Abgasskandal bei Volkswagen: USA setzen VW mit Milliardenklage unter Druck
Das US-Justizministerium hat den VW-Konzern wegen Betrugsvorwürfen und Verstößen gegen Umweltgesetze verklagt. Es drohen Strafen in Milliardenhöhe. Die Aktie stürzt ab.
Anleger stoßen nach der Klage der US-Regierung gegen den Volkswagen-Konzern VW-Aktien ab. Der Kurs des Dax-Papiers sackte am Dienstag zeitweise um sechs Prozent ab und war mit Abstand schwächster Wert. Hintergrund der Flucht aus VW-Aktien ist die existenzbedrohend hohe Strafe, die dem Wolfsburger Autokonzern in den USA droht. Am Abend erholte sich die Aktie etwas.
Der mögliche Schaden, der sich aus den Klagen der US-Behörden wegen manipulierter Diesel-Fahrzeuge ergeben könnte, wurde bislang mit rund 18 Milliarden Dollar beziffert. Nun steigt die Summe auf maximal 90 Milliarden Dollar, weil das Justizministerium in gleich vier Punkten schwere Vorwürfe gegen den VW-Konzern erhebt. Es geht um Verstöße gegen das US-Luftreinhaltegesetz. Hinzu kommen Schadenersatzforderungen von Autobesitzern, Verbrauchern und Anlegern sowie strafrechtliche Konsequenzen.
"Man sieht nur die Spitze des Eisbergs"
Zwar dürfte die von der US-Umweltbehörde EPA geforderte Strafe am Ende deutlich niedriger für VW ausfallen. Das Unternehmen steht aber in jedem Fall vor langjährigen juristischen Auseinandersetzungen und großer Unsicherheit. „Die möglichen Schäden explodieren“, sagte der Berliner Rechtsanwalt Dietmar Kälberer dem Tagesspiegel. „Dabei sieht man nur die Spitze des Eisbergs.“ Die Klage des US-Justizministers gegen VW sei für das Unternehmen ein „richtig scharfes Schwert“. VW äußerte sich auch am Dienstag nicht zu den Details der Klage. Man sei noch bei der Prüfung und arbeite eng mit den US-Behörden zusammen, hieß es lediglich.
Das US-Justizministerium wollte sich nicht konkret zum Strafmaß äußern. „Wir haben keine mögliche Maximalstrafe spezifiziert und werden uns nicht an Spekulationen beteiligen, was die Richter letztlich entscheiden werden“, sagte ein Sprecher. In der Klageschrift seien lediglich satzungsmäßige Gesetzesinformationen für das Gericht aufgeführt, um den Ernst der Vorwürfe zu verdeutlichen.
VW-Chef Matthias Müller wird erstmals anlässlich der Automesse in Detroit in der kommenden Woche in die USA reisen. VW hatte eingeräumt, bei fast 600.000 Dieselfahrzeuge der Marken VW, Audi und Porsche in den USA den Grenzwert für den Stickoxid-Ausstoß nur im Prüfstand über eine illegale Software einzuhalten, im normalen Betrieb aber weit darüber zu liegen. Weltweit wurden rund elf Millionen Fahrzeuge manipuliert. Die US-Klage sieht eine Geldbuße von bis zu 37 500 Euro pro Fahrzeug und Verstoß vor. Die US-Regierung wirft VW nun vier Verstöße gegen den „Clean-Air-Act“ vor: Entwicklung und Einbau der Manipulationsvorrichtung, die Manipulation an sich, Import und Verkauf der Autos sowie Versäumnisse beim Offenlegen. So führt die Klage auf, dass VW schon seit Mai 2014 mit der EPA über die verdächtigen Abgaswerte bei Zwei-Liter-Motoren diskutierte, die Manipulation aber erst im September 2015 zugab. Auch das anfängliche Leugnen geschönter Emissionen bei Drei- Liter-Motoren prangert die Justiz an.
Toyota war wegen Verstößen gegen die Luftreinhaltung mit 2,2 Millionen Fahrzeugen zu 34 Millionen Dollar verdonnert worden – gedroht hatten zunächst 58 Milliarden Dollar. „Bei solchen Strafen werden immer astronomische Zahlen genannt, aber am Ende wird es einen Vergleich geben, der weitaus geringer ausfällt“, erklärte Arndt Ellinghorst vom Analysehaus Evercore ISI. „Eine Größenordnung von 90 Milliarden Dollar würde VW in den finanziellen Ruin stürzen“, ergänzte er. Eine realistische Zahl zu schätzen, sei sehr schwierig. Evercore ISI veranschlagt für alle rechtlichen Auseinandersetzungen – also einschließlich der Hunderte von Sammelklagen privater Autobesitzer in den USA – zehn Milliarden Euro. Die US-Investmentbank Goldman Sachs hielt an ihrer Schätzung fest, dass die Geldbuße der EPA eine halbe Milliarde Euro und die Entschädigung der Kunden Volkswagen 2,9 Milliarden Euro kosten könnte.
Rechtsanwalt Kälberer, der für VW-Aktionäre ein Musterverfahren beim Landgericht Braunschweig beantragt hat, mochte den Schaden nicht schätzen. „Es melden auch große Fonds extremes Interesse an einem Musterverfahren an“, sagte er. Viele Investoren wollten zweigleisig fahren und sich auch an Sammelklagen in den USA beteiligen. Dort können sich geschädigte Anleger – anders als in Deutschland – auch nachträglich noch einer Sammelklage anschließen und das Risiko abtreten. Dies gilt auch für VW-Kunden. In Deutschland sind Musterverfahren nur für Anleger erlaubt. Kälberer erwartet, dass etwa Mitte des Jahres ein solches Verfahren gegen den VW-Konzern beginnen kann. Etliche Kanzleien haben entsprechende Anträge gestellt. (mit rtr)