Anleihen für 109 Milliarden Euro gekauft: Mario Draghi und die EZB liegen im Plan
Er kauft und kauft. Mario Draghi hat das Mandat der Europäischen Zentralbank stark ausgeweitet und kauft seit zwei Monaten Staatsanleihen auf. Nun ziehen Zinsen und Inflation wieder an. Doch die Ursachen sind vielschichtig.
DIE SITUATION: Ende April ging es los: Die Kurse der Bundesanleihen kannten nur eine Richtung – nach unten. In den vergangenen Handelstagen kam es mehrfach zu massiven Einbrüchen. Im Gegenzug verabschiedeten sich die Renditen schnell von ihrem Rekordtief. Während der Zinssatz im freien Handel für zehnjährige Bundesanleihen Mitte April noch an der Nulllinie lag, stieg er zeitweise auf fast 0,8 Prozent und lag zuletzt bei 0,65 Prozent. Das Phänomen zeigt sich weltweit.
DIE URSACHE: Experten tun sich schwer mit einer Begründung. Als sicher gilt, dass sich im Handel mit Festverzinslichen in den vergangenen Monaten eine „Blase“ gebildet hat – zuletzt mit deutlichen Anzeichen einer Überhitzung. Da reichen schon kleine Impulse, um eine heftige Gegenreaktion auszulösen. Weltweit spielt die Entwicklung der Verbraucherpreise eine wichtige Rolle. In den vergangenen Monaten gab es die Sorge, dass die Preise auf breiter Front und über einen längeren Zeitraum sinken könnten. Das ist nun vorbei. Vor allem die Ölpreise haben sich von ihrer Talfahrt erholt. Damit ist die Deflationsgefahr für viele Anleger vom Tisch, und sie sehen jetzt offenbar eine passende Gelegenheit für Gewinnmitnahmen am Anleihemarkt. Die Kurse der Bundesanleihen fallen, im Gegenzug steigen die Renditen.
DER HAUSHALT: Muss Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) jetzt wieder mehr Kosten für die Staatsverschuldung einplanen? So schnell geht das nicht. Es wäre auf jeden Fall ein weiter Weg, bis ein Anstieg der Renditen nennenswerte Auswirkungen für die weitere Entwicklung des Bundeshaushaltes hätte.
Die schweren Geschütze der Europäischen Zentralbank
Anfang März noch war die Skepsis groß, dass die Europäische Zentralbank (EZB) überhaupt genügend Verkäufer finden würde. Gut zwei Monate später sind diese Zweifel widerlegt: Bis zum Ende der ersten Mai-Woche haben die Währungshüter Staatsanleihen der Euro-Länder im Volumen von knapp 109 Milliarden Euro gekauft und damit so viel wie geplant.
Mit ihrem zunächst bis September 2016 angelegten Programm, das ein Volumen von insgesamt 1,14 Billionen Euro haben soll, will die EZB die Inflation ankurbeln, die Kreditvergabe antreiben und damit die Konjunktur in der Euro-Zone wieder in Fahrt bringen, vor allem in den Krisenländern. Das Zwischenfazit von Ökonomen fällt aber zurückhaltend aus: Verlässlich seien Wirkungen erst nach mehreren Monaten zu beurteilen. Der leichte Anstieg der Inflationsrate im April habe mehr mit dem Ölpreis als mit der EZB zu tun. Und bei der Kreditvergabe an Unternehmen hapere es weiter. Auch den jüngsten Anstieg der Renditen wollen sie (noch) nicht mit dem EZB-Programm in Verbindung bringen.
Das Risiko der gefürchteten Deflation schwindet
EZB-Chef Mario Draghi hatte das Programm – abgekürzt QE oder Quantitave Easing (quantitative Lockerung) – Mitte April schon ausdrücklich gelobt und sich quasi selbst auf die Schulter geklopft. Auch andere Mitglieder des EZB-Rates sagen, das Programm sei gut angelaufen. Insgesamt bestehe aufgrund der positiven Effekte von QE kein Grund, über die wirtschaftliche Erholung in diesem und im nächsten Jahr besorgt zu sein, betont Ratsmitglied Benoit Coeuré. Sein Direktoriumskollege Yves Mersch sagt, das Programm sei effektiver als erwartet. Dass Risiko einer Deflation im Euroraum sei verschwunden. Auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, erklärter Gegner des Anleiheprogramms, räumt in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ im Ansatz ein, dass die zwischenzeitlich gesunkenen längerfristigen Zinsen „sicherlich auch an der Ausgestaltung des Programms gelegen“ haben. Mittlerweile lägen die Renditen bei zehnjährigen Papieren aber sogar wieder über dem Niveau von Mitte Januar, als der EZB-Rat das Programm beschlossen habe, schränkt der Bundesbank-Präsident wiederum ein.
Die EZB pumpt Geld in den Bankensektor und die Wirtschaft
Auch im April hat die EZB ihr Ziel, jeden Monat Staatsanleihen, Pfandbriefe und Kreditverbriefungen im Gesamtvolumen von 60 Milliarden Euro zu kaufen und so Geld in den Bankensektor und in die Wirtschaft zu pumpen, erreicht. Exakt waren es 60,3 Milliarden Euro, davon entfielen 47,7 Milliarden auf Staatsanleihen der Euro-Länder. In der ersten Mai-Woche sind weitere 13 Milliarden Euro dazu gekommen. Gekauft haben die Währungshüter wie vorgesehen entsprechend der Kapitalanteile der nationalen Notenbanken an der EZB. Ende April entfielen deshalb 22,2 Milliarden auf Bundesanleihen, knapp 17,4 Milliarden auf französische und rund 15,2 Milliarden auf italienische Staatsanleihen. Entsprechend ihrem Ziel, vor allem die langfristigen Zinsen nach oben zu schieben, liegt die durchschnittliche Laufzeit der Anleihen bei 8,25 Jahren. Zudem hält die EZB jetzt rund 78 Milliarden Euro in Form von Pfandbriefen und 5,8 Milliarden an Kreditverbriefungen. Diese Kaufprogramme laufen schon seit Herbst 2014.
Die Inflation kommt zurück – sehr zur Freude der Währungshüter
„Mit Blick auf die für die EZB wichtigen Inflationserwartungen geht es in der Tendenz in die richtige Richtung“, sagt Holger Bahr, Ökonom und EZB-Beobachter der Deka-Bank. Es laufe so wie sie es gerne hätte. Bei der Konjunkturentwicklung und der Inflationsrate sei es aber noch zu früh, um spürbare Effekte zu sehen. Skeptischer ist Michael Schubert von der Commerzbank. „Bei der Beurteilung der Auswirkungen muss man sehr vorsichtig sein. Da spielen zu viele Faktoren hinein“, meint Schubert. Inflationserwartungen und die Inflation selbst würden eher durch den wieder leicht gestiegenen Ölpreis getrieben. Nach vier Monaten mit rückläufigen Raten lag die Inflationsrate in der Euro-Zone im April bei Null, in Deutschland war sie im Vergleich zu März leicht von 0,3 auf 0,4 Prozent gestiegen.
Die leicht höheren Renditen bei Staatsanleihen führt Schubert eher auf die Entwicklung bei US-Staatsanleihen zurück. Bei der Kreditvergabe sieht er noch gar keinen Effekt. „Die Kreditnachfrage in den Krisenländern ist nach wie vor schwach.“ Dies ergibt sich nach Ansicht von Schubert auch aus der jüngsten Umfrage der EZB zur Kreditvergabe und zur Nutzung der Mittel. „Danach nutzen zwei Drittel der Banken das zusätzliche Geld gar nicht und lassen es einfach liegen." Nur ein kleiner Teil werde offensichtlich für die Vergabe neuer Kredite verwendet. Bleibt das so, hätte die EZB zumindest ein Ziel verfehlt. Schubert betont allerdings auch, dass man frühestens nach etwa sechs Monaten seriöser beurteilen könne, ob QE wirkt.
Die EZB vor Gericht: Mandat überschritten?
Unterdessen gerät das Anleihe-Programm auch von anderer Seite in die Kritik. Familienunternehmer Patrick Adenauer, Enkel des früheren Bundeskanzlers, will mit zwei anderen Unternehmern gegen das Programm vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Die Politik der EZB sei falsch und gefährlich und habe den Zins zum Nachteil von Sparern und der Altersvorsorge praktisch abgeschafft. Und sie betreibe damit die ihr verbotene Finanzierung von Staaten. Noch offen ist ohnehin die Klage gegen das Anleiheprogramm vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das Bundesverfassungsgericht hatte sie an die Richter in Luxemburg weitergereicht.
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