Tanker-Anladestellen für den Import von Gas: Streit um den Bau von Flüssiggas-Terminals in Deutschland
Umweltschützer wollen Importe von Fracking-Gas aus den USA blockieren. Die Regierung bleibt bei ihren Plänen. Zu den Hintergründen der Debatte.
Wenn Reinhard Knof in Brunsbüttel auf dem Deich steht, fügen sich für ihn viele Probleme zu einem großen. Vom zehn Meter hohen Seedeich im Süden Schleswig-Holsteins kann der Aktivist auf das Kernkraftwerk Brunsbüttel blicken, wie er berichtet. Vor acht Jahren wurde es abgeschaltet. Ein Atommüll-Zwischenlager steht direkt daneben, und einen knappen Kilometer entfernt steht das Werk des Chemiekonzerns Covestro.
Eine Sondermüll-Verbrennungsanlage und ein weiteres Lager für radioaktive Stoffe liegen in unmittelbarer Nähe. „Wenn hier ein Flüssiggas-Tanker in die Luft fliegt, ist von Brunsbüttel nichts mehr übrig. Das wäre eine ökologische Katastrophe“, sagt Knof, der Vorsitzende der „Bürgerinitiative gegen CO2-Endlager“.
Geht es nach dem deutsch-niederländischen Konsortium German LNG, fahren Tanker mit Flüssigerdgas dort bald ständig vor. Die Unternehmen Gasunie LNG, Oiltanking und Vopak LNG planen ein Terminal, um das „liquefied natural gas“ anlanden zu können.
Manche in der Industrie wünschen sich LNG für eine bessere Versorgungssicherheit, und der Standort liegt logistisch günstig. Die Elbe und der nahe Nord-Ostsee-Kanal sind hoch frequentierte Wasserstraßen, der Hamburger Hafen, der größte Deutschlands, ist nicht weit.
Für Knof aber ist gerade die Lage Teil des Problems. „Immer wieder gibt es Zwischenfälle mit LNG-Tankern. Dazu ist die Fahrrinne bei Brunsbüttel gerade einmal 400 Meter breit und Tanker müssen vor dem Anlanden die Fahrrinne queren“, sagt der Vorsitzende der Bürgerinitiative.
Deutschland soll „Standort für LNG-Infrastruktur“ werden
Die Bundesregierung will deutsche LNG-Terminals. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es, man wolle „Deutschland zum Standort für LNG-Infrastruktur machen“. In der deutschen Industrie hält man das für ein Signal Richtung Washington, damit dort das Sperrfeuer gegen Nord Stream 2 eingestellt werden möge. Eine Fehleinschätzung: Gerade erst beschlossen die USA Sanktionen wegen der in Bau befindlichen Pipeline Nord Stream 2.
Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven bewerben sich um ein LNG-Terminal, das – so jedenfalls die Einschätzung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie – betriebs- und energiewirtschaftlich keinen Sinn macht.
Der Bau an der deutschen Küste soll durch Gesetzeserleichterungen und Zuschüsse gefördert werden. Für das 450-Millionen-Euro-Projekt in Brunsbüttel etwa wären Subventionen von jeweils 50 Millionen Euro aus Berlin und Kiel vorgesehen. Die Landesregierung in Schleswig-Holstein mit ihrem grünen Umweltminister Jan Philipp Albrecht befürwortet das Projekt – anders als die Grünen im Bund und im Landkreis.
German LNG führt auf Anfrage von Tagesspiegel Background wirtschaftliche Vorteile für den Standort Brunsbüttel oder den Hamburger Hafen als Argumente an, ebenso den Nutzen von LNG als Kraftstoff im Schiffsverkehr oder für die Diversifizierung des deutschen Erdgasmarkts.
Die Bundesregierung will die Erdgasinfrastruktur weiterentwickeln, „um die diversifizierten Bezugsquellen und -routen für Pipelinegas und LNG erschließen zu können“. So steht es im Bericht „Dialogprozess Gas 2030“ des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem vergangenen Oktober. Können Umweltaktivisten das Vorhaben stören oder vielleicht sogar verhindern?
Umweltverbände und Grüne sind gegen LNG-Ausbau
Knof ist nicht allein. Umweltverbände und die Grünen im Bund lehnen die LNG-Pläne ab. Vor längerer Zeit schlossen sich Knofs Initiative und 24 weitere Gruppen und Umweltverbände zum „Klimabündnis gegen LNG“ zusammen. Darunter sind der Bund für Umwelt und Naturschutz und die Deutsche Umwelthilfe (DUH).
Bereits im Frühjahr veröffentlichte das Bündnis einen offenen Brief, in dem es die volle Ablehnung des Projekts zum Ausdruck brachte. Das LNG-Terminal konterkariere die Energiewende, war dort zu lesen. Das fossile Gas sei teuer, „weder klimafreundlich noch grün“ und trage „maßgeblich zur Klimaerwärmung“ bei.
Das Bündnis sprach angesichts einer zu erwartenden geringen Auslastung der teuren Terminals von einer „Investitionsruine“. „Wir wollen keine neuen fossilen Infrastrukturen, keinen neuen Log-in in fossile Energien“, sagte Constantin Zerger, Bereichsleiter Energie und Umweltschutz in der DUH, dem Tagesspiegel Background.
Boris Steuer sitzt im Vorstand der „Arge Umweltschutz Haseldorfer Marsch“. Die Mitglieder wohnen genau dort, wo eine rund 60 Kilometer lange Trasse verlaufen wird, die das Terminal mit dem Gasnetz verbinden soll. Für die rund 50 Mitglieder des Umweltvereins aus Hetlingen ist das ein Problem.
Debatte um Import von Fracking-Gas
„Die Gasleitung würde mitten durch das Marschland laufen und Wasserwege durchschneiden, die auch für die Landwirtschaft wichtig sind“, sagt Steuer. Die Bodenstruktur könne sich langfristig verändern, zulasten der Anwohner und der Landwirte. „Terminal und Gasleitung sind in der Bevölkerung extrem unerwünscht“, sagt Steuer. „Man kann hierzulande nicht Fracking ablehnen und das entsprechende Gas dann aus den USA importieren.“
Das Konsortium in Brunsbüttel kann der Widerstand von Umweltverbänden und lokalen Gruppen nicht kaltlassen. Der Protest könnte Einfluss auf die Planungen und Genehmigungsverfahren der Konsortien haben. Die DUH brachte ein Rechtsgutachten auf den Weg, das dem Terminal im Mai die Genehmigungsfähigkeit absprach.
Gerade die Nähe zu den atomaren Anlagen und zum Chemiepark seien ein Problem. Die rechtlichen Voraussetzungen zur Ansiedlung eines Störfallbetriebs, wie ihn das Terminal darstelle, seien nicht gegeben.
Im Rahmen des Beteiligungsverfahrens könnte die DUH sogar etwas bewirkt haben. Die Genehmigungsbehörde in Schleswig-Holstein erlegte den Planern inzwischen auf, in rund 80 Punkten nachzubessern. „Das verlangsamt sicher den Genehmigungsprozess“, sagte DUH-Bereichsleiter Zerger.
Der Antrag auf Planfeststellung, ursprünglich vorgesehen für das erste Halbjahr 2019, steht noch immer aus, ebenso wie die Investitionsentscheidung überhaupt. German LNG schreibt dazu, derzeit würden die finalen Genehmigungsunterlagen erarbeitet.
Das Terminal sei „eine Chance für Brunsbüttel“
Auch der Bürgermeister von Brunsbüttel wünscht sich das Terminal. „Wir sehen eine strategische Entscheidung der Bundesregierung prolG – und eine Chance für Brunsbüttel“, sagt Martin Schmedtje. Man wolle Arbeitsplätze schaffen und Steuereinnahmen erzielen. Die Ablehnung durch die diversen Initiativen sei ihm bekannt, doch stehe der Großteil der Bevölkerung von Brunsbüttel hinter dem Terminal.
„Wir verabschieden uns aus der Atomkraft, steigen aus der Stein- und der Braunkohle aus. Deutschland kann nicht überall aussteigen, wir brauchen das Gas als Energiequelle, zumindest bis 2050“, glaubt der Bürgermeister. „Andernfalls müsste man den Menschen auch erklären, dass unser Wohlstand so nicht zu halten ist.“
Dass die Haltung lokaler Gruppen und die von Umweltverbänden Einfluss haben könnte auf die LNG-Vorhaben, wurde längst deutlich. Die Planungen für die Anlandestellen in Stade oder bei Wilhelmshaven sind weniger fortgeschritten als in Brunsbüttel. Doch hat die DUH für das vom Konzern Uniper geplante Projekt in Wilhelmshaven bereits ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben.
Das willkommene Ergebnis: Das Terminal ist nicht genehmigungsfähig. Anders als in Brunsbüttel kommen hier wasser- und immissionsschutzrechtliche Gründe zum Tragen. „Die Terminals stünden an Standorten, die aus Umwelt- und Sicherheitsgründen nicht tragbar sind“, sagte Zerger. „Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, müssen wir aus dieser Energie ohnehin aussteigen.“