Dieselskandal: Umweltministerin Hendricks erteilt Standpauke in Wolfsburg
Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) besucht Volkswagen und spricht Klartext – mit dem Konzernchef und der Politik.
Nein, Fragen will Matthias Müller keine beantworten. Der Chef des VW-Konzerns steht am Donnerstag mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) auf dem Wolfsburger Werksgelände vor der „Zukunft der Mobilität“. Der selbstfahrende Fahrzeug-Prototyp „Sedric“ erinnert ein wenig an eine überdimensionierte Sardinendose. Aber um die Studie geht es gar nicht.
Gerade hat Müller eine halbe Stunde mit der Ministerin über den Dieselskandal gesprochen und über die Frage, wie Dieselfahrzeuge mit zu hohem Schadstoffausstoß aufgerüstet werden könnten. Während Müller mauert, spricht Hendricks Klartext: „Ich bin enttäuscht vom Verhalten der Autoindustrie“, sagt sie. Sie hoffe, die Branche sei in der Lage, „das verlorene Vertrauen wiederherzustellen“. Und: „Es ist wohl so, dass der Staat es in der Vergangenheit zu häufig an Distanz zur Automobilindustrie hat mangeln lassen.“ Die Unternehmen hätten sich „zu sicher“ gefühlt.
Am Morgen hat Volkswagen seine Quartalszahlen präsentiert. Sie fallen so glänzend aus, als habe der Autobauer den Abgasskandal bereits abgehakt, der ihn bis zu 22,6 Milliarden Euro kosten kann. Der Betriebsgewinn stieg im zweiten Quartal dank weiterer Sanierungserfolge bei der Hauptmarke VW und einem weltweit robusten Absatz um mehr als das Doppelte auf 4,5 Milliarden Euro. Vor Jahresfrist waren es wegen der Kosten für die Dieselkrise lediglich knapp 1,9 Milliarden Euro. Der Umsatz erhöhte sich um 4,7 Prozent auf 59,7 Milliarden Euro.
Abgasskandal und Kartellvorwürfe dominieren die Tagesordnung
Doch es ergeht Volkswagen wie schon am Vortag Daimler. Dieselgate und die jüngsten Kartellvorwürfe dominieren die Tagesordnung. Die guten Zahlen beeindrucken auch die Börse nicht, die Aktie fällt zuletzt um 2,4 Prozent.
Um die Kartellvorwürfe ging es in dem Gespräch von Müller und Hendricks nur indirekt. Auch beim Dieselgipfel kommende Woche soll es nicht um den Vorwurf der Kartellbildung gehen, „aber das belastet die Gespräche natürlich“, sagt Hendricks. Müller betont, VW wolle einen Beitrag zum Erfolg des Gipfels leisten. Zur Wahrheit gehöre, „dass wir auch in Zukunft saubere und effiziente Verbrennungsmotoren brauchen in einer Übergangsphase hin zur Elektromobilität.“
Die jüngste Zuspitzung der Abgaskrise sorgt unterdessen auch in den USA für Zündstoff. Drei Kunden beschuldigten Volkswagen, Daimler und BMW, mit illegalen Absprachen zu Preisen und Abgastechnik gegen US-Wettbewerbsrecht verstoßen zu haben – und haben Klage in New Jersey eingereicht.
In Wolfsburg spricht Matthias Müller von einem „sehr guten, offenen und kritischen Gespräch“ mit der Ministerin. Er verspricht, Volkswagen werde „vier Millionen Fahrzeuge umrüsten, um die Emissionen zu senken“. Müllers Mitarbeiter rätseln im Anschluss, was genau der Chef gemeint hat. Klar wird, dass Müller die 2,5 Millionen Autos, die wegen der Diesel-Manipulationen ohnehin umgerüstet werden, eingerechnet hat. 1,5 Millionen kommen nun also dazu. „Wir wissen um unsere Verantwortung für Umwelt und für unsere Arbeitsplätze“, sagt Müller.
Im Anschluss mühen sich drei VW-Manager, die Ministerin und die Hauptstadtpresse davon zu überzeugen, dass VW auf dem Weg in die Zukunft mindestens bei Sedric angelangt und der Weg des Konzerns in die Elektromobilität nicht mehr aufzuhalten sei. Müller hatte das zuvor unter dem Schlagwort zusammengefasst, VW befinde sich „in einem großen Wandel weg vom Auto hin zur Mobilität“.
Abgasmessungen einer unabhängigen Behörde
Hendricks kündigt an, dass der Staat seiner Kontrollfunktion in Zukunft durch Abgasmessungen einer unabhängigen Behörde nachkommen wolle. Anstatt darauf zu hoffen, dass das Kraftfahrbundesamt (KBA) seine Aufgaben auch wahrnimmt, soll ein eigenes Amt gegründet werden, das beim Umweltministerium „oder auch beim Verbraucherministerium“ angesiedelt sein könnte, sagt sie. Hendricks Kabinettskollege Alexander Dobrindt, dessen Verkehrsministerium für das KBA zuständig ist, warnt unterdessen in Berlin vor einer unseriösen Debatte über ein Ende von Diesel und Benzinern. Er halte es „nicht für sehr zielführend, heute davon zu sprechen, dass man den Verbrennungsmotor beerdigen könnte“, sagt der CSU-Politiker. „Diejenigen, die einfache Wahrheiten immer genau zu kennen vorgeben“, halte er „nicht für sehr glaubwürdig“.
Mit mehr Regulierung, aber von der EU, rechnet offenbar auch VW. Thomas Steg, der im Konzern für die politischen Kontakte zuständig ist, sagt auf die Frage nach einer möglichen Einführung von Mindestquoten für Elektrofahrzeuge, er rechne damit im Zusammenhang mit der Festsetzung künftiger CO2-Grenzwerte. „VW ist bereit, daran konstruktiv mitzuarbeiten“, fügt der frühere Regierungssprecher hinzu. Aber zunächst warte man ab, was der zuständige EU-Klimakommissar Miguel Arias Canete dazu vorlege. In Brüssel, so meldet die „Süddeutsche Zeitung“ am Donnerstag, soll man bereits seit 2014 von einem Kartell der fünf deutschen Autobauer wissen. Damals habe Daimler seine Selbstanzeige aufgegeben – vor Volkswagen.