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Volkswagen-CEO Herbert Diess
© REUTERS/Matthias Rietschel/File Photo

Halbleitermangel und Produktionsstau: Volkswagen-Chef Diess will Kapazitäten in Wolfsburg senken

Bei der Ursachenanalyse für den Produktionsstau spart der VW-Betriebsrat nicht mit Kritik am Management. Eine Art Schicksalsfrage wird die Trinity-Fabrik.

Der Autokonzern Volkswagen findet auch nach mehr als einem Jahr keinen Ausweg aus dem Halbleitermangel und denkt in seiner größten Autofabrik in Wolfsburg über Kapazitätsanpassungen nach. Während das Unternehmen insgesamt weitgehend rund laufe und über volle Auftragsbücher verfüge, sei das Stammwerk besonders hart von der Knappheit an elektronischen Bauteilen betroffen, sagte Konzernchef Herbert Diess am Mittwoch bei einer virtuellen Betriebsversammlung.

Diess sei sich der kritischen Lage in Wolfsburg bewusst. „Deshalb sind Kapazitätsanpassungen erforderlich, auch mittelfristig.“ Nach Angaben des Betriebsrats sind in dem Werk im vergangenen Jahr mit knapp 400.000 Fahrzeugen 330.000 Einheiten weniger von den Bändern gelaufen als ursprünglich geplant.

Für 2022 stehen 570.000 Einheiten im Programm. Vor einigen Jahren waren noch mehr als 800.000 Fahrzeuge angepeilt worden. Seinen bisherigen Produktionsrekord erreichte das Werk zu Käfer-Zeiten 1964 mit knapp 960.000 Fahrzeugen.

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Wegen der dramatisch schwachen Auslastung hatte Volkswagen erst Anfang Februar angekündigt, ab Ostern fast alle Nachtschichten in seinem Stammwerk zu streichen. Diess lies offen, ob darüber hinaus Kürzungen geplant sind.

Volkswagen baut bereits seit längerem Personal durch Frühverrentung ab. Laut Betriebsrat wurde die Regelung für Altersteilzeit nun für 1965 geborene Mitarbeiter geöffnet. Davon könnten rechnerisch mehr als 3000 Beschäftigte profitieren.

Volkswagen überdenkt Umgang mit Lieferanten

Blick auf das Werksgelände von Volkswagen in Wolfsburg
Blick auf das Werksgelände von Volkswagen in Wolfsburg
© Swen Pförtner/dpaa

Diess zeigte sich zuversichtlich, dass sich die Versorgung mit Chips entspannen werde. Auch 2022 könnten aber nicht alle Autos gebaut werden, die VW verkaufen könnte. Die Halbleiter seien die einzig große Herausforderung und auch für Wolfsburg die größte Sorge.

Die Task-Force arbeite rund um die Uhr, damit der Konzern so viele Halbleiter wie möglich bekomme. Parallel hätten die Entwickler zahlreiche technische Alternativen in die Autos gebracht, um fehlende Chips zu ersetzen. Für die zweite Jahreshälfte sehe er Chancen für eine Steigerung der Produktion.

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Als Konsequenz aus dem Halbleitermangel kündigte Einkaufsvorstand Murat Aksel einen anderen Umgang mit Lieferanten an. „Es wird kaum mehr die klassische Hersteller-Lieferanten-Beziehung geben, wo die großen Autobauer die Vertragsbedingungen vorgeben können. Es wird partnerschaftlicher“, sagte Aksel der „Zeit“. Lieferengpässe wie bei Chips dürften dem Konzern nie wieder passieren

Angaben zur Geschäftsentwicklung machte das Management nicht. Der Aufsichtsrat soll Insidern zufolge Anfang März über die Bilanz des vergangenen Jahres beraten. Im Anschluss werden erfahrungsgemäß die Kennzahlen und ein Dividendenvorschlag veröffentlicht.

Wettrennen zur Elektromobilität

Volkswagen fährt nach dem Corona-Lockdown die wichtigsten Werke wieder schrittweise hoch.
Volkswagen fährt nach dem Corona-Lockdown die wichtigsten Werke wieder schrittweise hoch.
© uncredite/dpicture alliance/dpa

Diess betonte, dass der Schwenk zur Elektromobilität Früchte trage. Die Kapazitäten im ersten auf den Bau von E-Autos umgestellten Werk in Zwickau seien voll ausgelastet. Auch in China komme VW voran. Dort habe Volkswagen im November und Dezember jeweils 15.000 E-Autos verkauft, genauso viele wie die chinesischen Startups, die den Wolfsburgern auf ihrem größten Markt das Leben schwer machen.

Die amerikanische Klimapolitik gebe dem Konzern noch mehr Rückenwind. Noch nie sei ein neues Auto in den USA so schnell verkauft worden wie der vollelektrische ID.4. „Wir werden dieses Jahr mindestens doppelt so viele E-Autos verkaufen wie im letzten Jahr“, sagte Diess.

In Emden und Hannover startet die E-Fahrzeugproduktion noch in diesem Jahr. 2021 hatte Volkswagen weltweit rund 453.000 rein batteriegetriebene Fahrzeuge ausgeliefert, fast doppelt so viele wie im Jahr davor.

[Lesen Sie auch: Mobilitätswende: 93 Prozent wollen nicht auf ihr eigenes Auto verzichten (T+)]

Auch die Premiumgruppe mit Audi, Bentley und Lamborghini laufe auf Hochtouren. Die Modelle der Premiummarken seien für das ganze Jahr 2022 ausverkauft. „Porsche eilt von Erfolg zu Erfolg und auch die Trucks bei MAN, Scania und jetzt auch bei Navistar haben gut gefüllte Auftragsbücher“, sagte Diess.

Der Betriebsrat richtet seine Hoffnung auf das „Trinity“-Projekt in Wolfsburg, mit dem VW der „Gigafactory“ des US-Elektroautobauers Tesla im 200 Kilometer entfernten Grünheide die Stirn bieten will. „Wir kämpfen für die Trinity-Produktion direkt hier in Wolfsburg, das heißt, entweder auf dem Werksgelände oder in direkter Nähe zum Stammwerk“, sagte Konzernbetriebsratschefin Daniela Cavallo.

Der Anspruch Wolfsburgs als Leitwerk im Konzern stehe und falle mit einer engen Verzahnung der künftigen Produktentwicklung im „Campus Sandkamp“, den Synergien des bestehenden Werks und einer direkt damit verbundenen Trinity-Fabrik. Mit einer Entscheidung über deren Standort sei bis Ende März zu rechnen. Aktuell sucht Volkswagen nach einem geeigneten Grundstück. (Reuters, dpa)

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