Masken und Schutzkleidung: Spahn vergibt Logistik-Auftrag ohne Ausschreibung
Gesundheitsminister Jens Spahn vergab Transportleistungen ohne Ausschreibung - und zwar an ein Unternehmen aus dem Landkreis seines CDU-Kreisverbandes.
Das Unternehmen Fiege, das zu Beginn der Coronakrise vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) ohne Ausschreibung mit der Logistik der Beschaffung Persönlicher Schutzausrüstungen beauftragt wurde, hat dafür bislang einen „niedrigen dreistelligen Millionenbetrag“ erhalten. Das geht aus einer Antwort des BMG auf eine Kleine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Karsten Klein hervor, die dem Tagesspiegel Background Gesundheit&E-Health vorliegt.
Die Antworten zeigen auch, dass die sogenannte Open-House-Vergabe des BMG aus anderen Beschaffungsverfahren preislich heraussticht und der Bund bis heute massive Schwierigkeiten hat, die Masken loszuwerden – sei es in den Bundesländern oder ihm Rahmen internationaler Hilfsaktionen. Zudem gibt es widersprüchliche Zahlen zu beschafften Schutzhandschuhen und den damit verbundenen Kosten.
Die Anfrage Kleins, der im Haushaltsausschuss für seine Fraktion BMG-Berichterstatter ist, dreht sich nicht allein um das Open-House-, sondern um alle Beschaffungsverfahren für Schutzausrüstungen des Ministeriums. Sechs Beschaffungszweige werden in den Antworten aufgeführt – das Open-House-Verfahren ist aber zweifelsohne das umstrittenste von allen. Es wurde Ende März vom BMG initiiert und bot jedem, der zusagte, bis Ende April in einer festgelegten Mindestmenge Schutzausrüstungen zu liefern, 4,50 Euro pro FFP-2- und 60 Cent für OP-Masken.
Das BMG wurde daraufhin mit Angeboten und Verträgen überflutet, später dann mit Masken – insgesamt ging die Bundesregierung dabei Verpflichtungen in Höhe von 6,4 Milliarden Euro ein, 1,2 Milliarden stehen zur Verfügung. Unternehmer warten seither auf Zahlungen und Prüfberichte, vor dem Landgericht Bonn sind rund 60 Prozesse gegen das BMG anhängig. Zuständig für die Abwicklung der im Open-House-Verfahren eingegangenen Verträge ist bislang Ernst & Young (EY), der Auftrag wurde aber neu ausgeschrieben.
Fiege gut bekannt
Der Vertrag mit Fiege wurde laut BMG Ende März geschlossen, also zur gleichen Zeit, als das Open-House-Verfahren ausgearbeitet und kurz bevor EY ohne Ausschreibung engagiert wurde. Fiege Logistik habe man in einem „Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb“ hinzugezogen, heißt es nun in der BMG-Antwort, weil das Unternehmen „über besondere Expertise in der Logistik von Medizinprodukten und Arzneimitteln verfügt“, und es im März „außergewöhnlich großen Handlungsdruck gab“. Fiege sei dabei nicht nur für die Logistik der Open-House-Vergabe zuständig, der Auftrag „erstreckt sich auf alle Beschaffungsverfahren“.
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe, heißt es weiter, im Zuge der aufziehenden Corona-Pandemie mit zahlreichen Unternehmen Kontakt gehabt. Neben Fiege unter anderem mit DHL und DB, deren Vertreter Spahn allesamt vor der Coronakrise „auch aus anderen dienstlichen Zusammenhängen bereits bekannt“ gewesen seien. Das dürfte im Falle von Fiege auch auf den Kommunalpolitiker Spahn zutreffen: Die Stadt Greven, in der das Traditionsunternehmen Fiege seinen Sitz hat, liegt im CDU-Bezirksverband Münsterland, wo Spahn Vorstandsvize ist, unter dem Vorstandschef Karl-Josef Laumann, Gesundheitsminister in NRW.
Der Fiege-Auftrag bestehe nach wie vor, so das BMG in seiner Antwort. „Die bisher im Rahmen der Logistikdienstleistungen angefallenen Aufwendungen für das BMG umfassen einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag.“ An anderer Stelle heißt es, die „Annexkosten“ für Beratung, Transport, Lagerung, Anwälte und Qualitätsprüfungen hätten, Stand September, bei allen Beschaffungsverfahren rund 130 Millionen Euro betragen – der größte Teil davon müsste demnach für den Fiege-Auftrag ausgegeben worden sein.
Fünftel der Menge, Drittel des Preises
„Mindestens 1.000 Angebote“ seien zu Beginn des Open-House-Verfahrens Anfang April eingegangen, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage. 738 Zuschläge seien an 535 Vertragspartner erteilt worden – von denen wiederum 371 ihre Verträge „vollständig bzw. teilweise erfüllt“ hätten. Die aufgeführten Zahlen zeigen, dass die Lieferanten offenbar gute Preise erzielt haben.
Zu den sechs Beschaffungsverfahren gehört der Rahmenvertrag „Produktion in Deutschland“, aus dem aber noch kaum Masken geliefert wurden. Von den anderen fünf Beschaffungen machen die aufgelisteten 232 Millionen FFP-Masken aus dem Open-House-Verfahren rund ein Fünftel der vom BMG eingegangenen Abnahmeverpflichtungen für FFP-Masken aus – allerdings fast ein Drittel der Kosten. Die 4,50 Euro pro FFP-2-Maske seien vom BMG seinerzeit „sorgfältig“ gewählt worden, erklärt das BMG, und hätten noch unter den Preisen des äußerst angespannten Weltmarktes gelegen. Eine „Stichprobe“ des BMG sei hier bei 6,35 Euro netto gelandet.
Bislang hieß es von Seiten des Ministeriums stets, dass rund ein Fünftel der gelieferten Schutzmasken aus den verschiedenen Beschaffungsverfahren nicht den Qualitätsanforderungen genügten – ein Argument, dem viele Händler des Open-House-Verfahrens widersprechen und über das es nun auch in etlichen Verfahren vor dem Landgericht Bonn zu entscheiden gilt.
In der Antwort auf die Anfrage ist nun nicht mehr von 20 Prozent mangelhaften Masken die Rede, sondern davon, dass „über alle Beschaffungswege hinweg bis zum Ende des Jahres 2021 voraussichtlich mehr als 85 Prozent der beschafften Masken verkehrsfähig und damit für den Gesundheitssektor verwendbar“ seien.
Widersprüchliche Zahlen gibt es bei den Angaben zu den beschafften Schutzhandschuhen. An den Haushaltsausschuss berichtete das BMG am 26. Juni, wie viele Persönliche Schutzausrüstungen bisher in den verschiedenen Verfahren in Auftrag gegeben wurden: Die Zahlen zu Masken, Schutzanzügen und -brillen sind nahezu identisch mit denen, die jetzt in der Antwort auf die Kleine Anfrage aufgelistet werden.
Nur bei den Schutzhandschuhen nicht: Hier hat sich die Menge von 730 Millionen Paaren, von denen noch im Juni die Rede war, auf jetzt nur noch insgesamt 337 Millionen halbiert. Auf die Frage, wie es zu dieser Verringerung der aufgelisteten Menge – und damit zur Kostenreduzierung von 131 Millionen Euro im Juni auf nun 62 Millionen – kommt, erklärt das BMG, dass es sich bei der ersten Zahl um eine Plangröße im Haushalt handelte, bei der zweiten um die bislang tatsächlich gelieferte Menge.
Widersprüche bei Schutzhandschuhen
Beigefügt ist der Antwort auch eine Auflistung über die Schutzmasken und Handschuhe, die vom Bund bislang an die Länder, die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und die Bundesbehörden ausgeliefert wurden. Bei den Schutzhandschuhen sind es nach derzeitigem Stand 125 Millionen Paare. Von den 1,1 Milliarden FFP-Masken, die bislang über die verschiedenen Verfahren beschafft wurden (Rahmenvertrag „Produktion in Deutschland“ ausgenommen), sind laut BMG derzeit insgesamt 133 Millionen ausgeliefert, von den knapp 1,7 Milliarden OP-Masken 327 Millionen. Zahlungen an den Bund durch die Länder und KVen seien „bislang noch nicht erfolgt“.
Elf der 16 Bundesländer haben im Mai und Juni laut BMG mitgeteilt, gar keine Persönliche Schutzausrüstungen (PSA) oder zumindest keine FFP-2-Masken mehr annehmen zu wollen. Teile der überzähligen Schutzausrüstungen sollen nun der Nationalen Reserve Gesundheitsschutz“ sowie der geplanten europäischen Reserve „RescEU“ zugeführt werden. „Darüber hinaus prüft die Bundesregierung die Möglichkeit, Masken für Pflegeeinrichtungen oder für Hilfeersuchen im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit zur Verfügung zu stellen.“
Masken werden gespendet
In einem schriftlichen Bericht an den Haushaltsausschuss vor einem Monat hieß es, dass rund 250 Millionen Schutzmasken international gespendet werden sollen – das ist in der Antwort auf die Kleine Anfrage noch nicht aufgeführt. Allerdings seien im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens Schutzmasken unter anderem an Spanien, Italien, Kroatien, Serbien und Montenegro verteilt worden. Insgesamt seien es 300.000 Stück gewesen.
Im Rahmen des Förderprogramms „Produktion in Deutschland“ strebt das BMG nun nach eigener Auskunft bis Ende 2021 die Produktion von 43 Millionen Masken pro Woche an. Bislang seien aus dem Programm (Stand 11. September) 21 Millionen OP-Masken geliefert, knapp neun Millionen FFP-2-Masken und 240.000 Schutzkittel.
Die OP-Masken sollen im Schnitt 17 Cent kosten, FFP-Masken 1,10 Euro und OP-Schutzmäntel 3,25 Euro. Mit 44 Unternehmen sei ein Rahmenvertrag geschlossen worden, bisher habe man sechs davon wieder aufgelöst. Acht der Unternehmen seien „bereits vor Abschluss des Rahmenvertrags als PSA-Hersteller oder als Hersteller branchenverwandter Produkte tätig“ gewesen.
Klein sieht Klärungsbedarf
Der FDP-Abgeordnete Klein, der die Anfrage stellte, sieht in den Antworten eine Bestätigung, „dass das BMG mit der Beschaffung überfordert war, gerade mit Blick auf das Open-House-Verfahren“. Dass Länder und Bund zu Beginn der Coronakrise parallel Schutzausrüstungen beschafft hätten, „hatte mit Sicherheit preistreibende Effekte“. Glücklicherweise könnten überzählige Schutzausrüstungen in die Nationale Reserve überführt werden. „Des Weiteren ist für mich klar, dass die Länder sich an den Kosten der PSA, die sie vom Bund erhalten haben, finanziell beteiligen müssen.“
Weiteren Klärungsbedarf sieht Karsten Klein auch in der Beauftragung von Fiege. „Da das Unternehmen in einem Verfahren ohne Teilnehmerwettbewerb beauftragt wurde, ist unbedingt zu prüfen, ob die Beauftragung zu marktüblichen Konditionen erfolgte“, so Klein.