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Scheine der türkischen Währung Lira.
© Can Merey/dpa

Erdogan beschwichtigt: Rasanter Kursverfall der türkischen Lira

Die türkische Lira befindet sich im freien Fall. Präsident Erdogan versucht die Türken unterdessen auf seine eigene Art zu beschwichtigen.

Die türkische Landeswährung Lira ist trotz Beschwichtigungen von Präsident Recep Tayyip Erdogan im freien Fall. Der Kurs brach am Freitag um mehr als zehn Prozent ab. Ein Dollar kostete rund 6,40 Lira. Seit Jahresbeginn hat die türkische Währung damit mehr als ein Drittel an Wert eingebüßt. Die wachsende Einflussnahme von Erdogan auf die Zentralbank beunruhigt internationale Investoren schon seit Monaten. Hinzu kommt der Streit zwischen Washington und Ankara über den in der Türkei festgehaltenen US-Pastor Andrew Brunson. Auch Sorgen zur Stabilität der Banken am Bosporus spielen eine Rolle.

Als Ursache für die Zuspitzung an den türkischen Finanzmärkten gilt auch die Unsicherheit der Anleger vor der Veröffentlichung eines neuen Wirtschaftsmodells, das Finanzminister Berat Albayrak am Freitag vorstellen will.

Analysten der Landesbank-Baden-Württemberg (LBBW) sprachen von einer Vertrauenskrise, die einen „Abwärtsstrudel“ bei der türkischen Lira ausgelöst habe. Anfangs waren noch mangelnde Rechtssicherheit, eine starke Inflation und die Sorgen um die Unabhängigkeit der Zentralbank das Hauptproblem für die türkische Währung. Mittlerweile wird nach Einschätzung der LBBW an den Märkte aber auch die Möglichkeit einer Staatspleite der Türkei durchgespielt. Zuletzt sind Prämien der Kreditausfallversicherungen auf türkische Staatspapiere auf Höchststände geklettert.

Einige Punkte des neuen Wirtschaftsprogramms waren am Markt schon durchgesickert. Demnach will die türkische Führung ihre Wachstumsprognose etwas zurücknehmen und die Inflation in den einstelligen Bereich drücken. Im Juli hatte die Inflationsrate 16,30 Prozent betragen.

Zeitgleich zu den starken Verlusten der Lira ging es auch mit den Kursen der in US-Dollar ausgegebenen türkischen Staatsanleihen deutlich nach unten. Am Aktienmarkt beruhigte sich dagegen die Lage.

Die EZB-Bankenaufseher schauen sich einem Medienbericht zufolge wegen des drastischen Verfalls die Verbindungen europäischer Geldhäuser zur Türkei an. Insgesamt würden die Aufseher die Situation zwar noch nicht als kritisch einstufen, berichtete die "Financial Times" unter Berufung auf zwei mit dem Vorgang vertraute Personen. Die Großbanken BBVA aus Spanien, die italienische Unicredit und die französische BNP Paribas seien aber besonders exponiert. Diese hätten bedeutende Geschäfte in dem Land.

Erdogan: "Wenn sie ihre Dollars haben, haben wir unser Volk, unseren Gott"

Die EZB lehnte eine Stellungnahme zu dem Bericht ab. Auch der Euro geriet unter Druck: Er gab um 0,6 Prozent auf 1,1461 Dollar nach.

Erdogan bemühte sich derweil, die Furcht vor einem weiteren Verfall der Lira zu zerstreuen. "Macht Euch keine Sorgen", rief er am späten Donnerstagabend in Rize am Schwarzen Meer Anhängern zu. Derzeit liefen gegen die Türkei mehrere Kampagnen, sagte er mit Blick auf den Streit mit den USA. "Beachtet sie nicht." Er ergänzte: "Vergesst nicht, wenn sie ihre Dollars haben, dann haben wir unser Volk, unseren Gott".

Experten sehen nun die Notenbank am Drücker. "Die angespannte Situation könnte durch ein beherztes Vorgehen der türkischen Notenbank abgemildert werden", sagte der Chefvolkswirt der Liechtensteiner VP Bank, Thomas Gitzel. "Nötig wäre eine kräftige Zinserhöhung, die zu erkennen gäbe, dass die Währungshüter am Bosporus gewillt sind, dem Verfall der heimischen Währung nicht tatenlos zuzusehen." Erdogan hat sich selbst als "Gegner der Zinsen" tituliert und angekündigt, eine größere Kontrolle über die Geldpolitik auszuüben. Er will, dass die Banken billige Kredite vergeben und so das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Investoren befürchten aber, dass die Banken durch den anhaltenden Währungsverfall in Bedrängnis kommen. (Reuters, dpa)

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