Schlimmere Folgen als der Ukraine-Krieg?: So bedroht Chinas Covid-Politik die Weltwirtschaft
Nach Shanghai könnte die nächste chinesische Stadt abgeriegelt werden. Das bekommt auch Deutschland zu spüren. Gibt es bald keine Handys mehr aus China?
Die Aktienmärkte in China sind leiderprobt. Eingriffe in den Markt durch die Staatsführung haben zuletzt immer wieder zu unerwarteten Rückschlägen geführt. Doch derzeit geht es besonders konsequent nach unten. Der Shanghai Composite hat seit Jahresbeginn 15 Prozent verloren, der Hang Seng Index kennt seit Anfang April ebenfalls nur eine Richtung: nach unten.
Der Grund ist das rigorose Vorgehen der chinesischen Regierung gegen das Coronavirus. Die Handelsmetropole Shanghai ist seit über drei Wochen mehr oder minder von der Außenwelt abgeriegelt. Nun könnte der Hauptstadt Peking ein ebensolcher Lockdown drohen.
Nach der Entdeckung von rund 70 Corona-Infektionen müssen sich alle 3,5 Millionen Einwohner des Stadtteils Chaoyang in drei Runden alle zwei Tage testen lassen. Ob ein Lockdown über die ganze Stadt oder Teile verhängt werde, hänge von der Ausbreitung des Virus ab, teilte das nationale Gesundheitsamt laut der parteinahen Zeitung „Global Times“ mit.
Mehrere Wohnblocks in Chaoyang sind schon abgeriegelt. Die Bürger reagieren bereits mit Hamsterkäufen, um sich auf einen drohenden Lockdown vorzubereiten. Zahlreiche Supermarktregale sind bereits leer, wie mehrere Medien berichten.
Container-Stau vor Shanghai
Doch eine Verschärfung der Corona-Situation in China hätte nicht nur Folgen für das Land selbst; die gesamte Weltwirtschaft wäre massiv betroffen – möglicherweise schlimmer als vom Ukraine-Krieg. „Bereits jetzt hat der Lockdown zu einem Einbruch der Exporte vom Hafen von Shanghai um etwa 30 Prozent geführt“, erklärt Vincent Stamer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) auf Tagesspiegel-Anfrage. „Außerdem nehmen Containerschiff-Staus an der chinesischen Küste zu, was zu zusätzlicher Belastung für den Transport der Waren weltweit führt.“
Maximilian Butek, der Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Shanghai, hatte schon in der vergangenen Woche Alarm geschlagen: Viele Unternehmen bekämen ihre Waren teilweise seit mehr als drei Wochen nicht mehr aus dem Land. Alternative Lieferwege über andere Häfen reichten nicht aus, um den Ausfall abzufedern.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Auch über den Landweg geht in China derzeit nicht viel. Nach Schätzungen ist die Verfügbarkeit von Lastwagen in Shanghai um 40 Prozent zurückgegangen. Tendenz steigend. Container – wenn sie denn überhaupt von den sich stauenden Schiffen abgeladen werden konnten – werden nicht abgeholt und stapeln sich an Land. Lagerhäuser sind geschlossen.
Gekühlte oder gefährliche Güter können nicht abtransportiert werden. „Das Problem ist natürlich, wenn man nur die Hälfte an Lastwagen zur Verfügung hat, kann man auch die Container, die von den Schiffen heruntergeladen werden, nicht mehr im Lande verteilen“, erklärt der Vorsitzende der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke. „Das macht eine komplizierte Situation noch schwieriger.“
Auch Butek meint: „Die Schockwellen, die der Stillstand hier in China auslöst, sind noch gar nicht im vollen Umfang fassbar.“ Es dürften Monate vergehen, um die Störungen in den Lieferketten zu beheben.
Was würde ein Lockdown in Peking bedeuten?
Die Sorgen der Reedereien wachsen dabei weiter. „Die maritimen Lieferketten waren schon vor dem Lockdown in Shanghai angespannt – nun befürchten wir weitere Verzögerungen im Seetransport“, sagte die Präsidentin des deutschen Reederverbandes VDR, Gaby Bornheim. Es sei „Sand im Getriebe“. Geduld sei jetzt nötig.
Erst recht, wenn mit Peking die nächste Metropole in den Lockdown ginge. „Eine Ausweitung des Lockdowns auf andere Provinzen würde Ausweichmöglichkeiten der Exporteure aus Shanghai reduzieren und die negativen Effekte auf den Welthandel verstärken“, so IfW-Experte Stamer. „Allerdings spielt für den Export Chinas Peking eine geringere Rolle als Shanghai.“
Experten des japanischen Analysehauses Nomura sehen aber auch für den Fall eines Lockdowns in Peking große Auswirkungen für die Weltwirtschaft, da davon eine Signalwirkung für die Corona-Politik in ganz China ausgehen könnte.
„In dieser Woche wird sich die Aufmerksamkeit des Marktes wahrscheinlich von Shanghai nach Peking verlagern, da eine sich verschlechternde Covid-19-Situation in Chinas Hauptstadt einen tieferen Einfluss auf den zukünftigen Weg der Null-Covid-Strategie haben könnte“, so die Analysten.
Die Auswirkungen auf Deutschland
Die Folgen dürften auch in Deutschland zu spüren sein. „Der Großraum Shanghai produziert eine Vielzahl von Gütern für den Export, der größte Sektor sind aber Elektronikartikel“, meint Stamer. Die Güter seien etwa bis Hamburg 30 bis 40 Tage unterwegs, müssten danach noch weitertransportiert werden.
„Daher könnten in etwa zwei Monaten chinesische Produkte wie Handys und Kameras, aber auch elektronische Zwischengüter für die Produktion in Deutschland schwieriger zu bekommen sein.“ Auch Automobil-Hersteller oder Maschinenbauer in Deutschland wären nach IfW-Berechnungen davon betroffen. „Die Verknappung des Angebots an Lieferungen aus China wird die bereits jetzt schon hohe Inflation in Deutschland weiter negativ beeinflussen“, schätzt Butek.
Ein Blick auf das vergangene Jahr zeigt, wie empfindlich die Lieferketten sind – und dass sie sich seit dem Ausbruch der Pandemie kaum erholt hatten. Schon das gestrandete Containerschiff Evergiven, das im vergangenen Sommer den Suez-Kanal blockierte, schädigte den Welthandel über Wochen. Die Unregelmäßigkeiten durch Corona-Maßnahmen hörten seitdem kaum auf. Eine Verschärfung der Situation in China in Zusammenspiel mit den Folgen des Ukraine-Krieges würde die Probleme wohl auf einen neuen Höhepunkt führen.
Diese Sorge bestärkt die Einschätzung von Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie. Der drohende Stillstand des weltgrößten Containerhafens wirble den globalen Container-Seeverkehr und die internationalen Lieferketten komplett durcheinander, so Russwurm.
„Unternehmen und ihre Kundinnen und Kunden bekommen schon jetzt die internationalen Logistik-Turbulenzen zu spüren. Die Transportpreise haben sich in den vergangenen Monaten wegen des Kriegs in der Ukraine und der Corona-Folgen mehr als verdoppelt.“ Für ihn ist klar: „Je länger die Ausgangssperren in China andauern, umso härter sind die wirtschaftlichen Folgen – für die Weltwirtschaft und für die deutsche Exportwirtschaft. Eine kurzfristige Entspannung der maritimen Lieferketten ist nicht in Sicht.“ (mit dpa)