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Starkstrommasten stehen nahe dem Kernkraftwerk Grafenrheinfeld.
© picture alliance / dpa

Gefährdet Covid-19 die Energieversorgung?: So sollen Engpässe der Stromversorgung trotz Coronavirus-Epidemie verhindert werden

Ohne sichere Strom- und Gasversorgung bricht das öffentliche Leben zusammen. Mit strengen Maßnahmen wappnen sich die deutschen Versorger deshalb gegen das Virus.

Ein Ausfall der deutschen Gas- und Stromversorgung gehört zu den Horrorszenarien für eine moderne Gesellschaft – schwerwiegende Probleme in einem Kernkraftwerk erst recht. Die Verbreitung des Coronavirus in Deutschland könnte auch die Betreiber dieser kritischen Infrastrukturen vor Herausforderungen stellen.

Wie sicher der Betrieb von Stromübertragungs- und Fernleitungsnetzen während einer flächendeckend eskalierenden Pandemie läuft, hängt in einem Extremszenario von der verfügbaren Zahl von Fachleuten für den Betrieb ab. Bei mangelnder Vorsorge, hoher Infektionsrate und vielen Mitarbeitern in Quarantäne könnten Situationen eintreten, in denen sie keine sichere Strom- und Gasversorgung mehr gewährleisten können.

Wie gehen die Unternehmen damit um? Tagesspiegel Background hat sich in der Branche umgehört – und detaillierte Antworten erhalten. Sie zeigen, wie ernst die Betreiber die Situation nehmen.

Beim Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) 50Hertz mit Sitz in Berlin ist die Priorität klar. Der Kern des Unternehmens, die Steuerzentrale für das ostdeutsche und Hamburger Stromnetz, muss geschützt werden. „Oberstes Ziel ist es, die Mitarbeiter vor Ansteckung zu schützen – insbesondere Mitarbeiter in der Systemsteuerung, also der Leitwarte“, sagt ein Unternehmenssprecher auf Anfrage. Er gewährt einen ausführlichen Einblick in die Vorsichtsmaßnahmen, solange daraus nicht sicherheitsrelevante Rückschlüsse gezogen werden können.

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Generell seien den Mitarbeitern nun keine Reisen in Risikogebiete mehr erlaubt, auch nicht privat. „Die Definition dieser Gebiete übernehmen wir vom Robert-Koch-Institut als Referenzpunkt“, so der Sprecher. Die Mitarbeiter sind über das Meiden von Krisengebieten hinaus angewiesen, Dienstreisen auf das erforderliche Maß zu reduzieren. Zudem: Jeder 50Hertz-Mitarbeiter, der nicht eindeutig zu identifizierende Erkältungssymptome aufweise und in einem Krisengebiet war, müsse generell für mindestens 14 Tage zuhause bleiben und sich auskurieren.

Die Veranstaltungen im Lobby- und Politikzentrum Berlin, aber auch Fachgremien und Messen, stehen auf dem Prüfstand. 50Hertz bewerte dabei scharf und versuche, sinnvolle Abstufungen zu treffen, sagt der Sprecher. „Ein enger Kontakt, beispielsweise eine Stehparty, sollte nicht besucht werden und wird auch von uns nicht veranstaltet. Ebenso haben wir zum Beispiel den Besuch ausländischer Delegationen bei 50Hertz quasi auf null gefahren.“

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Eine Pressekonferenz, wo der Kontakt nicht so eng sei, könne hingegen besucht werden und werde auch von 50Hertz noch veranstaltet. „Wir achten aber auch dabei auf die Kleinigkeiten: Auf den Zugang zu Desinfektionsmitteln, aber zum Beispiel auch darauf, dass Essen in Gläsern gereicht wird.“ Für das für den Betrieb essenzielle Personal der Leitwarte gelten noch einmal strengere Regeln, bei der Hygiene, aber auch bei der Frage, welche Kontakte nach außen noch möglich sind.

50Hertz hält den Kern des Unternehmens aber für alle Notlagen gerüstet, weit über die derzeitige Bedrohung durch das Coronavirus hinaus. „Generell sind wir im Netzbetrieb abgesichert auch gegen dramatische Bedrohungslagen durch Pandemien. Wie bei den Übertragungsnetzbetreibern üblich, unterhalten wir ein stets sofort betriebsbereites Reserve Control Center in der 50Hertz-Zentrale als Ergänzung zur Leitwarte in Neuenhagen“, sagt der Sprecher.

In schlimmsten Krisenfällen kann sich das Personal „einbunkern“

Zweitens: In schlimmsten Krisenfällen kann sich das Personal regelrecht einbunkern. Sowohl die Mitarbeiter in der Leitwarte als in anderen systemrelevanten technischen Bereichen könnten „im Notfall über Wochen autark und weitgehend abgeschottet von der Umwelt den Netzbetrieb sicherstellen“, sagt der 50Hertz-Sprecher. „Dafür stehen sowohl Personal als auch Aufenthalts- und Schlafraum als auch Bevorratung zur Verfügung.“ Davon unabhängig seien auch technische Ressourcen vorrätig, zum Beispiel Ersatzteile für den Betrieb der Umspannwerke oder Leitungen.

Tennet, Amprion und TransnetBW gehen ähnlich vor. „Wir sind in enger Abstimmung mit den drei weiteren ÜNB und bis auf kleine Unterschiede befolgen wir gemeinsam diese Risikovorsorge“, heißt es von 50Hertz. Mit den Behörden gebe es einen stetigen Austausch zur Lage. 40.000 Kilometer ist das deutsche Gas-Fernleitungsnetz lang – und gerade im Winter hoch belastet und besonders wichtig, es ist die Arterie der Gasversorgung. Technisch bewerkstelligen die Betreiber das mit Verdichterstationen, die den Energieträger durch die Röhren drücken. Rund 30 dieser Anlagen betreibt allein der größte Fernleitungsnetzbetreiber Open Grid Europe (OGE), er steuert sie von seiner Leitwarte in Essen aus. Wie steht es dort um die Vorkehrungen?

OGE hat wegen des Coronavirus' zusätzliche Vorkehrungen getroffen, um sicherzustellen, dass das Gas auch fließt, falls die Epidemie eskaliert: Eine Task Force analysiere laufend die Gefährdungslage, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit. OGE hat eine Meldekette für den Fall von Infektionsverdachtsfällen im Unternehmen etabliert und seine Hygienemaßnahmen in Betriebs- und Verwaltungsstätten verschärft.

Ganz ähnlich wie bei 50Hertz auch: Mitarbeitern sind Dienstreisen in Gebiete mit hohen Infektionszahlen untersagt. Für Rückkehrer aus Risikogebieten gibt es Vorkehrungsmaßnahmen. Nicht zwingend notwendige interne und externe Veranstaltungen sind abgesagt.

Ähnlich den Betreibern der Stromübertragungsnetze halten auch die elf Gasnetzbetreiber Ersatzleitwarten vor für den Fall, dass reguläre Leitwarten ausfallen. Die Zugangskontrollen zu den ohnehin besonders gesicherten Einrichtungen haben viele Unternehmen im Zuge der Epidemie noch einmal verschärft.

Im Normalfall läuft ein Fernleitungsnetz fast vollständig automatisiert, doch es bedarf geschulten Personals, um die Abläufe zu überwachen und im Notfall manuell zu steuern. Das gilt nicht nur für die Leitwarten, sondern auch für die Verdichterstationen in der Fläche. Jederzeit müssen Fachleute in kürzester Zeit dorthin gelangen können, um sie bei Bedarf im Handbetrieb zu steuern.

Hintergrund über das Coronavirus:

Für solches Prozedere interessiert sich auch das Bundeswirtschaftsministerium, das nach Informationen von Tagesspiegel Background über den Energieverband BDEW derzeit Informationen über Corona-Vorkehrungsmaßnahmen und Notfallplanungen der Netzbetreiber einholt.
Wie sich das Land auf eine solche „Gasmangellage“ vorbereitet, war zuletzt bei der Krisenmanagementübung „Lükex“ im Jahr 2018 zu beobachten. Zwei Tage lang trainierten Bundes- und Landesbehörden, Unternehmen der Gasbranche und einschlägige Verbände, was zu tun ist, wenn die Gasversorgung in Teilen Süddeutschlands ausfällt – sei es durch Naturkatastrophen, Sabotage oder Lieferstopps von Gasproduzenten.

In dem Winterszenario mussten wegen Minustemperaturen fiktiv beispielsweise Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse und Büros geräumt werden. Auch Kommunikationsabläufe zwischen den Beteiligten und mit der Bevölkerung wurden geprobt. Einer der vielen Rückschlüsse, die die offizielle Auswertung der Übung zulässt: Ohne einsatzfähiges, also gesundes Fachpersonal, wird es heikel. Der enorme Aufwand bei den Schutzmaßnahmen ist also essenziell.

Kernkraftwerke schrauben Hygiene noch weiter hoch

Auch in den Atomkraftwerken – bereits im Normalbetrieb gehören sie zu den bestgeschützten Einrichtungen in Deutschland – werden wegen Corona noch einmal besondere Vorkehrungen getroffen.

Ein Beispiel: Wenn Kernkraftwerker den kritischen Bereich ihrer Arbeitsstätten verlassen, müssen sie die sogenannten Ausgangsmonitore passieren. Diese messen mögliche Radioaktivität am Körper. Beim Messvorgang muss der Mitarbeiter mit seinem Gesicht nah heran an den Monitor. Der Kernkraftwerksbetreiber RWE lässt diese Geräte seit dem Ausbruch der Coronavirus-Epidemie deutlich öfter reinigen und desinfizieren, sagte ein Sprecher.

Auch nach außen sichert sich das Unternehmen stärker ab. RWE hat die Besucherzentren an seinen Kernkraftwerksstandorten Lingen, Biblis und Gundremmingen geschlossen. Angemeldete Gruppenbesuche sind bis auf Weiteres storniert. (mit Christian Schaudwet)

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