. Nun wird es Zeit, sie auch umzusetzen. Spät hat der zuständige Minister erkannt, dass im Schienenverkehr mehr passieren muss als politische Absichtserklärung abzugeben. Immerhin soll die Bahn die Zahl ihrer Fahrgäste bis 2030 verdoppeln.
Doch der aktuelle Zustand des Schienenkonzerns lässt solche Zukunftspläne in weite Ferne rücken. Nicht nur die Kunden sind unzufrieden, etwa weil nur jeder vierte Fernzug pünktlich ist, sondern auch viele der weltweit mehr als 300 000 Beschäftigten. Kompetenz- und Machtgerangel, Bürokratie, unklare Verantwortlichkeiten – auch in der internen Organisation läuft es nicht rund. Die Bahn mit ihren 700 Beteiligungen und in Aktiengesellschaften organisierten Geschäftsbereichen, steht sich selbst im Weg.
Richard Lutz wird deshalb auch nicht allein im Verkehrsministerium erwartet. Ihn begleiten Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla, Finanzchef Alexander Doll und Fernverkehrsvorstand Berthold Huber. Für alle Beteiligten geht es um viel. Ex-Kanzleramtschef Pofalla, der sich als durchsetzungsstarker Netz-Vorstand profiliert hat und politisch exzellent verdrahtet ist, wird noch immer als ein möglicher Lutz-Nachfolger gehandelt – solange er keine großen Fehler macht. Als „Krisen-Manager“ soll er Berichten zufolge Lutz kurzfristig zur Seite springen.
Huber, freundlich-überfordert mit dem Chaos im Personenverkehr, braucht dringend ein Erfolgserlebnis und Unterstützer, wenn er seinen Posten behalten will. Und Doll, erst seit Jahresanfang im Amt, hat ein Zahlenwerk zu verantworten, das von wachsenden Schulden, Verlustgeschäften und schrumpfenden Marktanteilen gekennzeichnet ist.
Richard Lutz kämpft um nicht weniger als sein gesamtes Berufsleben. Der Pfälzer startete vor 25 Jahren bei der Bahn, als im Zuge der Bahnreform aus der Bundesbahn eine Aktiengesellschaft wurde. Der aus einer Bahner-Familie stammende Lutz hat sich vom Controller erst zum Finanzchef und dann zum Vorstandsvorsitzenden nach oben gearbeitet. Kommunikativ, verbindlich, uneitel – so erleben ihn Mitarbeiter. In der Öffentlichkeit ist Lutz indes kaum bekannt, in einer Talk-Show schwer vorstellbar. Nachfolger von Rüdiger Grube wurde er im März 2017 eher aus Verlegenheit, weil der Eigentümer keinen anderen Kandidaten finden konnte. Fleißig und pflichtbewusst wie schon als Finanzvorstand zeigte er sich davon öffentlich unbeeindruckt.
Zum Amtsantritt beschrieb er seinen Job als „schwierig“. Spätestens im Herbst 2018 musste der Chef erkennen, dass ihm der „bunte Laden“ Deutsche Bahn sein ganzes Können abverlangte. „Die Lage ist ernst“, schrieb Lutz in einem internen, schnell in die Öffentlichkeit lancierten Brandbrief an die eigene Mannschaft.
Neuer Kurs und frisches Geld
Klar ist inzwischen: Es geht um mehr als Managerposten und Konzernumbauten. Die DB braucht einen neuen Kurs – und wieder mal mehr Geld. Lutz hat dem Aufsichtsrat im November eine schonungslose 200-seitige „Agenda für eine bessere Bahn“ vorgelegt, für deren Umsetzung nach den teuren Tarifabschlüssen knapp fünf Milliarden Euro zusätzlich benötigt werden. Scheuer und die Experten der Regierungsparteien CDU und SPD, deren Vizefraktionschefs an dem Krisentreffen am Dienstag teilnehmen werden, kennen alle Pläne und Zahlen seit Monaten. Denn im 20-köpfigen Aufsichtsrat sind die Politiker neben der Arbeitnehmerbank stark vertreten, darunter auch Scheuers Staatssekretär Guido Beermann. Auch Aufsichtsratschef Michael Odenwald war viele Jahre im Ministerium.
Für die Regierenden können die Fehlentwicklungen also keine Überraschung sein, auch wenn so getan wird. Das Problem: Union und SPD sind sich seit Langem uneins über längst nötige Strukturreformen. Nun aber wächst der Druck, endlich zu handeln. Wie also soll es weitergehen? Die Gefahr ist groß, dass sich die Koalition mangels Einigkeit ein weiteres Mal mit dem Stopfen der größten Finanzlöcher und einiger Umbauten begnügt und wirkliche Reformen für eine echte Verkehrswende hin zur Schiene ausbleiben.
Arriva-Verkauf und Erweiterung des Vorstands wahrscheinlich
DB-Chef Lutz will zunächst die Strukturen straffen, der Vorstand soll das operative Geschäft künftig direkt steuern und dafür auf acht Personen aufgestockt werden. Aufrücken könnten so der Chef der DB Cargo AG, Roland Bosch, und eine weitere Managerin für den Fern- oder Regionalverkehr, die sich diesen Bereich mit Berthold Huber teilen soll.
Als wahrscheinlich gilt seit Monaten auch der Verkauf der britischen Arriva, über die Bus- und Bahngeschäfte im Ausland gesteuert werden. Das könnte 3,5 bis vier Milliarden Euro bringen. Unter Rüdiger Grube hatte die DB die Briten für rund drei Milliarden Euro gekauft. Arriva beschäftigt 55 000 Mitarbeiter. Mit 5,3 Milliarden Euro bringt die Tochter fast ein Achtel des DB-Konzernumsatzes und steuert 301 Millionen Euro zum Gewinn vor Steuern und Zinsen (EBIT) von zuletzt 1,67 Milliarden Euro bei.
Ein Verkauf der Auslandsgeschäfte würde die wirtschaftliche Lage wohl nur kurzfristig, nicht aber auf längere Sicht verbessern, meinen Kritiker. Die jahrelangen Versäumnisse rächen sich nun, weil mehr und funktionierende Züge nicht herbeigezaubert werden können und es teuer und langwierig ist, die vielen Engpässe im bundeseigenen Schienennetz zu beseitigen, das so lange vernachlässigt wurde.