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Die Welt noch in Ordnung: Aktionäre bei der Hauptversammlung der Volkswagen AG in Hannover im Sommer 2015. Am Mittwoch (22. Juni 2016) muss der Vorstand seinen Aktionären den Diesel-Skandal erklären.
© dpa

"Stichting Volkswagen Investors Claim": Tausende VW-Aktionäre suchen einen Vergleich

Vor der Hauptversammlung bei VW gibt eine Stiftung bekannt, dass die die Interessen von fast 7000 Aktionären gebündelt hat. Derweil hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn aufgenommen

Es geht nicht nur um viel Geld, es geht um die Zukunft des Unternehmens, um die Vermeidung einer Jahrzehnte dauernden Prozesslawine und den guten Ruf der Firma und des Industriestandortes Deutschland überhaupt. Das alles riskieren VW-Vorstand und Aufsichtsrat seit Monaten, sagt Henning Wegener, Vorstandschef der Stiftung „Stichting Volkswagen Investors Claim“. Sie fordert VW seit Oktober vergangenen Jahres auf, wegen des Dieselskandals über einen Vergleich für den bei Kleinanlegern und Großinvestoren wie Versicherungen. Pensionskassen oder Investmentfonds in Deutschland und Europa eingetretenen Schaden zu verhandeln.

Immerhin stehen hinter der Stiftung, die auf niederländischem Recht basiert, mittlerweile rund 6500 Kleinanleger und 150 Großinvestoren aus 26 Ländern, die rund 13 Milliarden Euro in VW-Aktien und -Anleihen investiert haben. „VW aber sperrt sich. Es gebe keinen Anlass für Vergleichsgespräche, man habe ja kein Kapitalmarktrecht verletzt, heißt es in Wolfsburg“, sagt Wegener.

Mittlerweile haben sich auch sehr viele Kunden des Herstellers zusammengeschlossen. Allein der Rechtsdienstleister My-right.de aus Hamburg gibt an, die Rechte von 100.000 Käufern im Diesel-Skandal zu vertreten.

Spannung vor der Hauptversammlung in Hannover

Am Mittwoch auf der Hauptversammlung wird die im Oktober vergangenen Jahres gegründete Stiftung einen neuen Anlauf starten, Vorstand und Aufsichtsrat mit Fragen überschütten und zudem eine Sonderprüfung beantragen. Er sei empört über das Verhalten des VW-Managements, sagte Wegener am Montag in Frankfurt am Main.

Er selbst, sagt der ehemalige Botschafter, habe keine VW-Aktien, er sei deshalb nicht geschädigt und er erhalte für seine Aufgabe bei der Stiftung auch kein Geld. Er habe die Aufgabe übernommen, weil nicht nur der gute Ruf von VW, sondern des ganzen Landes auf dem Spiel steht. Auch das Land Niedersachsen steht nach Ansicht des Ex-Botschafters als Großaktionär in der Verantwortung, moralisch-ethisch, nicht nur finanziell. Am Mittwoch dürfte VW-Chef Matthias Müller auch die Konzernstrategie erneut vorstellen, die er bereits vergangenen Woche skizziert hatte. Geplant sei ein radikaler Umbau des Konzerns.

Hans Dieter Pötsch, Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG und Vorstandschef Matthias Müller (im Dezember 2015).
Hans Dieter Pötsch, Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG und Vorstandschef Matthias Müller (im Dezember 2015).
© Julian Stratenschulte/dpa

„Der Schaden ist schon immens, durch die nur auf Verzögerung und mangelnde Transparenz ausgerichtete Konzernpolitik wird es noch schlimmer.“ Nur über die Stiftung und über einen außergerichtlichen Vergleich nach niederländischem Recht, der europaweit wie ein Urteil rechtsverbindlich wäre, könne wieder Ruhe und Rechtssicherheit einkehren. „Stattdessen erweist sich das VW-Management als unsensibel und primär auf persönlich pekuniäre Vorteile ausgerichtet“, sagt der 80-jährige Jurist, früher Botschafter in Spanien und bei der UN und seit zehn Jahren im europäischen Investorenschutz aktiv ist. Dass VW elf Millionen Fahrzeuge manipuliert und sich gravierender Verstöße gegen das Kapitalmarktrecht zuschulden habe kommen lasse, stehe außer Frage. „Deshalb müssen auch Anleger angemessen entschädigt werden“.

Bezogen auf jede Stammaktie beziffert die Stiftung den Schaden auf 56 Euro, bei den Vorzugsaktien auf 65 Euro. Eine mögliche Vergleichssumme will Erik Breiteneder, Anwalt der Stiftung nicht nennen. Er spricht aber von etwa einem Viertel bis einem Drittel der Investitionssumme. Innerhalb von 12 bis 15 Monaten sei ein Vergleich durchaus möglich. Im Falle von Royal Dutch Shell habe dies vor einigen Jahren geklappt.

Aus alten Zeiten: Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn, gegen den die Staatsanwaltschaft Braunschweig jetzt ermittelt und Konzern-Patriarch Ferdinand Piech, der sich mittlerweilse aus dem Aufsichtsrat zurückgezogen hat. (Archivbild von 2008).
Aus alten Zeiten: Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn, gegen den die Staatsanwaltschaft Braunschweig jetzt ermittelt und Konzern-Patriarch Ferdinand Piech, der sich mittlerweilse aus dem Aufsichtsrat zurückgezogen hat. (Archivbild von 2008).
© Kay Nietfeld/dpa

Für Anleger kostet die Stiftung nichts, sie können sich kostenfrei registrieren. Erheben Kleinanleger Klage und vertrauen sich einem Anwalt an, droht Breiteneder zufolge nicht nur ein jahrelanges Verfahren. Sollten sie Erfolg haben gingen 25 bis 40 Prozent der erstrittenen Summe an den Prozessvertreter. Generell könne es nicht sein, dass von den 16 Milliarden Euro, die VW wegen des Skandals zurück gestellt hat, der größte Teil an Geschädigte in den USA fließe, aber nur der kleinere Teil dem VW-Hauptmarkt in Europa zukomme.

Für VW-Aktionäre, die in Deutschland gekauft haben, besteht nach Angaben von Benner-Heinacher ohnehin demnächst Handlungsbedarf. Sie sollten sich durchaus der Stiftung anschließen, aber auch prüfen, ob sich eine Klage lohne. Denn schon am 18. September könnten Ansprüche gegen VW in Deutschland verjähren. Deutschland stehe im Blick auf die Verjährung am schlechtesten da, in den Niederlanden liege die Frist bei fünf, in Spanien sogar bei 15 Jahren.

Schlecht sieht es auch im Blick auf ein Kapitalmuster-Verfahren (KapMuG) aus, bei dem ein einzelner stellvertretend für alle Kläger klagen kann, so wie im Fall Telekom. Der DSW zufolge wird darüber von den zuständigen Gerichten kaum vor dem 18. September entschieden.

Staatsanwalt ermittelt gegen Winterkorn

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig teilte ebenfalls am Montag mit, dass sie im Abgas-Skandal gegen den zurückgetretenen VW-Konzernchef Martin Winterkorn wegen des Verdachts auf Marktmanipulation ermittelt. Die Finanzaufsicht Bafin hatte zuvor Strafanzeige gestellt, wie die Ermittler am Montag in Braunschweig mitteilten. Aus der Staatsanwaltschaft hieß es, neben Winterkorn richte sich der Anfangsverdacht auch gegen einen zweiten Beschuldigten, ohne nähere Details zu nennen. Es gehe dabei aber nicht um den amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch. Dieser war bis zu seinem Wechsel an die Spitze des VW-Kontrollgremiums Finanzvorstand bei Europas größtem Autobauer.

Bei den Ermittlungen gehe es um den Vorwurf, dass Volkswagen die Finanzwelt womöglich zu spät über die Affäre informiert habe. Dieser Anfangsverdacht richte sich auch gegen ein weiteres damaliges Vorstandsmitglied. Ob es sich dabei um ein amtierendes oder ehemaliges Vorstandsmitglied handele, wollte Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe nicht sagen. Er verwies auf die Persönlichkeitsrechte. Winterkorn als eine Person der Zeitgeschichte rechtfertige allerdings die Nennung des Namens.
Ziehe sagte, es habe im Zusammenhang mit den neuen Vorwürfen bisher keine Durchsuchungen gegeben. Er könne noch nicht absehen, wie lange das Ermittlungsverfahren dauere. „Wir müssen die Beteiligten jetzt natürlich anhören und weitere Zeugen vernehmen“, sagte er. mit dpa

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