Bildungsreform zerstört Milliardenmarkt: Über Nacht verbietet China der E-Learning-Branche das Geld-Verdienen
E-Learning ist in China ein Milliardenmarkt. Eine Bildungsreform entzieht den Firmen die Geschäftsgrundlage. Für Investoren weltweit wird das Land zum Risiko.
Welch hohen Stellenwert Bildung in China hat, zeigt ein Blick auf den E-Learning-Markt der Volksrepublik. Nach Zahlen der Analyseinstitute iiMediaResearch und iResearch wächst der Markt seit Jahren kräftig. 2020 überschritt der Umsatz in diesem Bereich demnach zum ersten Mal 60 Milliarden US-Dollar.
Inzwischen wird der Markt mit rund 100 Milliarden Dollar bewertet. Die Coronakrise befeuerte den Trend, doch schon zuvor hatte die wachsende Mittelschicht immer mehr für die Nachhilfe ihrer Kinder ausgegeben. Das Versprechen, dass Bildung der Schlüssel zum sozialen und ökonomischen Aufstieg sei, ließ sich zuletzt auch in sehr viel Geld ummünzen.
Doch damit ist plötzlich Schluss. Die chinesische Regierung hat am Wochenende eine Reform des privaten Bildungssektors angekündigt, die E-Learning-Plattformen die Geschäftsgrundlage entzieht. Unternehmen, die Schullehrprogramme unterrichten, dürfen demnach keine Gewinne mehr erzielen oder an die Börse gehen.
Den Instituten wurde untersagt, Schüler am Wochenende zu unterrichten. Akademische Angebote für Kinder unter sechs Jahren müssen komplett eingestellt werden. Insgesamt ist aus einem Milliardengeschäft über Nacht ein Non-Profit-Segment geworden.
Chinesische Aktien brechen ein
Das Vorgehen hinterlässt Spuren an den Börsen. Der Hang-Seng-Index in Hongkong fiel am Montag um über vier Prozent. Für den CSI-300-Index, der die Aktien der 300 größten börsennotierten Unternehmen vom chinesischen Festland beinhaltet, ging es fast ebenso deutlich abwärts. Die Aktien der betroffenen Unternehmen brachen noch drastischer ein. So büßte die TAL Education Group in den vergangenen fünf Tagen drei Viertel ihres Wertes ein. Die New Oriental Education & Tech Group stürzte um 65 Prozent ab. Konkurrent Youdao halbierte seinen Börsenwert im Vergleich zum Ende der Vorwoche. Für den chinesische Internet-Giganten Tencent, der stark im Bildungssektor investiert, ging es auch abwärts.
Chinesische Staatsmedien kommentierten, dass dies ein Schritt sei, um für mehr Gerechtigkeit im Bildungssektor zu sorgen. Denn bisher würden Schüler benachteiligt, deren Familien sich die teueren Zusatzangebote nicht leisten können. Der Bildungsmarkt sei durch privates Geld gekapert worden, hieß es weiter.
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Auch solle unterbunden werden, dass Eltern viel Geld für die außerschulischen Angebote ausgeben müssen. Viele Familien haben vor allem den Schulabschluss namens Gaokao im Blick. Die darin erzielte Punktezahl entscheidet darüber, ob das Kind sich an den Top-Hochschulen des Landes bewerben kann.
Investoren schrecken vor der Volksrepublik zurück
Der Eingriff in den Markt könnte aber noch längerfristige Folgen haben, die über den E-Learning-Sektor hinausgehen. Denn für viele Investoren kam der Schritt überraschend und stellt die Sicherheit von Investitionen in den chinesischen Markt infrage. „Derlei Willkür-Risiko kann man nicht rational bepreisen“ schrieb Investor Christian W. Röhl auf Twitter. Auch in den USA gelistete Aktien aus China hätten sich aus seiner Sicht als Anlageziel erledigt. Zudem weist er darauf hin, dass etwa im beliebten ETF MSCI Emerging Markets ebenfalls ein potentielles Klumpenrisiko bestünde, da rund 35 Prozent des Fonds aus chinesischen Firmen besteht.
Die Bildungsreform ist nur ein weiterer Schritt, mit dem Chinas Staatsführung die Finanzmärkte weltweit schockiert. So wurde der als weltgrößter Börsengang angekündigte IPO von Ant Financial, dem Finanzarm von Alibaba, buchstäblich in letzter Sekunde verboten. Auch das Wachstum von Alibaba selbst reglementierte die Staatsführung; der Gründer Jack Ma war dabei über Tage verschollen und ist seitdem weitestgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden.
Zuletzt knöpften sich die Behörden den Fahrdienstleister Didi vor. Nachdem er in New York vor rund einem Monat an die Börse gegangen war, droht ihm nun im Heimatland eine Rekordstrafe, die die 2,3 Milliarden Euro noch übersteigen dürfte, die Alibaba zahlen musste. Die Behörden erwägen laut einem Bericht von Bloomberg auch den Stopp bestimmter Geschäfte oder die Pflichtbeteiligung eines staatlichen Investors. Wegen vermeintlichen Verstößen gegen den Datenschutz wurde die Didi-App gesperrt und die Geschäftsräume durchsucht.