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Flagge zeigen. Wie hier in Afrin ist die Türkei in vielen Orten in Nordsyrien präsent.
© AFP

Wirtschaft im Bürgerkriegsland: Türkei baut Einfluss in Nordsyrien aus

Von der Post bis zum Bau sind im Norden Syriens bereits diverse Branchen in türkischer Hand. Die Menschen leiden unter dem Verfall der Lira.

Von Muhamad Abdi

Wer wissen will, wie groß inzwischen der Einfluss der Türkei in Nordsyrien ist, muss nur die Wechselstuben vor Ort besuchen. Dort bilden sich Anfang eines jeden Monats lange Schlangen. Denn viele Menschen, die in den Gebieten im Norden Syriens arbeiten, bekommen ihren Lohn mittlerweile in türkischer Lira ausbezahlt, die sie dann in Syrische Lira umtauschen müssen.

Anfangs war das kein Problem. Doch zuletzt ist die türkische Währung abgestürzt, was die Krise in Nordsyrien weiter verschärft. Dabei liegt die Wirtschaft seit Ausbruch des Bürgerkriegs vor mehr als sieben Jahren ohnehin nahezu am Boden. Die Entwertung der türkischen Währung verschärft die Lage noch einmal. Wer in Nordsyrien zum Beispiel für eine Hilfsorganisation oder ein  türkisches Bauunternehmen arbeitet und deshalb in türkischer Währung bezahlt wird, kann sich davon immer weniger leisten. Im Vergleich zum Dollar hat die Lira in diesem Jahr bereits 40 Prozent verloren.

"Das Gehalt ist nicht mehr attraktiv"

„Alles ist teuer geworden“, sagt etwa ein Mitarbeiter einer medizinische Hilfsorganisation in Dscharabulus, einer Stadt an der türkischen Grenze im Gouvernement Aleppo. „Früher betrug mein Gehalt umgerechnet 600 Dollar, heute sind es weniger als 400 Dollar.“ Die Situation werde immer schwieriger, eine Lösung sei nicht in Sicht, berichtet der Mitarbeiter. „Das Gehalt ist für mich nicht mehr attraktiv.“

Auch der 25-jährige Ayman spürt die Veränderung. Er arbeitet in der Stadt Azaz, ebenfalls nicht weit von der türkischen Grenze entfernt,  im Baubereich. „Die türkische Lira hatte ihre Stärke in Syrien, aber in den vergangenen Monaten begann sie allmählich zu sinken“, erzählt er. Auch Ayman bekommt sein Gehalt in türkischer Lira ausgezahlt und spürt den Verlust. „Früher hatten 1000 türkische Lira den Wert von umgerechnet 120 000 syrische Lira, heute sind es nur 70.000.“

Viele Gebiete gleichen türkischen Kolonien

Die türkische Regierung und von Ankara unterstützte Milizen kontrollieren inzwischen mehrere Gebiete in Nordsyrien wie Al Bab, Dscharabulus, Azaz sowie die kurdische Stadt Afrin und ihre Umgebung. Die türkischen Fahnen hängen dort an Schulen, Krankenhäusern, Polizeiämtern. Damit wächst Ankaras Einfluss in den Gebieten, die von der türkischen Armee und ihren syrischen Oppositionskräften in Nordsyrien kontrolliert werden. Viele dieser Gebiete gleichen inzwischen türkischen Kolonien. Das Nachbarland ist dort längst nicht mehr nur militärisch unterwegs – auch auf Sicherheit, Bildung und die Wirtschaft nimmt Ankara in Nordsyrien Einfluss.

Ob das gut oder schlecht ist, darüber sind viele Syrer unterschiedlicher Meinung. Einerseits begrüßen einige den wachsenden Einfluss der Türkei, weil sie so weniger Angst vor Angriffen des syrischen Regimes haben müssen. Auf der anderen Seite halten manche es aber auch für gefährlich, dass diese Gebiete so abhängig von der Türkei geworden sind – sowohl politisch wie wirtschaftlich. „Es ist eine Tatsache, dass die Türkei in unserem Ort eine Art von Sicherheit gewährleistet. Zudem sind die Löhne höher, als wenn man sein Gehalt in syrischen Lira bekommt. Aber alles ist auch teurer geworden“, sagt der Mitarbeiter der medizinischen Hilfsorganisation.

Türkische Gouverneure lassen Gas- und Wasserleitungen legen

Der Einfluss der Türkei zieht sich durch alle Bereiche. So haben türkische Sicherheitskräfte zum Beispiel tausende Polizisten in Nordsyrien ausgebildet. Auch sie erhalten ihr Gehalt in türkischer Lira. Unter der Aufsicht türkischer Gouverneure sind viele Gebiete mit Strom-, Wasser- und Erdgasnetzen verbunden worden. Auf den Märkten in Dscharabulus und Al Bab sowie Afrin und einem Teil von Idlib werden türkische Produkte verkauft. Auch sind hier viele türkische Unternehmen aktiv – vor allem auf dem Bau. Sie errichten zum Beispiel neue Wohnkomplexe und Geschäfte. Viele dieser Baufirmen haben sich zudem auf Ausschreibungen für den Bau eines Autobahnnetzes beworben, das die Türkei mit den von ihr kontrollierten Gebieten in Nordsyrien verbinden soll.

Die türkische Post (PTT) hat ebenfalls bereits Filialen in diesen Gebieten eröffnet. Neben dem Briefgeschäft wickelt sie Bankdienstleistungen ab. Menschen können bei ihr ihre Strom- und Wasserrechnungen in türkischer Lira bezahlen und Geld innerhalb Syriens sowie in die Türkei überweisen. Auch türkische Mobilfunkunternehmen haben mittlerweile Niederlassungen in Nordsyrien.

Aufgrund dieses starken Engagements gehen viele Beobachter mittlerweile davon aus, dass die Türkei den Norden Syriens so schnell nicht wieder verlassen will. Erst vor wenigen Wochen hat der türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan betont, diese Gebiete blieben unter Ankaras Kontrolle, bis die Syrer selbst wählen dürften.

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