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Vegan liegt gerade im Trend.
© Jose Juan Garcia/ istock

Ernährung: Veganes Essen boomt in Berlin

Vegan ist das neue Bio, der Markt wächst rasant. Vor allem in Berlin, wo die Pflanzennahrung auch zu einem gewissen Lifestyle gehört.

Eigentlich waren die Fastenregeln klar: kein Fleisch, keine Milch, keine Eier. Wie schön, dachte sich die Frau, dass sie trotzdem ein Stück Torte essen kann. Dass sie auf das Gute nicht ganz verzichten muss. Hier, im Freckles. Dem ersten veganen Café im Bergmannkiez.

Von der Geschichte erzählt Anna Binkowski. Es ist eine ihrer Lieblingsanekdoten, seitdem sie mit ihrer Kollegin vor vier Jahren das Freckles eröffnet hat. Mittlerweile gibt es in der Stadt zwischen 40 und 50 rein vegane Cafés. Vor allem in Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln. Auch im Bergmannkiez gibt es inzwischen mehrere Adressen. Vegan ist ein Stadtphänomen, das neue Bio. Der Markt boomt. Und Berlin gilt als Europas „Veggie-Hauptstadt“.

Im Schnitt: 31, weiblich, gut gebildet

Nur pflanzliche Lebensmittel – so ernähren sich in Deutschland rund 900 000 Menschen. Das ist etwas mehr als ein Prozent. Eine Studie der Uni Hamburg fand außerdem heraus: Der typische Veganer ist 31, weiblich und gut gebildet. Fast alle Befragten gaben an, dass es in den letzten Jahren sehr viel leichter geworden sei, sich vegan zu ernähren. Mehr als 300 Cafés und Restaurants bieten ihnen in Berlin mindestens ein Extra-Gericht an. Auf Foodmärkten und Festivals ist vegan normal. Regelmäßig erscheinen neue Kochbücher. Seit 2011 gibt es die erste vegane Supermarktkette. Die erste Filiale eröffnete in Prenzlauer Berg.

Im ersten Jahr machte Gründer Jan Bredack, der zuvor Manager bei Daimler-Benz gewesen war, einen Umsatz von 1,6 Millionen Euro, im vergangenen Jahr waren es 24 Millionen. Reismilch kostet in seiner Filiale in Kreuzberg 2,29 Euro, eine Packung Käse 2,69 Euro, zwei Soja-Schnitzel 1,99 Euro – das ist deutlich teurer als in normalen Märkten. Rund 4500 Produkte stehen in den Regalen der heute zehn Filialen. Neben Berlin gibt es die Kette in Hamburg, München und Wien. In diesem Jahr stehen Skandinavien, Frankreich, Großbritannien und die USA auf dem Plan.

Vegan gibt es mittlerweile fast überall

Worauf sich das Unternehmen noch konzentriert, ist der Großhandel. Seit 2015 beliefert „Veganz“ Ketten wie Edeka, Kaiser’s Tengelmann und Rewe. „Wir wollen doch, dass so viele Menschen wie möglich unser Angebot wahrnehmen“, sagt Sprecherin Michèle Hengst. Dadurch würde das Unternehmen mehr – und neue – Kunden gewinnen. „Unsere eigenen Filialen gleichen eher einem Spezialitätengeschäft“, sagt Hengst. „Da kommen viele Veganer hin.“ Bei Edeka oder Rewe würden auch Allergiker zum laktosefreien Joghurt greifen.

„Haben Sie auch Sojamilch?“ Vor ein paar Jahren waren Alternativen zu Kuh-, Ziegenmilch oder Wurst nur in einzelnen Bioläden zu finden. Heute gehören sie fast überall zum Sortiment. Glaubt man dem Marktforschungsinstitut GfK, ist allein der Umsatz von Fleischalternativen und pflanzlichen Brotaufstrichen in den letzten fünf Jahren um 73 Prozent gestiegen. 2014 lag der Wert bei 213 Millionen Euro. Zahlen von 2015 liegen zur Zeit noch nicht vor.

Selbstoptimierer und hippe Foodies

Vegan liegt gerade im Trend.
Vegan liegt gerade im Trend.
© Jose Juan Garcia/ istock

Mehr Nachfrage. Mehr Konkurrenz. Eine Folge ist, dass vegane Produkte günstiger werden. „Wir wollen allerdings keine Discounterpreise anbieten“, betont Hengst. Eine faire Handelskette, ohne Dumpinglöhne, ist Teil der Unternehmensphilosophie. Ebenso sind die Gründe für einen veganen Lebenswandel der Kunden meist ethisch-moralischer Art. Bilder von Mastställen, Nachrichten von Gammelfleisch, fast die Hälfte der Deutschen isst laut Umfragen weniger und dafür qualitativ hochwertigeres Fleisch. „Andere stellen die Ernährung aus gesundheitlichen Gründen auf vegan um“, sagt Stephanie Stragies, Sprecherin des Vegetarierbundes Deutschland (Vebu). „Und manche tun es, weil es hip ist.“ Sich vegan zu ernähren, gehört zu einem gewissen Lifestyle. Da passt es, dass in einer Veganz-Broschüre ein junger Mann abgebildet ist. Mit Bart, schwarzem Tanktop und tätowiertem Arm.

Hanni Rützler ist Food-Trendforscherin und arbeitet mit dem Zukunftsinstitut zusammen. Lange, sagt sie, galt Fleisch als wertvoll, edel, war teuer. Dann wurde es zur Alltagsspeise, irgendwann zum Skandal. Mit der Zeit ist Fleisch zur Beilage geworden. „Das Bewusstsein für gutes und gesundes Essen wächst“, sagt Rützler.

Essen als Mittel zur Selbstdarstellung

Vor ein paar Jahren war das noch ein Gegensatz. Chips? Lecker, aber die können doch nur ungesund sein. Ein kalorienarmer Pudding? Besser für die Figur, aber wie soll der schmecken? Der Wunsch nach mehr halal, koscheren oder veganen Lebensmitteln unterstreiche die spirituelle Ebene des Essens, zwischen Yoga- und Meditationskursen. Außerdem sei Essen in Überflusszeiten mehr als nur das Stillen von Hunger, sondern eher ein Mittel zur Selbstdarstellung.

Wer sind die Konsumenten? Damit hat sich das Berliner Marktforschungsinstitut „concept m“ beschäftigt. Das Institut hat verschiedene Typen aufgestellt: Da wären zum Beispiel der Traditions-Öko und der Selbstoptimierer, der mit veganem Essen seine Gesundheit verbessern will; der Sinnsuchende und der hippe Foodie, die sich als Individualisten und Trendsetter verstehen.

Warum Berlin die vegane Metropole ist

Warum ausgerechnet Berlin zum Hotspot für sie alle geworden ist, erklärt Rützler damit, dass die Stadt „jung, bunt und sehr aufgeschlossen“ sei. Die Menschen würden gern Neues ausprobieren. Und könnten das auch.

Donnerstagabend, im Kiez-Vegan, einem kleinen Lokal am Mehringdamm: Kaffee und Kuchen kosten hier so viel wie in anderen Cafés. Nur Gözleme ist teurer, weil die türkischen Fladenbrote aus Dinkel und nicht aus Weizen gemacht sind. Der Besitzer erzählt: „Oft kommen Veganer. Oft auch Touristen.“ So wie das Paar aus Trier, am Tisch gegenüber. Der Mann hat eine Lebensmittelallergie, verträgt Milch nicht. In Trier sei das ein Problem. Hier nicht. Im Gegenteil. Er sagt: „Als wir die Treppe von der U-Bahn hoch gegangen, wussten wir gar nicht, wohin zuerst.“

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