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Keine Angst vor Krawall: Lokführer-Chef Claus Weselsky.
© dpa

Konflikt unter Gewerkschaften: Tarifpolitische Turbulenzen bei der Bahn

Der Konzern will unbedingt mit der Lokführergewerkschaft GdL einen Tarifvertrag abschließen. Im März könnte gestreikt werden.

Missgunst und Missverständnisse, Konkurrenz und Polemik prägen den Umgang innerhalb der Belegschaft der Bahn seit vielen Jahren. 2007 hatte sich die Lokführergewerkschaft GdL von der viel größeren Transnet abgesetzt und erstmals für ihre spezifische Klientel Tarifverhandlungen geführt. Die Forderung nach 30 Prozent mehr Geld ging ebenso in die deutsche Tarifgeschichte ein wie die folgenden Arbeitskämpfe. Nicht zuletzt die scharfe Auseinandersetzung zwischen Transnet, die inzwischen Eisenbahnverkehrsgewerkschaft EVG heißt, und der GdL veranlasste dann die Politik, das Prinzip „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ gesetzlich festzuschreiben.

Vorteil für die größere Gewerkschaft

Die seit gut fünf Jahren neu gefasste Tarifeinheit sieht vor, dass der Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft in einem Unternehmen den der kleineren Gewerkschaft verdrängt, sofern die gleichen Beschäftigtengruppen adressiert werden. Wenn in der Folge die GdL keine Tarifverträge mehr abschließen könnte, wäre sie faktisch tot. Bei der Bahn verständigten sich die konkurrierenden Gewerkschaften und der Konzern deshalb auf eine Art Friedensvertrag, um sich nicht in die Quere zu kommen. Dieser Vertrag ist Ende 2020 ausgelaufen. Jetzt werden die Karten neu gemischt. „Die DB muss jetzt das Tarifeinheitsgesetz anwenden“, droht der Staatskonzern der GdL, die nach eigenen Angaben derzeit rund 35 000 Mitglieder hat. Die EVG kommt auf etwa 185 000.

Sanierungstarif mit der EVG

GdL-Chef Claus Weselsky nutzt jede Gelegenheit, um die Feinde von der EVG zu attackieren. Als sich die EVG im vergangenen September mit dem Bahn-Management auf einen Krisen-Tarifvertrag in der Pandemie verständigte, sprach Weselsky von der „Einkommens-Verringerungs-Gewerkschaft“. Die EVG hatte 1,5 Prozent mehr Geld für die Beschäftigten gefordert und diese auch bekommen – aber erst ab dem 1.1.2022. Dieser Tarifvertrag läuft bis Anfang 2023, sodass die Bahnbeschäftigten über die gesamte Laufzeit real weniger Einkommen haben werden. Im Gegenzug gibt es sichere Arbeitsplätze in der größten Krise der Bahn mit Milliardenverlusten, die auch vom Steuerzahler zu tragen sind.

GdL will 4,8 Prozent

Die GdL wiederum hatte im vergangenen Herbst 4,8 Prozent für ihre Leute durchzusetzen versucht, doch eine Schlichtung unter dem früheren Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck scheiterte im November. Jetzt beginnt das Spiel von vorn. Und Weselsky, der keinen Konflikt scheut, hat schon Streikbereitschaft signalisiert. Die Friedenspflicht endet im Februar, sodass ab 1. März die Lokführer streiken dürften.

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Das will die Bahn natürlich verhindern. Personalvorstand Martin Seiler rief die GdL am Mittwoch zu Verhandlungen auf und schlug dafür gleich mehrere Termine im Februar und März vor. Ob sich die GdL darauf einlässt, ist offen. Bislang habe man ja noch nicht einmal eine Forderung präsentiert, heißt es bei den Lokführern. Die Strategie von Seiler ist klar: Er will den Abschluss mit der EVG als Orientierung nehmen für die Verhandlungen mit der GdL. Alles andere wäre auch schwierig. Wenn die Lokführer mehr Geld bekämen als die Schaffner und Techniker, die nach EVG-Tarif bezahlt werden, vertiefte das die Spaltung der Belegschaft. Dabei geht es auch in dieser Auseinandersetzung nur vordergründig um Geld. „Wir sind in unserer Existenz bedroht“, sagt Weselsky und will bei der EVG, die seiner Ansicht nach dem Bahn-Vorstand ergeben ist, Mitglieder abwerben.

Die Bahn wiederum hatte kurz vor Weihnachten beide Gewerkschaften eingeladen, um „in Gespräche über eine geordnete Koexistenz einzusteigen“. Bislang ohne klare Reaktion. Doch wegen des neuen Tarifeinheitsgesetzes und der Privilegierung der größeren Gewerkschaft wird sich Weselsky wohl darauf einlassen müssen.

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