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Angesichts des dramatischen Verfalls der türkischen Lira hat die Zentralbank in Ankara verkündet, ihre Zinspolitik zu vereinfachen.
© Reuters/Murad Sezer/File Photo

Verfall der türkischen Lira: Türkische Zentralbank vereinfacht Zinspolitik

Nach der Zentralbank-Entscheidung, die Zinssätze zu vereinheitlichen, steigt die Lira wieder an. Zuvor hatte Präsident Erdogan seine Landsleute aufgerufen, die heimische Währung zu stützen.

Angesichts des dramatischen Verfalls der türkischen Lira hat die Zentralbank in Ankara verkündet, ihre Zinspolitik zu vereinfachen. Wie die Notenbank am Montag mitteilte, wird vom 1. Juni an der Einwochenzins der Schlüsselzinssatz sein - statt wie bisher der Spätausleihungssatz. Die Lira reagierte positiv auf die Entscheidung und stieg bis zum frühen Nachmittag um fast drei Prozent auf 4,56 Lira zum Dollar und 5,32 Lira zum Euro.

Am Wochenende hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Landsleute zum Umtausch ihrer Dollar- und Euro-Ersparnisse in die heimische Währung aufgerufen. „Meine Brüder, die Dollar oder Euro unter ihren Kopfkissen haben, geht und legt euer Geld in Lira an. Wir werden zusammen diesen Komplott vereiteln“, sagte Erdogan am Samstag auf einer Wahlkundgebung in der osttürkischen Stadt Erzurum.

Der Verfall der Lira könnte Erdogan bei den Parlaments - und Präsidentenwahlen am 24. Juni zahlreiche Stimmen kosten. Der Präsident ist bei seinen Anhängern unter anderem deshalb so beliebt, weil er ihnen wirtschaftlichen Wohlstand brachte. Nun fürchten viele eine Wirtschaftskrise. Erdogan selbst sieht hinter dem Verfall der Lira und der hohen Inflation von mehr als zehn Prozent keine ökonomische Gründe, sondern eine Verschwörung heimischer und ausländischer Finanzkräfte, die die türkische Wirtschaft destabilisieren wollten und seine Abwahl befürworteten. Auch am Samstag drohte er, der Finanzsektor würde einen „hohen Preis“ bezahlen, wenn dieser Teil der „Manipulation“ der Märkte würde.

Erdogan ist vehement gegen Zinserhöhungen

Experten führen den Verfall der Lira vor allem auf das hohe türkische Leistungsbilanzdefizit sowie die niedrigen Realzinsen - die Zinsen abzüglich der Inflation - zurück. Seit Jahresbeginn hat die Lira gegenüber dem Dollar und dem Euro mehr als 20 Prozent an Wert verloren. Besonders dramatisch stürzte die Lira am vergangenen Mittwoch ab. Die Zentralbank beschloss daraufhin in einer Krisensitzung, den Leitzins anzuheben, um die Lira zu stützen. Die Währung gab aber am Tag darauf schon wieder nach. Am Sonntag war ein Euro rund 5,5 Lira wert.

Nach Ansicht von Ökonomen kann nur eine Anhebung der Leitzinsen die Inflation und den Wertverfall der Lira stoppen. Erdogan spricht sich jedoch vehement gegen Zinserhöhungen aus. Unter anderem weil diese das Wirtschaftswachstum von 7,4 Prozent im vergangenen Jahr abwürgen könnten. Nach der Intervention der Zentralbank versicherte er aber, dass sich die Regierung auch in Zukunft "an die globalen Prinzipien der Geldpolitik" halten werde. Vizeregierungschef Mehmet Simsek sprach der Zentralbank seine "volle Unterstützung" aus. Verstärkt wurde der Werteverlust der Lira durch Äußerungen Erdogans, wonach er bei einer Wiederwahl die Kontrolle über die Notenbank - die eigentlich unabhängig sein sollte - verstärken wolle.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher sagte dem „Handelsblatt“ die Ankündigung Erdogans, die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank aufzuheben und selbst deren Entscheidungen treffen zu wollen, sei „einer der zentralen Gründe für die Währungskrise der Türkei“. Fratzscher fürchtet, dass immer mehr Türken das Land verlassen oder zumindest ihren Wohlstand außer Landes bringen werden.

Fratzscher: Investoren haben Vertrauen ins Erdogans Wirtschaftspolitik verloren

Vor allem viele türkische Unternehmer und Investoren hätten Vertrauen in Erdogans Wirtschaftspolitik verloren. „Die türkische Währung wird ihren Fall fortsetzen, wenn die türkische Regierung ihre Manipulation der Wirtschaft fortsetzt, aber auch wenn sie die Demokratie und Menschenrechte weiterhin beschneidet“, sagte Fratzscher.

Ifo-Präsident Clemens Fuest verwies darauf, 2017 habe die türkische Regierung mit extrem expansiver Konjunkturpolitik das Wirtschaftswachstum in der Türkei angeheizt, vor allem durch staatliche Kreditgarantien. „Nun bekommen die internationalen ebenso wie die heimischen Investoren kalte Füße und verkaufen Lira“, sagte er dem Blatt: „Der Aufruf Erdogans an die eigenen Landsleute, Lira zu kaufen, ist eine Verzweiflungstat und eher kontraproduktiv.“ Er zeige nur, dass der Präsident offenbar einen weiteren Verfall der Währung befürchte.

Die türkische Zentralbank verwendet seit Jahren ein unübersichtliches System aus einer Vielzahl an Zinssätzen. Mit ihrer Entscheidung von Montag schließt sie eine zuvor eingeleitete Vereinfachung des Systems ab. Laut ihrer Mitteilung wird fortan der Spätausleihungssatz gleich dem Einwochenzins sein. Zwei weitere Leitzinssätze sollen demnach 150 Basispunkte über oder unter dem neuen Schlüsselzinssatz liegen. (AFP, dpa)

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