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Die Großen fressen die Kleinen. Das muss für Start-ups nicht schlecht ausgehen, denn Konzerne haben das Geld und Netzwerke, um die Ideen groß zu machen.
© Illustration: iStock

Microsoft und Uber bieten: US-Firmen entdecken die Berliner Start-ups

Internationale Investoren entwickeln Appetit auf Berliner Firmen. Das hat auch mit den Börsengängen von Zalando und Rocket Internet zu tun. Dennoch benötigen gute Ideen vor allem eines: Zeit.

Roger Bendisch verliert ein wenig die Kontrolle. „Das ist schon ein Hammer“, schwärmt der Banker und meint damit die Berliner Start-up-Szene und wie sie sich derzeit entwickelt. Bendischs Begeisterung klingt ehrlich, aber sie ist auch berufsbedingt. Als Chef der Beteiligungsgesellschaft der Berliner Förderbank IBB (IBB Bet) kümmert er sich um die Anschubfinanzierung von Unternehmensgründern und ihren Geschäftsideen. „In den vergangenen fünf Jahren hat sich hier sehr viel entwickelt“, sagt er. Das locke inzwischen auch finanzkräftige Investoren aus den USA oder Großbritannien – private Geldgeber oder Fonds mit Wagniskapital – nach Berlin.

In der Tat scheint das Klima für große Investoren und kleine Start-ups in der Bundeshauptstadt sehr günstig. Kürzlich erregte zum Beispiel 6Wunderkinder Aufsehen, als es hieß, Microsoft sei kurz davor, die Berliner Firma zu übernehmen. Und das ehemalige Start-up Gate 5 – inzwischen Here – könnte dem derzeitigen Besitzer, dem finnischen Technologiekonzern Nokia, bald Milliarden Euro in die Kasse spülen. Die Reihe der guten Geschichten lässt sich beliebig fortsetzen. Tritt die Start-up-Szene in Berlin in eine neue Phase ein?

Die Berliner Szene ist reifer geworden

Neue Phase ja, goldene Zeiten nein, sagt Jens Munk. „Wir sehen reifere Firmen als noch vor ein bis zwei Jahren“, beschreibt der Deutschlandchef des britischen Start-up-Investors Kennet Partners. „Und wir sehen vor allem mehr reifere Firmen.“ Dennoch sei ein seit vielen Jahren bestehendes Manko noch nicht abgestellt. Während Berliner Gründer relativ leicht an Startkapital kommen, tut sich in der Wachstumsphase ein Loch auf. Dabei zeigt sich erst dann, wie erfolgreich die Geschäftsidee wirklich ist: ob sie auch in größeren Märkten als in Deutschland, also in Europa oder gar in den USA trägt. Für diesen Schritt reichen ein paar hunderttausend Euro nicht mehr aus. „Die Finanzierungslücke nach der Seed-Phase ist immer noch da“, konstatiert Munk. Investitionen jenseits von 15 Millionen Euro seien in Berlin relativ selten. Dafür gebe es im Wesentlichen zwei Gründe. „Die lokalen Risikofinanzierer sind nicht bereit oder in der Lage, diese Beträge zu stemmen. Und den großen Wagniskapitalgebern aus den USA ist der Markt hier noch zu klein.“

Dabei gibt es inzwischen durchaus eine Reihe von Start-ups mit zuletzt nennenswerten Finanzierungsrunden – sei es die Musikplattform Soundcloud (rund 60 Millionen Euro), die Modekaufberatung Outfittery (18 Millionen Euro), die Foto-App EyEm (16,5 Millionen Euro). Im abgelaufenen Jahr hat die IBB Bet 131 Finanzierungsrunden gezählt. Jede Zehnte spielte sich im Rahmen von zehn Millionen oder höher ab. Auch die Chinesen entdecken Berliner Potenzial. So beteiligte sich kürzlich der Multi-Millionär Li Ka-Shing an Jobspotting. Die Investition soll zwar nur bei knapp einer Million Euro liegen. Doch gilt sein Engagement in der Branche als Ritterschlag: Li ist zum Beispiel an der Musikplattform Spotify beteiligt.

"Kapital findet die gute Firmen"

„Berlin wird international schon als Start-up-Standort wahrgenommen“, sagt Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Start-ups. Das sei nicht erst seit den Börsengängen von Zalando und Rocket Internet im vergangenen Jahr der Fall. Der Modehändler und die Start- up-Schmiede waren im Herbst in kurzem Abstand an die Börse gegangen. Der Erlös lag dabei im Milliardenbereich. Dennoch stecken Wagniskapitalgeber ihr Geld noch lieber in Londoner Start-ups – oder sie investieren es gleich zu Hause im kalifornischen Silicon Valley. Bis Berlin die Investoren lockt wie London, muss die Szene vor allem eines sein: geduldig.

„Aus erfolgreichen Gründern werden irgendwann erfolgreiche Investoren“, sagt Nöll. Netzwerke zwischen Konzernen, Investoren und Gründern seien in den USA lange etabliert, hierzulande noch im Entstehen. Weitere größere Börsengänge würden Berlin für Investoren interessanter machen, meint Jens Munk. „Kapital findet die guten Firmen – nicht umgekehrt.“

Nokia Here: Wird Uber ein Berliner?

Als Nokia 2006 das Berliner Start-up Gate 5 kaufte, war Uber nicht einmal gegründet. Erst drei Jahre später ging der hierzulande umstrittene Fahrdienstvermittler in den USA an den Start. Nun gehört das Unternehmen aus dem Silicon Valley zu den aussichtsreichen Kandidaten im Bieterwettstreit um den Kartendienst Gate 5, der inzwischen unter dem Namen Here firmiert. Die knapp 1000 Mitarbeiter in der Invalidenstraße in Mitte bilden das Herz der auf die Nutzung von Geodaten spezialisierten Sparte, die Nokia zu Geld machen will.

Interessenten gibt es reichlich – ist das Unternehmen doch der europaweit führende Navigationsanbieter. Vier von fünf Autos aus Westeuropa oder Nordamerika mit fest eingebautem Navigationssystem fahren nach Unternehmensangaben mit Daten von Here. Um die drei Milliarden Dollar würde Uber, dem sich die chinesische Internet-Suchmaschine Baidu angeschlossen hat, zahlen.

Auch die deutschen Autohersteller BMW, Daimler und Audi hätten den Berliner Kompass gerne. Sie fürchten, dass das Geschäft mit Geodaten, das als Schlüsseltechnologie für viele Dienste rund um das vernetzte Auto gilt, vollständig in die Hände von IT-Unternehmen fällt. „Wir wollen, dass wir auch in Zukunft freien Zugang zu den Daten haben“, sagt Audi-Chefentwickler Ulrich Hackenberg. Dem Vernehmen nach können sich die Oberklasse-Produzenten weitere Partner vorstellen.

Ein drittes Konsortium bilden wohl die beiden chinesischen IT-Firmen Tencent und NavInfo sowie der schwedische Finanzinvestor EQT. Nokia ist offenbar angenehm überrascht ob des großen Interesses an seinem Berliner Ableger – und will die Bewerber noch eine Weile zappeln lassen. Man werde nicht verkaufen ohne den richtigen Preis, sagt Rajeev Suri, Chef des finnischen Technologiekonzerns. Analysten schätzen den Wert des Kartendienstes inzwischen auf bis zu sieben Milliarden Euro.

6Wunderkinder: Windows als Fenster zur Welt

Die Wunderkinder sind Ruhm gewohnt. Das Unternehmen gilt als eines der erfolgreichsten in der hiesigen Start-up-Szene. Insofern dürfte die Gründer das jüngst bekannt gewordene angebliche Interesse von Microsoft nicht wirklich überrascht haben. Das „Manager Magazin“ berichtet über „weit gediehene Gespräche“ über einen Verkauf der im Jahr 2010 gegründeten Firma. Auch der gewöhnlich gut informierte Blog Techcrunch weiß davon.

Mit ihren Anwendungen, unter anderem der Notiz- und Erinnerungs-App „Wunderlist“ erreichen die Berliner derzeit rund 13 Millionen Nutzer. Der Microsoft-Deal brächte Mitgründer und Chef Christian Reber seinem Ziel, 100 Millionen Nutzer weltweit zu gewinnen, einen entscheidenden Schritt näher. Schließlich verfügt das Unternehmen aus dem Silicon Valley mit seiner Windows- und Office-Software über eine breite Basis zahlender Geschäftskunden.

Auch wenn weder Microsoft noch 6Wunderkinder die Geschichte kommentieren wollen, spricht schon einiges dafür: Denn über gute Beziehungen ins kalifornische Silicon Valley verfügt 6Wunderkinder, benannt nach der Zahl seiner Gründer, schon fast traditionell. Ende 2013 war der legendäre kalifornische Risikokapitalgeber Sequoia Capital mit 19 Millionen Dollar in das Start-up eingestiegen. Zu den Investoren gehören außerdem der Start-up-Finanzierer Earlybird sowie auch der schwedische Fonds Atomico. Letzterer wiederum wird von den einstigen Gründern des Kommunikationsdienstes Skype geführt.

Mister Spex: Gewinn für Goldman Sachs

Wenn Goldman Sachs kommt, ist der Börsengang nicht mehr weit. In der Berliner Start-up-Szene ist diese Investoren-Weisheit gut bekannt. Kein Wunder also, dass sich die Blicke der Jungunternehmer Anfang des Jahres auf den Brillenversand Mister Spex richteten. Mit 32 Millionen Euro sammelte das 2007 gegründete Unternehmen im Januar eine erkleckliche Summe ein. Zu großen Teilen stammt das Geld von der US-Bank, die nun ein Fünftel des Unternehmens besitzt. Kurz darauf legte Gründer und Chef Dirk Graber Zahlen vor: 2014 habe das Unternehmen erstmals ein Geschäftsjahr mit schwarzen Zahlen beendet.

Für Investoren wie Goldman Sachs ist jedoch nicht nur wichtig, ob das Unternehmen rentabel ist, sondern ob das Wachstumstempo hoch ist. Bei einem Umsatzplus von knapp 40 Prozent auf 65 Millionen, ist auch dieses Kriterium für Börsenkandidaten erfüllt. „Wir sind immer wieder im Gespräch mit der Deutschen Börse“, bestätigt zwar eine Sprecherin. Für den Schritt aufs Parkett sei aber eine Perspektive von zwei bis drei Jahren realistisch.

Delivery Hero: Liefern für den Börsengang

Fressen und gefressen werden. Delivery Hero hat diese Redensart zuletzt umgedreht. Zunächst kauft sich Rocket Internet mit einer halben Milliarde Euro bei dem Essenslieferdienst ein – eine rein Berliner Investoren-Story: Sowohl Delivery Hero als auch die Start-up- Schmiede der Brüder Oliver, Marc und Alexander Samwer kommen aus der Bundeshauptstadt. Nur wenige Wochen nach dem Invest schlägt Delivery Hero selber zu – und verleibt sich den türkischen Konkurrenten Yemeksepeti ebenfalls für gut 500 Millionen Euro ein. Delivery Hero, 2010 zunächst als Lieferheld in Deutschland gestartet, gehört zu den Großen im Markt.

Auf der Plattform bieten Pizzabäcker, Burger-Läden oder Sushi-Bars ihr Essen an. Der Lieferdienst bringt das Essen dann zur gewünschten Adresse. Rund 2000 Menschen arbeiten weltweit für das Unternehmen, allein in der Berliner Zentrale den Angaben zufolge rund 520. Delivery Hero sieht sich selbst in einer Liga mit dem amerikanischen Konkurrenten Grubhub und dem britischen Anbieter Just Eat.

Im abgelaufenen Jahr setzte Delivery Hero knapp 90 Millionen Euro um. Für Investor Oliver Samwer ist Essen das nächste große Ding im Internet. Mit 324 Milliarden Euro Marktpotenzial sei der Sektor rund ums Essen vielversprechender als Heim, Mode oder Reise. Ungeachtet der Pläne seines Großinvestors hält Hero-Chef Niklas Östberg an seinem großen Ziel fest. „Wir gehen an die Börse“, bekräftigt er Aussagen aus dem Vorjahr.

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