Essen auf die Hand: Berliner Streetfood wird erwachsen
Ban-Xeo-Pfannkuchen, Chung-King-Nudeln, Naan-Sandwiches, Pulled-Pork-Burger – die Streetfoodszene wird vielfältiger. Und die genialen Dilettanten von einst werden immer professioneller. Ein Überblick.
Es konnte nicht lange gut gehen. Auf der einen Seite der temperamentvolle, ehrgeizige Koch, der Aromen und Texturen jonglieren will, auf der anderen der despotische Restaurantbesitzer, der keine Abweichung von der französischen Klassik duldet. Als ihn ein Foodblogger verreißt, schmeißt Carl Casper hin und kauft sich einen Foodtruck. Hier ist er der Chef. Eines Tages trifft er den Blogger wieder, der so begeistert von Caspers kubanischen Sandwiches ist, dass sie gemeinsam ein Restaurant eröffnen.
Klingt wie ein Märchen? Ist es auch. Der Film heißt „Kiss the Cook“ und flimmert gerade als sommerliche Feelgoodkomödie über die Kinoleinwände. Trotzdem bringt der Streifen auf den Punkt, welches Versprechen hinter dem Streetfoodtrend steckt: Hier kann man sein Ding durchziehen. Ein Stück Freiheit in einer fremdbestimmten Welt. Vielleicht sogar ein Sprungbrett für eine Karriere.
In Berlin kommt man an Streetfood derzeit nicht vorbei. Von Donnerstag bis Sonntag verschreiben sich Events in der Markthalle Neun oder an der Hoppetosse, auf dem RAW-Gelände oder der Kulturbrauerei dem schnellen, aber frischen Essen. Da wird gegrillt, gebraten, geschmort und gekocht. Ban-Xeo-Pfannkuchen, Chung-King-Nudeln, Pulled-Pork-Burger, Naan-Sandwiches. Die kleinen Gerichte aus aller Welt sind eine Liebeserklärung an die Vielfalt des Essens.
In den USA ist Streetfood längst Teil der Alltagskultur. In Kalifornien verkaufen schon seit Jahren auffällig bemalte Wagen auf öffentlichen Plätzen Essen. In New York, wo die Behörden strenger sind, etablierten sich vor fünf Jahren Märkte auf privatem Grund, wie Smorgasburg in Brooklyn. Die „New York Times“ nannte den Markt das „Woodstock des Essens“.
Den Schwung einer Jugendbewegung hatte Streetfood auch, als es vor zwei Jahren und damit reichlich spät in Deutschland losging. Im April 2013 startete der Streetfood Thursday, schon zur ersten Veranstaltung kamen 7000 Leute in die Markthalle Neun. Bald eröffnete der Bite Club an der Hoppetosse, wo DJs die neueste Musik auflegten. Ein Jahr später folgten die Neue Heimat mit dem Village Market und Streetfood auf Achse auf dem Gelände der Kulturbrauerei. Eines kann Streetfood in Deutschland nämlich nicht: auf der Straße stattfinden. Nur auf Privatgelände darf Essen verkauft werden.
Entsprechend werden Brachen neu besetzt, Nischen zwischengenutzt. Was die Kunst und die Clubszene schon Jahre vorher erfolgreich gemacht hat, scheint auch für die Foodszene zu funktionieren. Das hat was Romantisches. Hier ist Platz für schräge Vögel, geniale Dilettanten. Die meisten jung, die wenigsten aus Deutschland, viele nicht aus der Gastronomie. Und doch prägen sie diese mittlerweile. Die Szene wächst und wird erwachsen. „Jetzt, wo es Sommer wird, steigt die Zahl der Bewerbungen wieder“, sagt Kavita Meelu, Mitinitiatorin des Streetfood Thursday. Die 31-jährige Angloinderin brachte den Trend nach Deutschland. In der Markthalle Neun gastieren jeden Donnerstag 50 Stände, und fast täglich melde sich ein Interessent. „Vor zwei Jahren wollten alle Burger machen. Jetzt kommen originellere Konzepte.“
Beim Bite Club ist das ähnlich. Vegan ist dabei gerade hoch im Kurs, sagt Miranda Zahedieh, die zusammen mit Tommy Tannock, beide ebenfalls aus England, den Bite Club betreibt. Auch häufen sich Konzepte aus immer entlegeneren Ecken der Welt. Ein Stand bietet usbekische Teigtaschen an. Vor allem aber sind die Bewerbungen mittlerweile viel professioneller. „Als wir anfingen, schrieben die Leute vielleicht zwei Zeilen, was sie vorhaben. Wenn überhaupt was kam. Viele mussten wir überreden, bei uns einen Stand zu machen. Mittlerweile bekommen wir PDFs mit ausführlicher Projektbeschreibung, ausgefeiltem Artwork, detaillierten Kalkulationen.“
Auch Lego hat einen Foodtruck im Programm
Streetfood ist ein Geschäft geworden. Einige der Existenzgründer konnten sich etablieren. Seit 2011 habe er seine Umsätze jährlich verdoppelt, erzählt Adrian Kuci. Als er damals loslegte, war Streetfood noch ein Fremdwort in Berlin, sein Golden-Burger-Wagen ein Exot auf Rädern: der erste Foodtruck Berlins. Nach einem langsamen Start brummt sein Geschäft. Fünf Tage die Woche ist er unterwegs, drei davon auf den Wochenmärkten am Fehrbelliner Platz und am Wittenbergplatz. Am Wochenende macht er auf Privatpartys und Hochzeiten Station.
Das mag an den Burgern liegen, bestimmt aber auch an seinem imposanten Truck, ein Chevrolet Step Van, den er selbst ausbaute. Eigentlich eine Verlegenheitslösung: „Einen Laden hätte ich mir nicht leisten können“, sagt Kuci.
„Die Ästhetik ist mittlerweile viel elaborierter“, sagt Miranda Zahedieh. „Die Verkäufer bilden richtige Markenwelten. Sie haben verstanden, dass nicht nur das Essen gut schmecken, sondern auch ihr Geschäft gut aussehen muss.“ So ein Markt, an dem Trucks und Stände Seite an Seite stehen, ist ja vor allem eins: ein Wettbewerb. Und Aufmerksamkeit eine harte Währung. Schließlich sind für viele Anbieter die Märkte auch Visitenkarten. Gutes Geld kann man mit Cateringjobs verdienen. Und die gibt es immer mehr. „Gerade die vielen Start-ups in Berlin buchen gerne Foodtrucks für Sommerfeste oder Events, aber auch internationale Firmen, die ihre Mitarbeiter für ein Wochenende nach Berlin einladen.“ Zahedieh und Tannock vom Bite Club bieten Caterings an und beraten Hotels für gastronomische Konzepte. Meelu war neulich zehn Tage nach Buenos Aires eingeladen.
Längst hat die Industrie Streetfood für sich entdeckt. Lego hat einen Foodtruck im Programm, Fastfoodketten wie Kentucky Fried Chicken, eigentlich der ideologische Gegenspieler, betreiben einen Truck. Es gibt Streetfoodkochbücher und Foodtruckbildbände, auch Restaurants lassen sich inspirieren. In Prenzlauer Berg hat mit dem Chutnify ein Dosa-Restaurant eröffnet. Die Fladen aus Reismehl und fermentierten Linsen sind klassisches südindisches Streetfood.
Noch haben sich die Märkte ihren Indiecharme erhalten. Auch wenn die Preise gestiegen sind und die Qualität des Essens durchaus schwankt, das Interesse des Publikums bleibt stabil. Wenn es Sponsoren gibt, dann werden diese halbwegs dezent platziert. Logos sieht man wenige. Meistens jedenfalls. Denn manchmal ist ein ganzes Event eine PR-Maßnahme wie neulich beim Ice Cream Market in einem neuen Freibad in Friedrichshain, wo ein paar bunte Trucks einfach als Werbekulisse eingespannt wurden. Präsentiert wurde der Markt von drei bekannten Bloggerinnen und einem Modelabel, das ebenfalls mit einem Stand vertreten war. Das wiederum gehört Zalando. Da hat man es nicht mehr mit den genialen Dilettanten zu tun. Sondern mit den Samwar-Brüdern.
Nur ein Produkt - und viele Gäste
Leila und Sidney Kristiansen waren von Anfang an mit ihrem Stand Comptoir de Cidre beim Streetfood Thursday dabei. Die kanadischen Geschwister setzten auf ein lange in Cidre eingelegtes und anschließend sous vide gegartes Rumpsteak. Letztes Jahr eröffneten sie eine Cidrebar in Prenzlauer Berg – und schlossen sie acht Monate später wieder. Streetfood läuft einfach besser, sagt Sidney Kristiansen. „Wir haben nur ein Produkt, das wir gut vorbereiten können. Pro Woche sind wir auf drei, vier großen Märkten und verkaufen da insgesamt 2000 Portionen. In ein Restaurant kommen vielleicht 30 Leute an einem Abend.“ Es sei aber auch eine Bauchentscheidung gewesen: für das Unterwegssein. Comptoir de Cidre ist wie eine Band auf Tour, kreuz und quer durch Europa. Von Kopenhagen nach Zürich und über Graz nach Berlin, wo sie einmal die Woche sind.
Andere gehen gleich einen Schritt weiter. Anh Vu Dang zum Beispiel, der sogenannte Asiaburger verkauft, Bun Bao, an zwei Ständen und in einem Restaurant in der Kollwitzstraße, das er vor ein paar Wochen eröffnet hat. Das ehrgeizige Ziel: Ein Franchisingunternehmen daraus zu entwickeln. Vu Dang war auch schon im Fernsehen mit seinem Konzept.
Adrian Kuci meidet die Streetfoodmärkte eher. „Zu chichi“, sagt er. „Die machen noch einen halben Salatkopf in den Burger rein. Außerdem wollen die 120 bis 150 Euro Standmiete, auf einem normalen Wochenmarkt zahl’ ich nur zwölf Euro.“ Letztes Jahr hat er sich einen zweiten Chevrolet Step Van gekauft und umgebaut, für Caterings. Mittlerweile arbeiten sechs Leute für ihn. Die ersten Jahre waren wie eine Lehre. Nicht nur, was das Burgerbraten angeht, auch das Verkaufen. „Wir sind schnell bei uns im Truck, das ist wichtig. Und noch wichtiger ist es, manchmal langsam zu sein. Die Leute gehen immer zu dem Stand, wo eine lange Schlange ist.“
Streetfood Thursday, donnerstags ab 17 Uhr, Markthalle Neun, Eisenbahnstr. 42/43
Bite Club, jeden zweiten Freitag ab 16 Uhr an der Hoppetosse, Eichenstr. 4
Village Market, jeden Sonntag 12-22 Uhr in der Neuen Heimat, Revaler Str. 99
Streetfood auf Achse, Sonntag 11-17 Uhr an der Kulturbrauerei, Sredzkistr. 1
Felix Denk
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