Niedrigzinspolitik der EZB: Umverteilung à la Draghi
Die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer? Mitnichten, meint das IW Köln: Das Kölner Wirtschaftsinstitut hat die Folgen der Niedrigzinspolitik der EZB untersucht. Und die Ergebnisse überraschen.
Die niedrigen Zinsen sorgen dafür, dass der Abstand zwischen Arm und Reich geringer wird. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) am Montag in Berlin vorgestellt hat. Damit setzt das Institut ein Gegengewicht zur Kritik, dass die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer mache. Kritiker der Geldpolitik der EZB argumentieren, dass die Ungleichheit steige, je weiter die Zinsen auf Spareinlagen sinken und gleichzeitig die Renditen auf Vermögenswerte steigen.
Das IW Köln zeichnet indes ein anderes Bild. Der Grund dafür ist, dass nicht nur die Zinsen für Geldanlagen historisch niedrig sind, sondern auch die Schuldenzinsen. „Kosumentenkredite und Baudarlehen zusammengenommen mussten Schuldner im Jahr 2014 im Schnitt nur 3,9 Prozent Zinsen zahlen – 2008 waren es noch 5,3 Prozent“, schreibt das IW Köln. Also schmelzen nicht nur Sparvermögen zusammen, auch die Zinslast von Krediten oder Hypotheken sinkt. „Die vermögensärmsten Haushalte sparen durch die niedrigen Zinsschulden mehr ein, als sie zugleich durch den Rückgang des Zinsertrages ihrer Ersparnisse verlieren“, sagte Michael Hüther, Direktor des IW Köln, bei der Vorstellung der Studie.
Die Deutschen sind skeptisch, wenn es um Aktien geht
Wer Schulden hat, profitiert also von den niedrigen Zinsen. Anhand einer Rechnung zeigt das IW Köln, wie sehr: Sein Beispielhaushalt gehört zu den zehn Prozent der ärmsten Haushalte mit einem Bruttovermögen von knapp 12 000 Euro, gut 2000 Euro davon sind Bargeld, das auf einem Sparkonto liegt. Gleichzeitig hat der Haushalt fast 18 000 Euro Schulden. Im Jahr 2008 hätte dieser Haushalt durchschnittlich 57 Euro Zinsen ausgezahlt bekommen und gleichzeitig 942 Euro Zinsen für die Schulden gezahlt. Beim Zinsniveau 2014 wäre der Zinsertrag zwar auf magere acht Euro geschrumpft, gleichzeitig wären aber auch nur noch 693 Euro Schuldzinsen fällig geworden – unterm Strich eine Verbesserung von 200 Euro.
Dass die Vermögen der Reichen schrumpfen, liegt daran, dass die Deutschen nach wie vor Wertpapieren gegenüber sehr skeptisch eingestellt sind. Tendenziell steigt mit dem Vermögen der Anteil an Aktien und Immobilien. Doch die Zahlen des IW zeigen: Auch Reiche sind in Deutschland Aktienmuffel. „Selbst die Reichsten halten nur 2,6 Prozent ihres Vermögens in Unternehmensanteilen“, sagte Michael Hüther vom IW Köln. „Die Aktie fristet in Deutschland eher ein Nischendasein“, bestätigt Thomas Schlüter vom Bankenverband. Die beliebteste Anlageform sei in Deutschland noch immer das Tagesgeld. Fast 40 Prozent ihres Geldvermögens lagern die Deutschen nach Verbandsangaben auf solch niedrig verzinsten oder gar unverzinsten Konten.
Somit profitieren von der gegenwärtigen Situation eher die jüngeren Haushalte. Sie besitzen durchschnittlich weniger Vermögen, gleichzeitig ist es bei ihnen wahrscheinlicher, dass sie gerade eine Immobilie gekauft und diese mit einer Hypothek finanziert haben – ein günstiger Zeitpunkt also für Familien, sich ein eigenes Haus zu kaufen.
Die niedrigen Zinsen lassen die Vorsorgelücken wachsen
Doch das ist nur die halbe Wahrheit, meint Andreas Bley, Chefvolkswirt des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). Wer sehr arm ist und sich auch keinen Kredit oder eine Immobilie leisten kann, der verliert – besonders im Bereich der Altersvorsorge. „Je länger die Zinsen so niedrig sind, desto größer werden die Vorsorgelücken“, befürchtet er.
Dass diese Lücken schon heute „keine Petitesse“ ist, wie Hüther es in Berlin nannte, zeigt das IW Köln wiederum an einer Beispielrechnung. Ein Durchschnittshaushalt muss schon heute seine Sparquote um knapp 300 Euro im Jahr erhöhen, um auf dasselbe Niveau wie noch vor wenigen Jahren zu kommen. Hochgerechnet auf eine 35-jährige Vorsorgephase und umgelegt auf alle deutschen Haushalte, wären das knapp 350 Milliarden Euro, die zusätzlich in die Altersvorsorge fließen müssten. Wie hart die Niedrigzinsphase die deutschen Sparer tatsächlich trifft, werden sie also erst in einigen Jahrzehnten spüren. Wenn sie in Rente gehen.