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Janina Kugel (47)
© Sebastian Muth/Handelsblatt

Siemens-Personalchefin im Tagesspiegel-Interview: Stellenabbau trotz Gewinn - "Für mich ist das kein Widerspruch"

Janina Kugel verteidigt den geplanten Abbau von 3400 Stellen in Deutschland. Die Arbeitsdirektorin von Siemens setzt auf die Kompromissbereitschaft der IG Metall und will betriebsbedingte Kündigungen vermeiden.

Frau Kugel, etwa ein Viertel des Stellenabbaus in Deutschland, den Sie angekündigt haben, entfällt auf Berlin. Warum wird der Standort so hart getroffen?

Wir haben die Standorte nicht wahllos ausgesucht, sondern unsere Planung basiert auf einem globalen Konzept. Wir müssen vielmehr auf strukturelle Veränderungen des Marktes reagieren, auf dem es deutliche Überkapazitäten und einen massiven Preisverfall gibt. Weltweit wurden zuletzt zum Beispiel gut 100 große Gasturbinen verkauft, es könnten aber 400 gebaut werden. In Deutschland haben wir in den vergangenen drei Jahren ganze zwei Gasturbinen verkauft. Berlin wird unser Kompetenzzentrum für große Gasturbinen bleiben, hier haben wir investiert und werden das auch weiter tun. Trotzdem müssen wir die Kapazitäten im Werk anpassen und 300 Arbeitsplätze abbauen, weil die Nachfrage nicht ausreicht.

Im Dynamowerk schließen Sie die gesamte Produktion mit fast 600 Beschäftigten. Warum dieser Kahlschlag?
Das Dynamowerk ist schon länger nur zu 35 Prozent ausgelastet. Das ist zu wenig, um kostendeckend operieren zu können. Deshalb schauen wir uns an, wo wir ähnliche Fertigungskapazitäten und -fähigkeiten haben. Sind wir überall nicht ausgelastet, müssen wir bündeln. Was wir im Dynamowerk in Berlin machen, können wir künftig auch in Mülheim machen.

Das heißt, wer von Berlin nach Mülheim umzieht, kann seinen Job behalten?
Wir werden dies einem Teil der Mitarbeiter anbieten. Meine Erfahrung ist aber, dass dies in der Regel weniger als zehn Prozent der Mitarbeiter mitmachen.

Im Dynamowerk verbleiben knapp 200 Mitarbeiter im Engineering? Haben die genug Arbeit, wenn die Produktion eingestellt wird?
Grundsätzlich sollten Ingenieure und Fertigungstechniker nahe an der Produktion sein. Das heißt aber nicht, dass wir an allen Produktionsstandorten auch Engineering haben müssen. Es geht uns darum, die beiden Geschäftsfelder – Power and Gas (PG) sowie die Antriebs- und Prozesssparte (PD) – wettbewerbsfähig aufzustellen. Wir wollen möglichst viele Werke und die Kompetenz zum Kraftwerksbau erhalten. Weil wir glauben, dass es im künftigen Energiemix mit mehr Erneuerbaren auch einen Markt für Gasturbinen geben wird.

Die Gewerkschaft wirft Siemens vor, die Berliner Werke nicht effizient genutzt, mit anderen Standorten verknüpft und modernisiert zu haben. Ist das aus der Luft gegriffen?
Es ist zu kurz gegriffen. Wir haben sehr wohl investiert und diskutieren über all das ja nicht zum ersten Mal mit den Arbeitnehmern. Natürlich schaut jeder zuerst auf seinen Standort. Das kann ich menschlich nachvollziehen, aber es ist unternehmerisch nicht immer klug. Die Notwendigkeit von strukturellen Veränderungen ist allen Beteiligten seit mindestens zwei Jahren bewusst, alle waren in die Diskussion eingebunden. Übrigens haben auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die strategischen Entscheidungen, die die beiden Geschäftsfelder betreffen, in denen wir handeln müssen, mitgetragen.

Das Berliner Dynamowerk ist 111 Jahre alt, sie reißen die Wurzeln von Siemens aus. Wie geht es Ihnen damit?
Solche Entscheidungen trifft niemand leichtfertig. Ganz bestimmt ist das auch für mich kein freudiges Ereignis. Im Gegenteil. Aber wir haben eine Verantwortung als Unternehmen, das 170 Jahre alt ist. Wenn wir Märkte nicht signifikant verändern, müssen wir reagieren. Es wäre verantwortungslos, wenn wir aus nostalgischen Gründen nur zuschauen würden. Es gibt immer ein Auf und Ab. Mit den Bereichen PG und PD sind wir aktuell in einem Tal, andere Geschäfte laufen gut. Siemens beschäftigt in Berlin 11.500 Menschen, viele davon in sehr erfolgreichen Geschäftsfeldern.

Sie schließen erstmals seit zehn Jahren betriebsbedingte Kündigungen nicht aus. Die IG Metall wirft Ihnen Vertragsbruch vor, weil es ein Abkommen gibt („Radolfzell II“), das langfristige Standort- und Beschäftigungsgarantien enthält.
Es gibt in diesem Abkommen eine Öffnungsklausel, die besagt, dass beide Seiten miteinander sprechen, wenn sich die strukturellen Rahmenbedingungen auf dem Markt ändern. Das ist der Fall. Wir haben ja keinen Pakt für die Ewigkeit geschlossen, niemand kann in die Zukunft schauen. Wir haben die Verhandlungen ja noch gar nicht aufgenommen. Ich hoffe, dass die Gewerkschaft vom Protest zum Dialog finden wird und wir einen Interessensausgleich zustande bekommen – mit den üblichen Instrumenten: Abfindungen, Beschäftigungsgesellschaften, Weiterqualifizierungen, Frühpensionierungen, Altersteilzeit etc. Wenn wir genug Mitarbeiter finden, die diesen freiwilligen Maßnahmen zustimmen, dann gibt es keinen Grund, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.

Werden die Verhandlungen Siemens im kommenden Jahr ausbremsen?
Nein. Das würde ja bedeuten, dass unser Geschäft einzig und allein aus den zwei Divisionen PG und PD bestehen. Wir haben aber 115 000 Mitarbeiter in Deutschland und es geht jetzt um rund 3400 Stellen, über deren Abbau wir verhandeln. Zugegeben unter schwierigen Rahmenbedingungen, die aber nicht nur Siemens betreffen – die laufenden Tarifverhandlungen und die Betriebsratswahlen in vielen großen Unternehmen.

Haben Sie zu lange mit der Veröffentlichung Ihrer Pläne gewartet? Es ist Monate lang über den Stellenabbau spekuliert worden.
Nein. Eine weltweite Planung mit so gravierenden Einschnitten kann man nicht leichtfertig machen. Wir hatten uns Mitte November vorgenommen und das haben wir auch eingehalten.

Siemens hat im vergangenen Geschäftsjahr 6,2 Milliarden Euro verdient und streicht nun weltweit 6900 Stellen, weitere 6000 kommen in der Sparte Siemens Gamesa hinzu. Verstehen Sie, dass viele in der Öffentlichkeit das nicht nachvollziehen können?
Ich kann nachvollziehen, dass das zu Irritationen führt. Aber für mich ist das kein Widerspruch. Wir müssen Entscheidungen treffen, die unternehmerisch zukunftsfähig sind. Nur, wenn wir Geld verdienen, können wir investieren – zuletzt mehr als fünf Milliarden Euro in einem Jahr.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer

Henrik Mortsiefer

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