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Der forsche Auftritt hat Herbert Diess fast alle Sympathien auf der Seite der Arbeitnehmervertreter gekostet.
© imago images/Sven Simon

Volkswagen wird umgebaut: Herbert Diess darf bleiben

Der Aufsichtsrat stellt die Führung des größten Autoherstellers neu auf. Die Vorbehalte gegen den Vorstandsvorsitzenden Diess sind nicht ausgeräumt.

Gegen die Arbeitnehmer kann der VW-Konzern nicht geführt werden. So sprach der Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch - und leitete mit der Einschätzung den Sturz des Vorstandsvorsitzenden Bernd Pischetsrieder ein. Das war 2006. Martin Winterkorn ersetzte Pischetsrieder. Winterkorn stürzte 2015 über den Dieselbetrug, Piëch starb 2019.

Viel gravierender noch als damals Pischetsrieder, der heute den Aufsichtsrat von Daimler führt, hat der gegenwärtige Vorstandschef Herbert Diess die Arbeitnehmervertreter verärgert. Trotzdem überlebt er die Turbulenzen der vergangenen Wochen und wird VW auch im kommenden Jahr führen. Das Vertrauen jedoch ist verbraucht.

Selbst auf der Kapitalseite, und das sind neben dem Land Niedersachsen vor allem die Großaktionärsfamilien Piëch und Porsche, hat man genug von den Eskapaden des Vorstandsvorsitzenden. Aus strategischen Gründen darf Diess dennoch die Transformation des größten Autoherstellers ins elektromobile Zeitalter weiter steuern. Vorerst. Dazu wird auf der heutigen Aufsichtsratssitzung ein Umbau beschlossen, der sowohl die Führung als auch die Struktur betrifft.

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Diess verliert Macht

In den Vorstand des Zwölf-Marken- Konzerns, der weltweit mehr als 600 000 Beschäftigte und rund 120 Werke zählt, rücken neue Persönlichkeiten auf, die den operativen Bewegungsspielraum des 63-Jährigen Diess deutlich verringern. Wenn Ralf Brandstätter in den Vorstand einzieht und künftig nicht mehr die Kernmarke VW, sondern das China-Geschäft verantwortet, soll nach „Spiegel“-Informationen Skoda-Chef Thomas Schäfer Brandstätters Zuständigkeit für VW im Konzernvorstand übernehmen.

Manfred Döss, VW-Chefjustiziar und als Rechtsvorstand der Porsche SE eng mit den Eigentümerfamilien vernetzt, soll Hiltrud Werner als Vorstand für Recht und Integrität beerben. Hauke Stars, früher bei der Deutschen Börse, soll im Vorstand IT- und Organisation verantworten. Hildegard Wortmann, derzeit Vertriebschefin der VW-Tochter Audi, darf Berichten zufolge als zweite Frau im VW-Vorstand den Vertrieb des Konzerns verantworten.

Große Baustellen

Die Führungsmannschaft wird sich umgehend mit den großen Baustellen beschäftigen müssen. Denn auf wichtigen Märkten (China, USA) und bei zentralen Technologien (Halbleiter, Batterie, Software, Vernetzung) hat Volkswagen Probleme und/oder Nachholbedarf. Ein stabiles operatives Geschäft ist umso wichtiger, je intensiver VW mit sich selbst beschäftigt ist. Dies dürfte der Fall sein, wenn sich, wie berichtet, die Eigentümerstruktur ändern sollte, weil die Familien Porsche und Piëch ihre Mehrheit abgeben, oder Marken wie Porsche an die Börse gebracht werden.

Holpriger Weg zum Softwarekonzern

Diess hat darauf hingewiesen, dass die Digitalisierung und die Entwicklung einer eigenen Software-Plattform verglichen mit der Elektrifizierung die anspruchsvollere Aufgabe ist. Deshalb kann ihn der schleppende Fortschritt beim Aufbau der Softwaretochter Cariad, die einmal größer als der SAP-Konzern werden soll, nicht zufriedenstellen.

Der Chipmangel wird VW noch lange zu schaffen machen. Mindestens das erste Halbjahr werde wegen der Lieferengpässe der Halbleiterindustrie sehr volatil und anspruchsvoll bleiben, erklärte Einkaufsvorstand Murat Aksel am Mittwoch. Wegen der Lieferengpässe konnte Volkswagen 2021 einige hunderttausend Fahrzeuge nicht produzieren. Diess habe das Problem zu spät erkannt, heißt es in Konzerkreisen. Und das sei schwer zu akzeptieren, da er als früherer Einkaufsvorstand von BMW<TH>mit dem Markt hätte vertraut sein müssen.

Neue Fabrik in Wolfsburg

Der Aufsichtsrat dürfte heute den angekündigten Bau einer weiteren Fabrik in der Nähe des Wolfsburger Stammwerks beschließen. Dort soll eine hocheffiziente und schlanke Fertigung des elektrischen „Trinity“-Modells aufgebaut werden. Damit will VW zu Tesla in Grünheide aufschließen.

Zugleich befriedet die zugesagte Investition im hohen dreistelligen Millionenbereich den Konflikt mit dem Großaktionär Niedersachsen. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der die Planspiele von Herbert Diess zum Abbau von bis zu 35 000 Arbeitsplätzen in Wolfsburg als stillos kritisiert hatte, kann die „Trinity“- Pläne im Landtagswahlkampf 2022 gut gebrauchen.

Auf dem riesigen Gelände in Schwarzheide produziert BASF künftig Kathodenmaterial.
Auf dem riesigen Gelände in Schwarzheide produziert BASF künftig Kathodenmaterial.
© dpa

Batteriepläne werden konkreter

VW hat weitere Partner für die Batteriezellenfertigung gefunden. Das belgische Chemieunternehmen Umicore soll Kathodenmaterial liefern, von der Vulcan Energy Ressoruces kommt Lithiumhydroxid, und mit dem US-amerikanischen Start-up 24M möchte der Konzern die großindustrielle Produktion von Batteriezellen optimieren. Allein in Europa plant VW bis 2030 den Bau von sechs Gigafabriken: Eine ist bereits in Salzgitter in Bau, eine weitere soll in Spanien entstehen.

Emden, wo nach Zwickau das zweite VW-Werk auf E-Fahrzeuge umgestellt wird, kommt als weiterer Standort in Betracht. Umicore wird VW zufolge bis 2025 Kathodenmaterial für 20 Gigawattstunden (GWh) liefern. „Bis zum Ende des Jahrzehnts wird eine jährliche Produktionskapazität von bis zu 160 GWh angestrebt, was dem Bedarf für den Bau von rund 2,2 Millionen Elektroautos entspricht“, teilte VW mit.

Der weltgrößte Chemiekonzern BASF baut gerade für einen dreistellligen Millionenbetrag eine Kathodenfertigung am Standort Schwarzheide mit einer Kapazität für 500 000 Autos. Doch das ist erst der Anfang. „Wir denken auch über nächste Stufen nach", hatte BASF-Chef Martin Brudermüller dem Tagesspiegel im Oktober gesagt. Nun werden die Pläne konkreter.

Man wolle sich „als führender Anbieter von innovativen und nachhaltigen Kathodenmaterialien mit umfassenden Produktionskapazitäten in Asien, Europa und Nordamerika“ positionieren, teilte BASF mit. Dazu würden zwischen 2022 und 2030 „3,5 bis 4,5 Milliarden Euro in Batteriematerialien" investiert. Ein Teil davon dürfte Schwarzheide in der Lausitz zugute kommen.

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