110 Jahre Dynamowerk Berlin: Siemens blickt in die Glaskugel
Siemens hat in Berlin-Spandau den 110. Geburtstag des Berliner Dynamowerks gefeiert. Zur Feierstunde gab es fröhliche Russen und einen Blick in die Zukunft.
Siemens Konzernvorstand Klaus Helmrich schien am Donnerstag tatsächlich ein wenig überrascht bei der Feierstunde zum 110-jährigen Bestehen des Berliner Turbinenwerkes. Plötzlich kündigte die Moderatorin den Geburtstagsgruß eines Kunden an, der nicht auf der Tagesordnung stand. Und schon standen zwei Manager des staatlichen russischen Ölförderkonzerns Transneft samt Dolmetscher auf der Bühne des Mosaiksaals der Berliner Siemens-Verwaltung an der Nonnendammallee.
Der stellvertretende Transneft-Chef Pavel Revel-Moroz schwärmten von den Siemens-Turbinen. Die würden seit Jahren zuverlässig Öl durch die Pipelines Ostsibiriens pumpen. Als „symbolisches Geschenk“ für die jahrelange reibungslose Zusammenarbeit drückte er dem perplexen Deutschen eine fußballgroße Glaskugel in die Hände. Darin eingefasst eine Skulptur aus Metall, die die verschachtelten Landmassen der russischen Föderation darstellen dürften. „Ihre Produkte finden sich überall in der Produktion in jeder Branche“, übertrieb der russische Gast nur ein klein wenig.
Seit dem Jahr 1906 fertigt Siemens an der Nonnendammallee im Herzen des heutigen Spandauer Ortsteils Siemensstadt elektrische Antriebe, Motoren und Generatoren. Das Dynamowerk zählt zu den ältesten Gebäuden des Areals. Die dort gefertigten Komponenten treiben Schiffe, Aufzüge und Lokomotiven an. Die 800 Beschäftigten des Werks, das mit 50 000 Quadratmetern größer ist als der Hauptterminal des BER, fertigen vor allem Antrieb und Generatoren für unterschiedlichste Einsatzgebiete: Getriebelose Windkraftgeneratoren, Walzwerk-Hauptantriebe, Antrieb für Schürfkübelbagger, Kreuzfahrtschiffe oder Gasverflüssigungsanlagen – wofür man sich nicht nur in Russland interessiert.
Der Vorstand Helmrich nutze die Feierstunde, um zu skizzieren, wie ein klassischer Industriekonzern mit so großer Tradition und offenbar auch sehr traditionellen Kunden die nächste technologische Revolution nicht nur überleben, sondern auch mitzugestalten will. Siemens arbeite an der Sammlung von Maschinendaten und deren Auswertung in Datenwolken, sogenannten Clouds.
Mit neuen Internetplattformen könnten die Kunden nicht nur alle Maschinen in einem Werk – vom Fahrstuhl bis zur Gasturbine – zentral steuern, sondern auf Wunsch bald auch alle Fabriken von jedem Ort der Welt. Als Beispiel nannte er auch den Turbinenhersteller Rolls-Royce, der den größten Teil seiner Umsatzes heute nicht mehr mit der Fertigung des Triebwerks macht, sondern mit der Echtzeitüberwachung und Wartung desselben. „Siemens baut ein offenes Ökosystem, das es Unternehmern ermöglicht, ihr Geschäft darauf aufzubauen“, sagte Helmrich. Doch Digitalisierung hin oder her. „Auch in 200 Jahren werden wir noch Motoren und Generatoren brauchen“.
Als Star-Redner der Festveranstaltung war ursprünglich EU-Digitalkommissar Günther Oettinger angekündigt. Er sagte kurzfristig ab. Womöglich entging den rund 150 internationalen Gästen so eine ähnlich erhellende Rede wie über "Schlitzaugen" und die "Pflicht-Homoehe" wie vergangene Woche in Hamburg.