Reduzierung der Ungleichheit: Steuern für die Reichen, Geld für die Armen
Kaum ein Thema ruft in Deutschland so viele Emotionen hervor wie soziale Ungleichheit. Wirtschaftsforscher des IMK machen Vorschläge zur Besserung.
Bei der Frage, wie gerecht Deutschland ist, scheint es, als habe das Land zwei Gesichter: Der Wohlstand wächst, die Ungleichheit aber auch. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt, die der Armutsbedrohten steigt. Gustav Horn, Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, sagte zu der polarisierenden Debatte am Montag: „Viele Menschen empfinden die wirtschaftlichen Verhältnisse als ungerecht, wie Umfragen zeigen. Damit liegen sie auch richtig.“
Sechs Tage vor der Bundestagswahl hat er an die Politik appelliert, stärker gegen die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland vorzugehen. „Nach knapp drei Jahrzehnten, in denen die sozialen Unterschiede gewachsen sind oder selbst bei guter Wirtschaftslage stagnierten, sollten wir jetzt die Weichen neu stellen“, sagte er. Gerechte Politik sei mehr, als nur Rahmenbedingungen zu setzen, wie das viele in Union und FDP wohl denken würden.
Armut bekämpfen, Mittelschicht stärken
Seine Empfehlungen stützt das IMK auf die neuesten Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zur Entwicklung der im Schnitt verfügbaren Einkommen zwischen 1991 und 2014. Demnach stiegen die realen Einkommen Wohlhabender um 17 Prozent, während mittlere Einkommen um zehn und niedrigere Einkommen um lediglich drei Prozent zulegten. Die Diskrepanz zwischen den Einkommensklassen habe sich also deutlich vergrößert. Gleichzeitig sei die Mittelschicht geschrumpft: Der Anteil der Haushalte mit 70 bis 150 Prozent des mittleren Einkommens habe von 1991 bis 2014 von 63 Prozent auf 56 Prozent abgenommen.
Konkret schlagen Horn und vier weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Modell aus drei Säulen vor: Maßnahmen zur Armutsbekämpfung, Förderung der Mittelschicht und eine stärkere Beteiligung Wohlhabender. Für die untere Einkommensgruppe sei eine Eindämmung der prekären Beschäftigung, eine Mindestrente und eine raschere Steigung des Mindestlohns notwendig. Im internationalen Vergleich verharre dieser nach wie vor auf einem „bescheidenen Niveau“. Langzeitarbeitslose bräuchten mehr Unterstützung. Der Hartz-IV-Regelsatz solle „angemessen“ hoch sein und an die Entwicklung des Mindestlohns angepasst werden.
Für die Mittelschicht fordern die Wirtschaftsforscher mehr Kindergeld und allgemeinverbindliche Tarifverträge, von denen insbesondere der mittlere und untere Bereich der Lohnverteilung profitieren würde. Priorität sollten außerdem Investitionen in die frühkindliche Bildung und an Schulen haben. Für Horn steht fest: „Bildung hat eine enorme Integrationsfunktion. Deshalb halte ich nichts davon, über ein Gutscheinsystem, wie es die FDP vorschlägt, das Bildungssystem stärker zu einem Wettbewerbssystem zu machen.“
Privilegierung von Unternehmenserben abschaffen
Vor allem Linke und SPD bemängeln, dass Lohnzuwächse häufig hinter Kapitalrenditen und Firmengewinnen zurückbleiben. Eine Idee, um Arbeitnehmer stärker an Gewinnen der Finanzmärkte zu beteiligen, sei aus Sicht der IMK-Wissenschaftler ein bedingungsloses Kapitaleinkommen. Damit sei ein Staatsfonds gemeint, der Wertpapiere kauft und die Rendite jährlich an alle Bürger ausschüttet. Bislang seien Kapitaleinkünfte zu sehr bei der Oberschicht konzentriert. Ein bedingungsloses Grundeinkommen lehnt Horn hingegen ab, weil Rentenansprüche und andere Sozialleistungen dadurch wegfielen – was wiederum besonders der Mittelschicht schaden würde.
Überdies sollten sich Top-Verdiener mehr an der „Finanzierung des Gemeinwesens“ beteiligen. Die Wissenschaftler des IMK schlagen vor, Unternehmensgewinne durch das Schließen von Schlupflöchern effektiver zu besteuern, private Steuerflucht konsequent zu verfolgen und den Spitzensteuersatz anzuheben. Außerdem wird verlangt, „die überzogene Privilegierung von Unternehmenserben abzuschaffen und die Vermögensteuer zu reaktivieren“. Die Grundsteuer solle sich zudem künftig an der Stärke der Nutzungsstärke von Grundstücken ausrichten – Hausbesitzer zahlten so anteilig mehr als Mieter, die in Gebäuden mit vielen Wohnungen leben.
Nicht jede Ungleichheit sei automatisch ungerecht, stellte Horn nach der Präsentation der Vorschläge klar. Das Ausmaß sei entscheidend – und zu viel Ungleichheit sei eben nicht nur unfair, sondern belaste auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.